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geschrieben 1998 von Andreas Mettler (Metti).
Veröffentlicht: 06.10.2014. Rubrik: Satirisches


Der Mann ohne Schwanz

„Ein Mann!“ Doris machte ein ernstes Gesicht. Das Gesicht, mit dem sie unwiderstehlich alle Aufmerksamkeit auf sich zog. „Das hättest du nicht tun sollen, Brigitte.“ Mahnend hob sie den Zeigefinger. „Du weißt, was das für uns für eine Gefährdung sein kann.“
   Brigitte verstand sofort und sah ihren Irrtum ein. „Du hast wieder recht, Doris. Ich habe unüberlegt gehandelt.“
   „Du weißt auch, daß wir eine minderjährige Tochter im Haus haben. Auch und gerade sie ist nun in Gefahr.“
   „Was können wir nur machen? Ich kann doch mein Wort nicht brechen.“
   Doris schüttelte den Kopf. „Auf keinen Fall. Frauen brechen ihr Wort nicht. Noch keine Frau hat ihr Wort gebrochen.“
   Brigitte wußte, daß Doris recht hatte. „Und ich werde bestimmt nicht die Frau sein, die mit solcherlei Dingen beginnt. Das lassen wir doch lieber jenen anderen Menschen vorbehalten sein.“
   Doris ballte ihre starken Hände zu Fäusten. „Brigitte, wir sind Powerfrauen. Wir werden dem heutigen Schicksalstag mit Stärke entgegentreten, was auch immer auf uns zukommen mag. Wir werden einen Mann in unserem Hause haben, aber ich sage Dir: Er wird uns nichts tun. Wir sind die Stärkeren!“
   „Wir sind die Stärkeren!“ wiederholte Brigitte.
   „Aber wir müssen uns noch etwas einfallen lassen, um die kleine Dorothea-Maria zu schützen. Nicht auszudenken, wenn sie...“
   „Sprich es nicht aus. Wir werden auch dieses Problem meistern.“

SatirepatzerSatirepatzerDorothea-Maria saß vor dem Fernseher und hörte jemanden die Treppe herunter kommen. Schnell stoppte sie den Pippi-Langstumpf-Video, den ihr jemand heimlich zugesteckt hatte und schaltete die Nachmittagstalkshow ein.
   Brigitte eilte die Treppe hinunter und kniff ihre Augen zusammen zu einem messerscharfen Blick. „Dorothea-Maria ich muß mit Dir reden!“
   Dorothea-Maria wußte, daß nun die sachliche Diskussion über ein schwieriges Problem bevor stand, so wie sie nur zwei Frauen führen konnten. Sie schaltete den Fernseher ab.
   „Dorothea-Maria. Ich habe heute einen schweren Fehler begangen. Ich habe einen Unhold zu uns in die WG eingeladen, der uns alle – aber insbesondere auch dich – gefährden könnte. Ich weiß, daß dies ein Fehler war und daß meine Handlung durch nichts beschönigt werden kann. Aber wir müssen nun stark sein und sehen, wie wir damit fertig werden, bis die Situation ausgestanden ist.“
   Die kleine Dorothea-Maria bewunderte Brigitte für die Offenheit, ein derartiges Desaster eingestehen zu können. Sie wußte, was sie zu tun hatte: „OK, Brigitte. Ich werde auf mein Zimmer gehen und darauf warten, daß Du mich rufst, wenn die Gefahr vorüber ist.“ Dorothea-Maria machte ein flehendes Gesicht. „Aber bitte, schließe mich nicht ein.“
   „Nun gut. Dann vertraue ich Dir, daß du dein Zimmer nicht verlassen wirst. Spiele einfach solange ein bißchen mit deinen anatomisch korrekten Puppen.“

Es klopfte. „Na da wollen wir mal sehen, wer hier wen fertigmachen will.“ Doris rieb sich die Hände. „Wenn der uns was antun will, dann hat er sich aber ganz bös geschnitten. Das wird gewaltig nach hinten losgehen, das sag ich dir.“
   Brigitte freute sich über so viel gemeinsame Women-Power und öffnete die Türe. Da stand er.
   „Vorsicht mit den Blumen!“, rief Doris, „Du mußt sie ignorieren, sonst gibt das gleich in ein Abhängigkeitsverhältnis.“
Brigitte blickte konsequent zur Decke „Keine Angst. Ich hab nicht hingeschaut. Sieh mal, ich schüttele ihm nicht einmal die Hand.“
„Ja, das ist sehr gut so. Laß ihn keine Macht über dich ausüben.“
„Jaja, das könnte dem so passen.“
Etwas irritiert betrat der Mann das Zimmer.
„Gleich wird er sich auf das Sofa setzen.“ Doris machte ein angewidertes Gesicht. „Sieh nicht hin. Wahrscheinlich wird er gleich seine stinkenden Schuhe auf den Tisch legen, die Hand in seine Hose stecken und onanieren.“
„Mein Gott pfui!“ Brigitte verzog den Mund. „Das will ich nicht sehen.“
Doris schnüffelte. „Riechst Du den Schweiß? Männerschweiß!“
„Es ist schon ein Skandal!“ Brigitte konnte ein leichtes Würgen im Hals nicht unterdrücken.

