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geschrieben 2025 von Rautus Norvegicus (Rautus Norvegicus).
Veröffentlicht: 02.12.2025. Rubrik: Aktionen


(Aktion Dezember - Schon wieder pleite) - Eine Weihnachtsgeschichte - Persönliches

Mir ist es kalt wie immer. Daran bin ich aber aber gewöhnt. Deutlich ist meine
Körpertemperatur gesunken, die gestörte Regulation, so denke und erkläre ich mir diesen Dauerzustand wenigstens.

Das liegt am Alkohol, aber das ist mir heute fast egal, denn ich kann etwas Geld verdienen. Weihnachten, das Fest der Liebe, der Nächstenliebe. Es ist acht Uhr morgens und mir ist kalt, was meinen Tremor zusätzlich verstärkt. Mein Bruder
sagte immer, die Kälte ist die Braut des Alkoholikers, lachte und trank Bier. Meist trank er keinen Schnaps, sondern nur Bier, war auch Alkoholiker. Er war Biertrinker und Pommes-Majo-Esser, das sah ihm jeder sofort an, war klein und dick, einsfünfundsechzig bei einhundertfünf Kilo.

Fettige Haare und fettige Brillengläser, fett eben war seine Attitüde, aber was soll's, er Ruhe in Frieden, es ist Weihnachten. Ich bin schlank und penibel gepflegt, das lasse ich mir nicht nehmen, allein aus dem Grund, meinen Bruder in keiner Weise zu ähneln. Der hat seit zwei Jahren alles hinter sich, Leberzirrhose, Delirium tremens, Exitus. Bei mir soll es noch nicht so weit sein. Ich trinke noch schnell ein Glas Wodka. Wodka ist besser als Bier, weil hochprozentiger Fusel nicht so penetrant aus jedem Knopfloch stinkt.

Putze mir noch einmal gründlich die Zähne und dann, um sicherzugehen, mit zugehaltener Nase ein Glas Apfelessig runter, um jeden Ansatz von
Alkoholgeruch in meinem Atem auszuschließen. Schwarze Stiefel an, roten Lodenmantel, rote Bischofsmütze, in Form einer Mitra. Die Klamotten und natürlich ein großes, schweres, in Leder eingebundenes Buch, hab ich mir wieder, wie jedes Jahr, von einem Kumpel organisieren lassen.

Der ist Requisiteur beim Aalto Theater in Essen. Zum Glück brauche ich nicht auch noch Geschenke mitschleppen, die werden bereits vor Ort sein, wie beim letzten Mal. So ausstaffiert gehe ich zum Seniorenheim, das ich in nur fünf
Minuten zu Fuß erreiche. Die gläserne Schiebetür öffnet automatisch, Wärme schlägt mir entgegen. „Ho Ho, hier kommt der Weihnachtsmann“, rufe ich quer durch die Eingangshalle zum Rezeptionisten und schreite gemessenen Schrittes feierlich auf ihn zu.

Es ist warm in der Halle, sehr warm, meine Brille beschlägt. Wie durch eine Mattglasscheibe hindurch erkenne ich sein abwehrendes Winken. „Ist alles abgesagt. Komm nächstes Jahr wieder, du Weihnachtsmann!“ Er grinst breit bei seinen Worten, um anzudeuten, dass er witzig ist. „Weihnachten ist abgesagt? Wie kommt's?“, frage ich und runzle die Stirn. „H3N2, Subklade K. Hochansteckend. Überlebt keiner!“ Sein Grinsen ist noch breiter geworden.

„Und auf deutsch heißt das was?“, frage ich etwas ungehalten, ich merke nämlich, dass ich langsam einen Drink brauche. „Neuer Grippevirus. Alle Festivitäten sind aufs nächste Jahr verschoben, für die Herrschaften, die dann noch hier im Haus leben.“ Er grinst wieder breit. Mir gefällt sein Grinsen nicht mehr. „Aber mein Geld krieg ich doch wohl trotzdem. Immer hab ich einhundertfünfzig Euros bekommen, wenn ich bei den Senioren war. Was ist
damit?“ Er greift unter den Tresen und legt mir drei Scheine hin.

„Bitte sehr, Herr Weihnachtsmann!“ Er lächelt mich an. 'Na, geht doch,' denke ich und erwidere sein Lächeln. „Danke sehr. Frohe Weihnachten!“. Den Weg nach draußen und durch die menschenleeren Straßen nach Hause schaffe ich in Rekordzeit. Mein erster Gedanke, als
ich die Wohnungstür hinter mir geschlossen habe, ist natürlich: Musik! Ich lege mir die CD '8 mile' von Eminem & Konsorten in den CD-Player und will mir ein Butterbrot mit grober Leberwurst herrichten.

So ein Mist, verdammter, als ich den Küchenschrank öffne, guckt mich, fies grinsend, KEIN Brot an! Kurz entschlossen klingle ich bei meinem Nachbarn an der Tür. „Hi, habt ihr zwei, drei Scheiben Brot für mich? Ich habe gerade gemerkt, ich hab keins mehr.“ „Helga, unser Nachbar hat nix zu fressen, haben wir noch Brot für ihn?“ Und zu mir, leise, süffisant: “Schon wieder deine ganze Stütze vom Sozialamt versoffen?

