Veröffentlicht: 04.12.2025. Rubrik: Nachdenkliches
Endstadium
Irgendwie war sein Erwachen anders. Seine suchende Hand nach hinten fand nicht seine Brille, sondern fuhr ins Leere. Laut hätte er am liebsten gesagt was soll der Scheiß alles, wo bin ich. Er schwieg, blickte sich vorsichtig um erkannte einen Raum mit etwas an der gegenüberliegenden Wand hängend. Rechts war eine Fensterfront ohne Gardinen. Seine rechte Hand ertastete einen Griff. Ohne Brille fühlte er sich hilflos, verschwommen sah er alles, richtete sich vorsichtig auf.
"Kann ich ihnen helfen?"
Die Stimme kam von links, er sah ein Bett mit Inhalt, ein Mann wohl der Stimme nach.
"Himmel oder Hölle, wo bin ich hier?"
Eine zweite Männerstimme lachte laut. "Einer kennt die Wahrheit, ist er endlich wach? Hallo, willkommen im Himmel bei den Engel-Schwestern. Ich drücke mal den Alarmknopf für sie".
Gut zwei Stunden später saß er zwei Ärzten gegenüber. Sie hatten gefragt, er geantwortet und sie, die Stations-Ärztin, telefoniert.
"Mein Name ist Doktor Drenkwitz und ich bin der Oberarzt hier. Sie wurden bewusstlos aufgefunden. Wir haben sie zwei Tage im Haus gehabt und nun sind sie stabil. Sie wissen aber von ihrer Krankheit ..."
Er unterbrach ihn mit: "meinen herzlichen Dank für alle ihre Bemühungen und den angenehmen Aufenthalt bei ihnen hier. Mir ist es bekannt das nur noch wenig Zeit mir bleibt im Leben. Warum plötzlich Dunkelheit mich überfiel, ist mir unverständlich".
Er, der Oberarzt, lächelte ihn an, ein komischer Kauz, der da vor ihm saß, so ruhig und mit Bedacht seine Worte wählte. Die vor ihm liegende Krankenakte, die übermittelten Unterlagen seines behandelnden Arztes, zeigten nicht mehr lange wird er leben. Unheilbar, austherapiert, mehr Worte waren nicht nötig zu sagen.
"Was machen sie morgen nach ihrer Entlassung?"
"Ich werde an sie und die netten Krankenschwestern denken, mich nach Hause fahren lassen von einem Taxi. Was noch kommt wird sich finden. Er reichte dem Arzt die Hand. Soll ich nun sagen bis demnächst oder besser wir sehen uns im nächsten Leben wieder?"
"Noch leben sie und somit sage ich bis bald wieder, vielleicht hier oder woanders".
Ein Glücksfall seine auf dem Weg ins Haus gehende Nachbarin bezahlte wartend auf seine Bitte den Taxifahrer.
"Wo waren sie die letzten Tage?"
"Zum Ausspannen im Krankenhaus und leichtsinnig dazu ohne Geld unterwegs. Mal eben an die frische Luft, mehr weiß ich auch nicht. Danke, ich bringe ihnen gleich das Geld vorbei".
Der Tod gehört zum Leben, Friedhöfe für die Mahnung sein Ende nicht zu vergessen. Er hatte da eine saubere Lösung für sich gefunden, eine kostengünstige dazu und sich verschenkt an die UNI als Studienobjekt für den Medizinbereich. Sollten dann auch noch von weiblicher Hand geführte Skalpelle an ihm schneiden, etwas finden, so wäre.... er lachte bei dem Gedanken. So makabere Vorstellungen von Frankenstein Art, konnte er leicht aussprechen. Sie kamen bei Bekannten nicht gut immer an.
Wer würde ihn noch betrauern?
Es gab keinen mehr, keinen mehr der zu seiner Verwandtschaft gehörte. Die Alten waren längst unter der Erde, er ein Weltenbummler gewesen, ein Einzelgänger sein Leben über. Gläubig war er nie, nichts in den Rachen der fetten Pfaffen hatte schon seine Mutter oft gesagt, er gelacht. Seine kurze auch enge Verbindung mit einer Zeugin Jehovas hatte ihm viele Freuden beschert.
Er hatte alles geregelt, Notfallbox im Kühlschrank, Ausweis in seiner Geldbörse und im Notfall alles, was er besaß, erhielt die .... wer genau sprach er nie aus, aber es stand in seinem handgeschriebenen Testament und das lag nicht nur in seiner Wohnung, sondern auch beim Amtsgericht und seinem Hausarzt.
Er machte sich frisch, zog sich um, bekam Hunger und beschloss ihn mit gebratenen Nudeln, Entenbrustscheiben und viel Gemüse zu stillen. Was übrigbleiben würde käme in einer Tupperdose mit nach Hause. Er trank seit Wochen nur noch Tee oder Wasser.
Sein Heilwasser, normales Wasser und kein gesegnetes oder das aus Lourdes. Die Pilgerreise hatte er mitgemacht durch eine Einladung. Es war schön, wirklich schön so diese Liebe zu spüren die da rüberkam. Er versprach niemandem etwas davon zu erzählen. Sie, Anne war noch jung gewesen.
Wenig später saß er an einem Tisch umgeben von Asiendeko und dem Duft des Fernen Ostens.
So einfach aus dem Leben treten. Seine Vorstellung war, was die Vorbereitung betraf, spießig, mit kleinbürgerlichem Denken nach Ordnung.
Alles aufräumen, Müll raus und nichts Ungespültes stehenlassen. Die Sammelschubladen vorher aufräumen, überflüssiges entsorgen. Festplatten zerstören, alles Löschen und schreddern, alle Fotos verbrennen bis auf zwei eigene. Alle alten Schuhe entsorgen und auch ein Teil der Bekleidung. Er hatte sich einen Plan gemacht. Also kurz vorher musste alles weg, so in der Art in spätestens 3 Stunden ist alles besenrein. Sein Auto hatte er vor etwas mehr als einem Jahr abgegeben, war dann nach Rügen gefahren. Rügen war klasse, das kleine Hotel am Strand, dann Stralsund. Um den Rest vom verkauften Auto zu verjubeln, brauchte er einen Monat, bis es geschafft war.
Ein Jahr später lebte er immer noch. Mit "Warum, alles ist mir jetzt egal" begrüßte er das neue Jahr. Am 2. Januar betrat er das Behandlungszimmer seines Hausarztes.
"Sie sind ein Scharlatan, was sollte dieser Unsinn mit nur 4 Monate bleiben ihnen zum Leben. Es sind jetzt 14 Monaten vergangen. Ich will nicht mehr. All dieses: das ist ungesund, sie müssen, sie können nicht mehr. Soll ich mich nun erschießen, von einer Brücke springen oder mich vergiften. Sie haben mich verarscht, richtig verarscht die ganzen Monate und jeden Monat haben sie mir Blut abgezapft, fünf Sorten Tabletten aufgeschrieben am Anfang. Jetzt ohne diesen chemischen Mist geht es mir besser".
"Hätten sie einmal, nur einmal, richtig zugehört, wenn ich ihnen etwas sagte, dann...".
Der Arzt schaffte es nicht seinen Satz zu beenden. Der einst stille Patient war wütend aus der Praxis gestürmt. Er hatte über eine Stunde gewartet, bis er drankam. Draußen überquerte er blind die vielbefahrene Straße.
Der Bus, zu spät. Er hatte ihn nicht bemerkt in seinem Zorn.
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