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9xhab ich gern gelesen
geschrieben 2022 von Christelle (Christelle).
Veröffentlicht: 03.05.2022. Rubrik: Fantastisches


Kapitel 5: Fortsetzungsgeschichte, Ende offen

Der Vorhof zur Hölle

Wir erreichten den Drahtzaun und sahen uns das daran befestigte Transparent mit seiner „glücklichen“ Botschaft aus der Nähe an. Wir mussten diesen merkwürdigen Hühnerhof unbedingt erkunden, unsere Neugier war geweckt.

Die Umzäunung war nicht sehr hoch, so dass wir diese problemlos mit einem Flügelschlag überwinden konnten. Nur der kleinen Isolde fehlte die Kraft dazu. Sie fand aber schnell eine beschädigte Stelle im Zaun. Von dort konnte sie ebenfalls ins Innere der Anlage schlüpfen.

Kein einziges Huhn hielt sich draußen auf. Wir fragten uns, warum alle an diesem sonnigen Tag in ihren Ställen hockten.

Plötzlich wurde ein großes Tor an der gegenüberliegenden Seite dieser Anlage geöffnet und ein LKW fuhr herein. Er hielt genau vorm Eingang des flachen Gebäudes und zwei Männer sprangen heraus.

Wir Küken duckten uns ins hohe Gras, denn wir wollten auf keinen Fall entdeckt werden. Wir beobachteten, wie die Männer nach und nach Hennen auf ihren LKW verluden. Diese Hennen waren in einem schrecklichen Zustand. Sie hatten nur wenige Federn und konnten kaum auf ihren eigenen Beinen stehen.

„Ist das hier ein Sanatorium für kranke Hühner?“ fragte Isolde. „Diese Hühner werden bestimmt zu einem Arzt gebracht“, mutmaßte Friederike, „man sieht ja, dass es ihnen nicht gut geht.“

Ich bezweifelte das, denn die Männer gingen nicht gerade sorgsam mit den Tieren um, sondern warfen sie auf die Ladefläche des LKW, wo sie zum Teil übereinander zu liegen kamen.

Als der LKW vollbeladen den Hof verlassen hatten, trauten wir Küken uns bis zum Eingangstor des Gebäudes vor. Das Tor war nicht verschlossen, was vermuten ließ, dass die Männer noch einmal zurückkehrten. Deshalb war Eile angesagt.

Wir betraten das Gebäude. Drinnen war es dunkel; aber ein erbärmlicher Gestank kam uns entgegen. Als sich unsere Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sahen wir mehrere hundert, vielleicht sogar tausend Hennen eng zusammengepfercht auf Eisengittern hocken. Sie hatten kein Stroh, ihr Kot fiel durch die Öffnungen des Gitters. Einige waren so aggressiv, dass sie versuchten, anderen die Federn auszurupfen, was ihnen auch gelang. Diese gerupften Hennen sahen kaum gesünder aus als die, die vorher auf den LKW geladen worden waren.

Andere Hennen waren ganz ruhig und phlegmatisch, so als wenn sie sich schon aufgegeben hätten.

Wir waren schockiert. Wo waren wir denn hier gelandet? Wir versuchten, mit den Bewohnern ins Gespräch zu kommen, doch ihre Aggressionen wandten sich jetzt gegen uns. Wir konnten ihnen aber ausweichen, da sie sehr schwach auf den Beinen waren.

Eine Henne, die traurig und in sich zusammengesunken in der vordersten Reihe saß, fragte mit leiser Stimme: „Wo kommt ihr denn her?“ Wir erzählten ihr von Wilhelms Hühnerhof und sie beantwortete auch unsere Fragen. So erfuhren wir, dass hier nur Legehennen wohnten. Sie wurden gezüchtet, um möglichst viele Eier zu legen, mindestens 300 bis 400 im Jahr. Das tun sie zwei Jahre lang, dann sind sie völlig ausgelaugt. Weil sie für diesen Job dann nicht mehr zu gebrauchen sind und auch ihr Fleisch kein Genuss ist, werden sie entsorgt, so wie die Hennen, die kurz zuvor per LKW abtransportiert wurden.