Schon wieder pleite?“

Er drückt mir ein ungeöffnetes, frisches Päckchen Graubrot in die Hand, dreht sich um und knallt mir die Tür vor der Nase zu. „Ich habe Geld!“, entrüste ich mich und greife zu meiner frisch gefüllten Brieftasche, um es ihm zu zeigen. Entsetzt
bemerke ich, dass ich meine Geldbörse verloren habe! Das gibt es doch nicht, soviel Pech und das ausgerechnet zu Weihnachten! Völlig frustriert mache ich mir ein paar Butterbrote, selbstverständlich mit grober Leberwurst bestrichen. Setze mich in meinen gemütlichen, alten Ohrensessel, drücke die Play-Taste des CD-Players, esse sie.

Jetzt habe ich mir auch endlich ein Glas Wodka eingeschenkt, in ein so genanntes original „Stopka“ aus Russland, das fasst ungefähr fünfmal so viel wie ein hierzulande übliches Schnapsglas. Der Wodka kommt aus dem Kühlschrank, das ist nicht gut. Zimmertemperatur, vielleicht eine Nuance kühler, finde ich optimal, da entfalten sich die gesammelten Wodka-Aromen, man genießt gleichzeitig mit Zunge, Gaumen und Nase. Ins Auge sollte der Wodka aber tunlichst nicht gelangen!

Endlich führe ich das Glas an meine
Lippen, den gesamten Tag habe ich mich darauf gefreut. DINGDONG! Die Türglocke lässt mich zusammenfahren und den Arm wild zucken. Ich habe Glück, dass das gerade von mir liebevoll ins Glas applizierte Getränk darin verbleibt und nicht im hohen Bogen durch die Lüfte wogt! Ich bin jetzt fuchsteufelswild! Lasst mich doch endlich etwas trinken!

Ich mache die Tür auf und erblicke die süße kleine, etwa zehnjährige Tochter meiner serbischen Nachbarn, die im Dachgeschoss wohnen. „Meine Mama hat gesagt, das hat sie auf der Treppe gefunden!“, sagt sie schüchtern und hält mir mein Portemonnaie entgegen. Sie ist wieder so unglaublich süß angekleidet. Irgendein serbisches oder mazedonisches Trachtenkleid, dunkelblau, weiße Söckchen und gelbe Schleife in den schwarzen Haaren.

Mama hat es aus Mazedonien hierher verschlagen, Papa kommt aus Serbien. Kennen gelernt haben die beiden sich in irgendeiner Flüchtlingsunterkunft. Sind einmalig nett, die zwei und ihre beiden Kinder.

Ich bin geradezu überwältigt und extrem gerührt, mir steigen die Tränen in die Augen! Hab ich doch tatsächlich auch mal Glück. „Danke, Schätzchen! Frohe Weihnacht und grüße deine Mama und deinen Papa von mir!“

Ich gehe in meine Wohnung und leere meine noch fast volle Flasche Wodka in den Ausguss. Nach kurzem Zögern krame ich auch die Flasche unterm Schrank hervor und kippe sie ebenfalls weg. Weihnachten kann kommen!-----------------------------------------------Ende-----------------------------------------------------------------

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von Babuschka am 02.12.2025:
Kommentar gern gelesen.
Eine anheimelnde Weihnachtsgeschichte. Was für ein Glück, dass deine lieben Nachbarn deinen Geldbeutel gefunden haben.

Steht man einmal im Verdacht, alkoholkrank zu sein, ist es eine der ersten Fragen von Ärzten und Therapeuten: "Haben sie schon einmal Alkohol weggegossen?" ;-)

LG Babuschka






geschrieben von Rautus Norvegicus am 02.12.2025:

Liebe Babuschka,

als ich die Story schrieb, dachte ich auch mal, wie die wohl ankommt und ob jetzt alle denken, ich wäre ein Alki. Aber wer weiß, ich kann ja nicht alles preisgeben 😃Im Laufe meines Lebens hab ich schon viel mit Alkoholkranken zu tun gehabt, so dass ich mich auch nicht auf ganz unbekanntes Terrain begeben habe. Ja klar, die Sache mit dem Wegkippen wirkt etwas unglaubwürdig. Aber Weihnachten ist ja alles möglich😊

Liebe Grüße
🐀
Rautus




geschrieben von Babuschka am 02.12.2025:
Kommentar gern gelesen.
Lieber Rautus,
nein, ganz im Gegenteil, das Ende der Geschichte wirkt durchaus glaubhaft. Denn derjenige, der sich nicht ganz sicher ist mit seinem Alkoholkonsum, kippt gerne mal einen guten Tropfen weg. Viel interessanter wäre es zu erfahren, ob er sich danach in der Tankstelle Nachschub besorgt hat.

LG Babuschka

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