geschrieben 2025 von Rautus Norvegicus (Rautus Norvegicus).
Veröffentlicht: 09.12.2025. Rubrik: Abenteuerliches
Die Wölfe von Przedwojow - Abenteuerliches
Endlich wieder in Polen, Herbstferien 1979. Es war immer noch relativ warm, ich wollte in dem kleinen Teich, der nur etwa 20 Meter von dem herrlichen, alten Gutshaus entfernt war, ein paar Runden schwimmen gehen. Erst gestern waren wir auf dem großen Gehöft von Onkel Dieter und Tante Susie angekommen.
Rund zehn Stunden hatte die Fahrt über
Autobahnen und Landstraßen gedauert, von Essen in Nordrhein-Westfalen, hierher, in das kleine, malerische, aber scheinbar im vorigen Jahrhundert zurückgebliebene Dorf Przedwojów. Zehn Minuten Fußweg entfernt lag das Herrengut meines Onkels. Es war zwar ein herrliches altes Anwesen, mit dem romantischen Namen „Waldschlösschen“, allerdings hatten Wind und Wetter über die lange Zeit seines Bestehens deutliche Spuren von Alterung und Abnutzung an der nun grauen, ehemals weißen Fassade mit deren
Stuck-Elementen hinterlassen. Direkt um das Haus herum eine große Scheune aus Holz, darin konnte man aus luftiger Höhe vom Dachgebälk in eingelagertes Stroh, das täglich frisch als Unterlage für die Tiere im Schweinestall bzw. Kuhstall benötigt wurde, springen.
Ein Schweinestall, frisch himmelblau angestrichen. Die Schweine, es mögen 40 gewesen sein, waren nervöse, schreckhafte Viecher. Die Tür knarrte sehr laut beim Öffnen, jedes Mal, wenn jemand in den Stall ging, fingen die Schweine an zu quicken wie besessen und bekamen fast einen Herzinfarkt! Ich hielt mich nicht sehr gern darin auf, meine erklärten
Lieblingstiere waren die Kühe im Kuhstall. Zehn rechts, zehn links standen sie sich
gegenüber, guckten lieb und käuten geduldig den ganzen Tag Silage, das war je nach Jahreszeit frisches Gras, Heu, Stroh und andere Kräuter und pflanzliche Silofutter, wider.
Es waren rotbunte Tiere, mit braun/weißem Fell, weiße Kühe mit den schwarzen Flecken
heißen logischerweise schwarzbunt. Für mich als Großstädter war zwar nichts Rotes und nichts Buntes an den Kühen, aber ich fragte nicht weiter. In dem Stall hatte auch die Saga ihren Platz. Etwas abseits, aber so, dass sie das gesamte Geschehen im Auge und in der Nase behalten konnte: Sie war ein riesiger, beiger Podhalaner, das ist eine polnische Hüte- und Wachhund-Rasse. Polski Owczarek Podhalanski.
Saga wog sicherlich an die 80 Kilogramm, war von eindrucksvoller Gestalt, dabei aber sehr verschmust und freundlich zu ihr bekannten Personen, und, was ja eigentlich ihr Zweck war, sie bewachte und umsorgte die ihr anvertrauten Herden, wozu auch ihre Menschen gehörten. Ihr
Platz war bei den Kühen. Ich freute mich immer sehr, wenn ich sie in den Ferien wieder sah, einer meiner ersten Wege auf dem Hof führte zu ihr, ich ließ mich auf die Knie hinab und umarmte sie. Im Herrenhaus, in einem eigenen, leeren Raum im Erdgeschoss, lebte
eine zweite Podhalaner-Hündin, namens Holly. Ein gewaltiges Tier wie die Saga, aber uns Kindern war es strickt verboten, sie zu besuchen oder zu streicheln, denn sie war ein scharfer Wachhund, der erst zubiss und dann fragte!
