geschrieben 2025 von Jo (Jo Hannes Coltitz).
Veröffentlicht: 30.10.2025. Rubrik: Fantastisches
Die Strafe des Geistes (Fanfiktion)
Es war diese kleine Pyramide, die meine Aufmerksamkeit in Anspruch nahm.
Und sie war noch ungeöffnet.
Offenbar wurde sie einfach im Laufe der Jahrhunderte übersehen.
Oder der Sand der Wüste hatte sie erst vor kurzem freigegeben.
Eigentlich eine Zufallsentdeckung.
Ich schätzte ein, dass sie in den jüngeren Dynastien erbaut wurde.
Mein Professor hatte an einem anderen Ort seine Ausgrabungen beendet und meine Unterstützung nicht mehr benötigt.
Meine Tätigkeit in seinem Team war das Erfassen, Datieren, Fotografieren und Kartographieren.
Nun zum Abschluss brachte ich mit einem klapprigen LKW die verschiedensten Ausgrabungsgegenstände zurück nach Alexandria.
Außerdem den Ausgräbertrupp.
Rechts der Fahrstraße, wenn man das überhaupt so bezeichnen durfte, war diese Sanddüne, die die Spitze einer Pyramide freigegeben hatte.
Ich trat augenblicklich auf die Bremse.
Ächzend kam der LKW zu Stillstand und wirbelte eine Mischung aus Sand und Staub auf.
Ich konnte meinen Blick nicht von der Pyramidenspitze lösen.
"Alle absitzen", befahl ich den Männern des Ausgräbertrupps. "Darin könnte eine Pyramide verborgen sein. Wir sollten sie freilegen."
Ich wies mit Hand auf die Sanddüne.
Die Männer murrten widerwillig.
"Wenn wir erst in Alexandria zurück sind, bezahle ich euch für eure Arbeit", sicherte ich ihnen zu.
Sie machten sich an die Arbeit.
Falls wirklich eine Pyramide unter der Düne versteckt ist, so war ich überzeugt, wäre meine Karriere besiegelt.
Ich träumte bereits von den Schlagzeilen, den Presseterminen und den Fernsehauftritten.
Da unsere Verpflegung und der Wasservorrat limitiert waren, spornte ich die Männer zur Eile an.
In einer Frist von zwei Tagen legten wir den Eingangsbereich der Pyramide frei, der mit einem ca. sechs Meter hohen bronzenen Tor mit allerlei Hieroglyphen versehen ist.
Ich war mir sicher, dass die Pyramide in etwa den Abmessungen des Grabes des Chenkäus I. entsprach.
Achmed der Vorarbeiter der Ausgräber wies seine Männer an, das große zweiflüglige Tor mittels Brechstangen aufzuhebeln.
Mit aller Gewalt wirkten sie auf das Tor ein.
Nachdem die Männer die Brechstangen hinter das Bronzetor treiben konnten, verknoteten wir die Brechwerkzeuge mit Seilen, die wir dann am Chassis des LKWs festbanden.
Ich fuhr mit dem LKW langsam an.
Die Räder des Fahrzeugs drehten durch und wirbelten den Sand auf.
Keine Chance.
Das Tor gab keinen Millimeter nach.
Erst als ich den Allradantrieb zuschaltete, löste sich das Tor mit einem Ruck.
Krachend fiel es zu Boden.
Die Männer jubelten.
Jetzt gab es kein Halten mehr.
Wir schnappten uns die Akkulampen und verschwanden im Inneren der Pyramide.
Ich traute meinen Augen kaum.
Im Inneren landeten wir in einer Halle, in deren Zentrum ein Sarkophag stand.
Im Umkreis um diesen waren eine Vielzahl von farbigen Tongefäßen mit verschiedenem Inhalt aufgestellt.
Bernsteinschnitzereien, Edelsteine, Getreide, Geschmeide, Gold-, Kupfer- und Silbermünzen, und auch Steintafeln mit Gravuren, eine goldene Imothepstatue sowie Papyrusrollen.
"Keiner rührt hier etwas an, bevor wir das alles gesichtet und katalogisiert haben", rief ich.
Die Männer schüttelten mit dem Kopf.
Ich sah die Gier in ihren Gesichtern.
Einen Augenblick später spürte ich einen heftigen Schlag auf meinen Hinterkopf.
Mir wurde es schwarz vor den Augen.
Ich verlor die Balance und schlug hart auf dem Steinboden auf.
Filmriss.
Als ich aus der Bewusstlosigkeit erwachte, wusste ich nicht wie lange ich hier schon lag.
Ich sah mich um.
Und ich war allein.
Alles Wertvolle war fortgeschafft wurden.
Selbst der Sarkophag war geöffnet.
In ihm lag ein in Tücher eingehüllter Leichnam.
"Mist", knurrte ich. "Nicht einmal die Totenruhe haben sie respektiert."
Ich erschrak bis ins Mark, als ich diese bläulich schimmernde Halluzination eines Geistes vor mir schweben sah.
"Wer bist du?", fragte ich unsicher.
"Wer war ich, wäre die klügere Frage gewesen", grollte der Geist.
"Also, wer warst du?", berichtigte ich meine Frage.
"Zu Lebzeiten ein angesehener Heilkundiger und Hohepriester der Imotheplehren."
"Und dafür bekommt man eine Pyramide gebaut? Offenbar studiere ich das falsche Fachgebiet", stellte ich resigniert fest.