Brigitte und Doris standen mit dem Gesicht zur Wand, die Schweinereien des Mannes nicht mit ansehen zu müssen. „Er müßte mit seiner Untat jetzt allmählich fertig sein.“, murmelte Doris. „Selbst das größte Schwein muß einmal genug haben.“
   „Macht das, was der Mann jetzt wohl gemacht hat, irgendwelche Sauerei für unsere WG?“
   „Das weiß ich auch nicht so genau. Vielleicht sollten wir ihm die Klotüre aufmachen. Dann können wir das Schlimmste vermeiden.“ Sie gingen seitwärts an der Wand entlang. „So, jetzt noch hier um die Ecke. Du brauchst dich nicht umzudrehen, wir finden die Klotüre auch so.“ Doris öffnete die Türe.

Brigitte erschrak. „Er hat den Klodeckel geöffnet.“
   Doris schlug mit der Faust gegen die Wand. „Verdammt. Er wird wohl mit Sicherheit im Stehen pinkeln.“
   „Was ist das?“, wollte Brigitte verwundert wissen.
   „Sie stellen sich vor das Klo und ...“ Doris hielt sich den Finger vor den Mund. „Sssscht. Hörst du das. Es prasselt. Er pißt den ganzen Fußboden voll.“ Sie stützte ihre Fäuste in die Hüften. „Genau das. Das ist ein Stehendpinkler.“
   „Schnell, dreh dich wieder um. Ich glaube er kommt raus.“
   „Natürlich ohne die Hände zu waschen.“
   
„Na dann laß uns mal nachschauen“, sagte Doris, als sie die Klotüre öffnete. „Nun schau dir das an. Der ganze Fußboden ist voll mit Pisse und der Klodeckel steht offen. Gespült hat er auch nicht.“
   „Und wie das stinkt“, fügte Brigitte hinzu.
   „Ich glaube, er hat auch einen Slip von mir aus der Schmutzwäsche geklaut. Würde mich nicht wundern, wenn er schon wieder auf dem Sofa sitzt und das Teil bearbeitet.“
   „Ich will gar nicht daran denken. Komm Doris, laß uns den Fußboden putzen.“
   Doris schüttelte entsetzt den Kopf. „Dafür sind wir ihm gerade noch gut genug.“
   „So ist es immer gewesen. So wird es immer sein. Es ist aussichtslos, dagegen anzukämpfen.“

Brigitte erstarrte. Ihre Hände zitterten, ihre Knie wurden weich. Dann schrie sie: „Doris! Doris!“
Doris ließ den Putzlumpen fallen und kam aus dem Klo heraus gelaufen. Sie riß ihre Augen auf und ihr Gesicht wurde zu einer Maske des Entsetzens. „Oh mein Gott!“ rief sie und immer wieder „Oh mein Gott!“. Sie konnte den Anblick kaum ertragen. Da saß das Monster an der einen Seite des Sofas und die kleine, wehrlose Dorothea-Maria an der anderen.
Brigitte fing sich als erste wieder. Sie stürzte auf den Perversen zu und schlug ihm die Faust in den Magen. Noch ehe der Mann recht wußte, wie ihm geschah, umklammerte sie seine Kehle mit einem Würgegriff und trat ihm mit dem Knie zwischen die Beine. Der Mann schrie auf. Nun kam Doris hinzu und packte den Mann mit einer Hand am Kragen. Seine Füße baumelten in der Luft. „Zu Hilfe! Zu Hilfe!“, kreischte er, „Ich hätte ja nie gedacht, daß Frauen so stark sein können.“
„Na da sieht so einer mal, wohin das führt, sich an unschuldigen Frauen und Kindern zu vergreifen!“ Brigitte befreite ihn vom Würgegriff und öffnete die Türe. Mit einer einzigen Handbewegung beförderte ihn Doris hinaus in den Flur. Brigitte konnte ihn die Treppe hinunterpurzeln hören. Die Superweiber brüllten ihm hinterher, daß ihm die Ohren schmerzten und spuckten die Treppe hinunter.
Plötzlich besann sich Brigitte. „Dorothea-Maria!“, rief sie.