Gegen elf Uhr nahm ich meine Angel
um ein paar Fische aus dem Teich zu zu erbeuten. Ich wusste, den Tag über wäre ich ganz allein auf dem Hof. Onkel Dieter, Tante Susie, meine Schwester und auch mein Cousin Fritz waren bei Ernte-Arbeiten, die bis in den späten Abend dauern sollten, auf den Feldern. Am Ende meiner Angelschnur hatte ich keinen Haken, war gar nicht interessiert daran, einen Fisch aus seinem Element zu reißen, döste mehr vor mich hin.
Plötzlich schlug Holly im Haus an, ich konnte hören, wie sie auf den rohen Holzdielen hin und her lief. Was
sie wohl hatte? Sonst war sie völlig unauffällig! Mein Blick richtete sich auf die Ausläufer des Waldes, die bis auf wenige Meter zu uns herunter reichten. Ich glaubte, meinen Augen nicht trauen zu dürfen: Wölfe! Zwei Canis lupus, bestimmt um die siebzig Zentimeter, schlanke, drahtige Wölfe! Jetzt wusste ich, aus welchem Grund Holly so wild bellte, sie
hatte die Witterung ihrer ungezähmten Artgenossen wahrgenommen.
Die Wölfe, nebeneinander wie ein Schlägerduo, waren bis auf zwei Meter an mich heran gekommen, die Zähne gebleckt, Augen schwarz, groß, funkelnd. Einer von ihnen sprang lang gestreckt
auf mich zu, mir blieb keine Zeit, zu reagieren. Im gleichen Augenblick, ein zweiter Schatten, schnellte von hinten an mir vorbei, rammte den Wolf, der laut und erbärmlich aufjaulte. Saga! Sie rammte den Wolf mit ihrer großen Körpermasse.
Ich konnte deutlich hören, wie Rippen des angreifenden Wolfs brachen.
Mit heraus hängende Zunge knallte
das bereits jetzt schwer verletzte Tier auf den Boden; gnadenlos fiel die sonst so friedliche Saga über den Wolf her, ließ ihn nicht zu Ruhe kommen, biss ihm eine Vorderpfote und eins seiner Ohren ab! Der Wolf heulte panisch, aus Sagas Maul drang ein abgrundtiefes
Grollen, sie wusste, sie hatte gesiegt und wandte sich ab. Aber plötzlich, hinterrücks wurde sie von dem zweiten Wolf attackiert! In diesem Augenblick zerbrach eine Fensterscheibe! Holly, in ihrem Raum, hatte sehr wohl den Kampfeslärm wahrgenommen.
Jetzt war sie mit einem gewagten Satz durch das geschlossene Fenster gesprungen, machte drei gewaltige Sätze und befand sich mitten im Kampfgetümmel! Wie selbstverständlich
stellte sie sich dem zweiten Wolf entgegen, schon mit ihrem erster Biss riss sie die Flanke des Wolfs bis hinunter zu den Eingeweiden auf! Innerhalb kürzester Zeit hatte der Wolf so viel But verloren, dass er sein Heil in der Flucht suchte. Doch er kam nicht weit und wurde
von Holly gestellt. Mit einem Biss in den Nacken tötete sie ihn!
Saga hatte in der Zwischenzeit kurzen Prozess mit ihrem Wolf gemacht. Der hatte nun gar keine
Vorderpfoten mehr, keine Ohren, geradezu zerfleischt hatte sie ihn! Ich saß wie erstarrt. Saga setzte sich an meine rechte Seite. Holly an die linke und ich wusste, die beiden Hunde hatten mir das Leben gerettet. Sie hoben beide den Kopf und heulten triumphierend in den Himmel.
Als am Abend Onkel Dieter, Tante Susie, meine Schwester und auch mein Cousin Fritz wieder zurück kamen, erzählte ich von meinen Erlebnissen. Ja, ich habe damals viel erlebt, in Polen!
……...............................................Ende.................................................................................
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