"Ich hatte einst tausende Menschen geheilt und komplizierte Eingriffe durchgeführt. Selbst zwei Pharaos mit ihrem Gefolge kamen zu mir, um ihre Leiden zu lindern. Auf diese Art bin ich zu Wohlstand gekommen, den das räudige Diebesgesindel weggeschleppt hat. Bei dem der immer war und immer ist schwöre ich, dass ich mir jedes einzelne Stück zurück hole."
"Witzbold", verspottete ich in meinem Übermut den Geist.
"Du ahnst nicht, welche Macht in mir wohnt", entzürnte er sich. "Das Ende des körperlichen Seins bedeutet keineswegs, dass man tot ist."
Der Geist blähte sich auf und spie mir einen derart gewaltigen Luftstoß entgegen, dass ich rücklings erneut auf dem Boden aufschlug.
Der Aufprall presste mir den Atem aus der Lunge.
Wieder wurde mir schwarz vor den Augen.
Als ich dieses Mal aufwachte, war es völlig still in der Pyramide.
Die Männer hatten tatsächlich ganze Arbeit geleistet.
Von ihnen selbst war weit und breit nichts mehr zu sehen.
Sie hatten das Diebesgut auf den LKW geladen und weggekarrt.
Wenigstens meine Ausrüstungsgegenstände hatten sie zurück gelassen.
Und den Proviant.
Offenbar benötigten sie allen Platz auf der Ladefläche des LKWs.
Ich nahm einen kräftigen Schluck Wasser.
Dann suchte ich meinen Fotoapparat um das Innere in der Pyramide abzulichten.
Die Gefäße mit dem Getreide, Dosen mit Pülverchen und die Schriftrollen katalogisierte ich in meinem Tagebuch.
Das Gefäß mit den Bernsteinschnitzereien hatten die Diebe auch zurückgelassen.
Ihrem Wert maßen sie offensichtlich keinerlei Bedeutung bei.
Der Verstorbene war also zu seiner Zeit Arzt, erinnerte ich mich an die Worte des Geistes.
Im alten Ägypten war es nicht unüblich, dass hochgestellte Beamte, Priester, Künstler und Ärzte in monumentalen Bauwerken bestattet wurden.
Die Papyrusrollen öffnete ich sorgfältig, um die Texte zu fotografieren.
Ich war noch nicht so bewandert im Entziffern der Hieroglyphen, aber dank der Fotos könnte ich den gesamten Fundus später noch übersetzen.
Vielleicht enthielten die Texte eine Niederschrift seiner Forschungen.
Ich arbeitete wie besessen, um die Zeit sinnvoll zu nutzen.
Irgendwann würde die Pyramide von vorbeifahrenden Autos entdeckt werden, was sich zeitnah bestätigen sollte.
Bald hatte ich soweit alles Wichtige in meinem Tagebuch erfasst.
Ich wagte, als ich vor mich hin sinnierte, ein wenig von meiner Karriere zu träumen.
Diese Entdeckung würde mir das begehrte Magisterdiplom bescheren.
Mein Professor würde mich für meine Entdeckung auf Händen tragen.
Ich würde eindrucksvolle Präsentationen dank meiner Fotos zusammenstellen.
Und ich würde als Entdecker einer noch unbekannten Pyramide ins Licht der Öffentlichkeit rücken.
Was zählte da schon der Verlust des Grabschatzes.
Ich wurde unsanft aus meinen Träumereien geweckt.
Ein Ragib awwal (Oberfeldwebel) stieß mich mit der Stiefelspitze in die Seite.
Dazu richteten vier Soldaten ihre AK47 auf mich.
Ohne große Diskussionen wurden mir Handschellen angelegt und ich wurde mitsamt meines Gepäcks auf die Ladefläche des Armeelasters geworfen.
Zwei Soldaten ließ der Oberfeldwebel als Posten bei der Pyramide zurück.
Die Fahrt dauerte die ganze Nacht.
In den Morgenstunden landete ich in einem Militärgefängnis in Kairo.
Ein Moquaddim (Oberstleutnant), der fließend Englisch sprach, holte mich zum Verhör.
Ich erzählte dem Mann alles, was ich erlebt hatte.
Der Offizier hörte aufmerksam zu, schüttelte mehrmals ungläubig den Kopf und schrieb sich das wichtigste in sein Notizbuch.
Dann wurde ich zurück in meine Zelle gebracht.
Zu meinem Erstaunen wurde ich reichlich bewirtet.
Kurz vor Sonnenuntergang des darauf folgenden Tages kam der Moquaddim persönlich in die Zelle.
"Mister Elias Ericsson, sie sind vom Vorwurf der Grabräuberei freigesprochen. Alles was sie mir während des Verhöres geschildert haben, hat sich bestätigt. Seien sie froh dass der ominöse Geist es nicht auf sie abgesehen hat. Ich möchte nicht wissen, was den Grabräubern für Strafen blühen."
Er händigte mir meinen Pass und das Visum aus.
"Ach noch etwas", sprach er. "Professor Mohabi vom Institut für altägyptische Archäologie möchte gern, dass sie ihre Aufzeichnungen in Ägypten auswerten. Sie sind in Kairo herzlich willkommen."
Irgendwann zu späterer Zeit las ich in der Zeitung, dass mehrere Männer, die namentlich dem Trupp der Ausgräber angehörten, gewaltsam oder auf unheimliche Art und Weise verstorben sind.
Ebenso bekannte Hehler, die die Grabbeigaben aufkauften.
Der Geist hatte tatsächlich seine Drohung wahr gemacht, seinen Grabschatz Stück für Stück zurückzuholen.
Ende
Jo Hannes Coltitz, im Oktober 2025
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