„Zieh dich sofort aus, damit ich sehen kann, was der Unhold mit dir gemacht hat.“, befahl Brigitte.
   „Die Frau von Wildbitter wird gleich hier sein.“, sagte Doris, die am Fenster stand.
Beruhigend redete Brigitte auf das Kind ein: „Du wirst jetzt für einige Zeit von zu Hause weggebracht werden. Du wirst bei einer Frau wohnen, die wird alles wieder ungeschehen machen, was passiert ist. Doch die Wunden, die Dir zugefügt wurden, werden dein ganzes Leben nicht heilen, weißt du. Du sollst die schreckliche Wahrheit wissen: Deine Kinderseele ist jetzt tot. Tut mir leid.“

„So ein armes kleines liebes Mädchen“, schwärmte die Frau von Wildbitter als sie die WG betrat.
   „Sie erinnert sich an nichts.“, empörte sich Doris.
   „Und sie hat keinerlei körperliche Symptome“, fügte Brigitte hinzu.
   „Der Täter scheint ein Profi gewesen zu sein.“, antwortete die Frau von Wildbitter.
   Doris wandte sich dem Kind zu: „Du mußt jetzt mit dieser lieben Frau mitgehen, damit es dir wieder besser geht.“   
Die Frau von Wildbitter lächelte breit. „Ja, Du liebes kleines Mädchen. Das wird ganz toll werden. Gib der lieben Tante einen dicken Kuß, damit alles wieder gut wird.“

Brigitte legte sich entspannt auf das Sofa. „Zum Glück ist das Sofa sauber geblieben.“
   Doris grübelte. „Wahrscheinlich hat der Typ überhaupt nichts getan die ganze Zeit.“
   „Du meinst, er ist nur dagesessen die ganze Zeit?“
   „Schon möglich. Hast du dir den Typen mal angesehen, als du ihn verprügelt hast? Ich sag dir was: Der hat bestimmt keinen Schwanz.“
   Entsetzt riß Brigitte den Mund auf. „Nein, die Männer von heute sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren.“
   „Du sagst es, Brigitte. Wo sind nur die richtigen Männer geblieben?“
   „Nun, da fällt mir Sean Connery ein. Das ist noch ein richtiger Mann.“
   Doris ging zum Videoschrank. „Weißt du was? Den haben wir uns heute verdient. Wie wäre es mit James Bond jagt Dr. No?“
   „Den oder keinen an einem Tag wie heute!“

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von Metti am 06.10.2014:

Meine feministische Geschichte aus dem Jahr 1998. So etwas würde ich heutzutage natürlich nicht mehr schreiben. Oder vielleicht doch?




geschrieben von heuberger am 21.07.2015:

Faszinierende, geradezu "hinterfotzige" Geschichte. Ich pendle im Gemüt hin und her. Soll ich weinen? Soll ich lachen?




geschrieben von ehemaliges Mitglied am 02.08.2015:

Also ,ich wollte eigentlich ins Bett gehen ,aber dachte :,, Ich sollte mal was von Andreas lesen und fand dies!" Bei der Überschrift,war ich schon Neugierig und fing immer weiter an zu lesen.Umso mehr ich las,umso mehr wurden meine Augen wieder wacher. Ich habe gelacht!" Ich habe geschmunzelt!" Dann dachte ich:,, Gibt es solche Frauen wirklich?" Als ich gewisse stellen gelesen hatte,wurde ich leicht rot (denn ich bin schüchtern) klar glaubt es mir keiner aber es ist so!" Ich finde diese GESCHICHTE schreit danach,das eine Frau wie vielleicht ich,mal hier eine Fahne für die Männer hoch halte ;) Man kann nicht ohne sie sein,aber mit ihnen hat man nur Probleme besonders im BAD !"




geschrieben von Metti am 03.08.2015:

Nein, solche Frauen gibt es natürlich nicht. Oder doch?




geschrieben von Friedrich Malinowski am 09.02.2016:

Dramatische Geschichte.




geschrieben von Metti am 09.02.2016:

Dramatisch. Echt? Das klingt ja ernster als die Geschichte sein sollte.

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