Charlotte stieß mich an.„Von unseren drei fleißigen Lieschen, die Wilhelm gerettet hat, wurde auch behauptet, sie seien völlig ausgelaugt. Könnte dies die Legebatterie sein, wo Wilhelm die drei hergeholt hat?“

„Es ist eher der Vorhof zur Hölle“, antwortete ich wütend, „wie kann man Tiere so behandeln?“

„Ich werde die drei mal interviewen, wenn wir wieder zu Hause sind“, sagte Charlotte entschlossen, „doch jetzt müssen wir den Heimweg antreten, sonst wird es zu spät. Im Dunklen dürfen wir auf keinen Fall unterwegs sein, weil wir dann unsere Fressfeinde nicht rechtzeitig erkennen können.“

Friederike schlug vor, die freundliche Henne, die uns soviel über diese Anlage erzählt hatte, mitzunehmen, doch Charlotte lehnte ab: „Das geht nicht, sie ist viel zu schwach. Sie kann weder laufen noch fliegen und würde uns nur aufhalten. Wahrscheinlich würde sie unterwegs das Opfer eines Habichts oder Fuchses sein.“

So machten wir Geschwisterküken uns auf den Heimweg. Wir sahen noch einmal das Plakat mit der Zeichnung einer glücklichen Henne, die ein überdimensional großes Frühstücksei mit ihrem Flügel umfasste. Diese Botschaft hatte absolut nichts mit dieser schrecklichen Realität zu tun. Wir waren total geschockt - für uns war es tatsächlich der Vorhof zur Hölle.

Es folgt Kapitel 6: Heimweg mit Hindernissen vom 6.05.2022

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von Gari Helwer am 03.05.2022:
Kommentar gern gelesen.
Ist wieder spannend, aber auch bedrückend von dir geschrieben! (Bin ein Fan der kleinen Isolde!) - Im Fernsehen habe ich mal einen Beitrag gesehen, der zeigte, dass aus den armen Hühnern, die im LKW fort gebracht wurden, Brühwürfel gemacht werden. Wenn ich nur daran denke, wird mir schlecht! Warum gehen wir nur so schändlich mit unseren Mitgeschöpfen um??? Es ist zum Weinen... Bin - wie immer - gespannt, wie es weiter geht! Liebe Grüße!




geschrieben von Ohnelly am 03.05.2022:
Kommentar gern gelesen.
Eindrücklich dargestellt. Diesmal fühle ich direkt wie bedrückend es für die Küken dort ist. Du schickst mich ja echt auf eine Achterbahn in deiner Geschichte. Ich war schon vom miterleben der Geburt aus dem Ei sehr ergriffen. Danach hast du kuschelige Bauernhofromantik serviert, mich anschließend neugierig gemacht, dann zum Lachen gebracht und jetzt auch noch zum Nachdenken? Respekt.




geschrieben von Christelle am 04.05.2022:

Herzlichen Dank euch beiden für die tollen Kommentare. Ich kann‘s gar nicht glauben, Ohnelly, dass die einzelnen Kapitel solche Auswirkungen auf dich hatten. Aber wenn es so ist, freut es mich sehr. Wie es weitergeht, weiß ich selber nicht genau, weil mir beim Schreiben manchmal neue Ideen kommen und das Kapitel endet völlig anders,als ich es ursprünglich geplant hatte. Aber Kapitel 6 ist fast fertig, so dass ich dir jetzt schon verraten kann, Gari, dass die kleine Isolde wieder dabei ist. Nochmals herzlichen Dank!




geschrieben von ehemaliges Mitglied am 25.06.2023:
Kommentar gern gelesen.
Einfühlsame Beschreibung der Funktionsweise einer Eierfabrik.
Wer auch nur ein Bisschen Einfühlungsvermögen hat, kann das nicht so einfach wegstecken.
Jeder weiß es, aber die Qual von LEBEWESEN geht immer weiter.
Gut geschrieben, doppelt gern gelesen!
LG jüro




geschrieben von Christelle am 26.06.2023:

Herzlichen Dank für deinen Kommentar!

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