Veröffentlicht: 29.05.2025. Rubrik: Fantastisches
Sören und der Geldautomat
Ein Blick in den Geldbeutel am Freitagabend zeigte Sören nur noch Ebbe. Also noch schnell zum Automaten, um noch bedrucktes Buntpapier abzuheben, sagte er sich. Zunächst musste er mit der EC-Karte die Eingangstür zum Bankcontainer öffnen. Das ging wie immer problemlos. Warum auch nicht? Jetzt zum Automaten selbst. EC-Karte in den Schlitz stecken - wie schon hundertfach zuvor.
Doch was ist jetzt??? Mit einem Ruck wird die Karte reingezogen! Bevor sich Sören versah, wurde er zusammen mit der Karte in den Schlitz gezogen!! Schwupp - war er mittendrin im Automaten! So ein Schreck! Was ist jetzt los? Ein kurzes Abtasten seiner Gliedmaßen - noch alles dran. Keine Schmerzen, keine Blutungen - so was! Seine Hilfeschreie verhallten ungehört - es war ja Nacht. Was ist zu tun? Denk nach, Sören - meinte er zu sich. Aber irgendwie auch nicht so schlecht. Es war warm im Innern, im Gegensatz zur herbstlichen Kälte draußen.
Außerdem: Das viele Geld im Ausgabemechanismus!! Endlich fühlte sich Sören wie Dagobert Duck in seinem Geldspeicher. So viel Bargeld hatte er noch nie auf einem Haufen gesehen. Okay, es ist sowieso Wochenende, ich habe gerade nichts vor, es vermisst mich niemand, vor Montag kommt sowieso keiner, um nach dem Automaten zu schauen, überlegte Sören und beruhigte sich.
Im Laufe des Wochenendes kamen ab und zu Bankkunden, um Geld abzuheben, Überweisungen vorzunehmen oder auch nur den Kontoauszug zu drucken. Aufgrund eines Geistesblitzes verhielt sich Sören ganz still. Diese Situation ist eigentlich auch eine Chance, sinnierte er. Endlich habe ich Einblicke in die finanziellen Verhältnisse der Dorfbewohner, dachte er mit etwas hinterhältigem Grinsen, sich irgendwie auch als Voyeur fühlend. Tatsächlich bekam er nach und nach mit, für was seine lieben Mitmenschen ihr Geld verwendeten.
Ein Mann aus der Hauptstraße, den er flüchtig kannte, ließ sich seinen Kontoauszug drucken. Mensch, der macht ja auf dicken Macker, hat aber nur ein geringes Gehalt und gibt sein Geld für TV-Abos und Bestellungen bei ganz speziellen Versandhäusern aus. Da sieht man es wieder!
Die wie meistens todchic angezogene Frau aus dem Hüttenweg steckte ihre EC-Karte ein - die Karte blieb drin. Die Anzeige des Geldautomaten, die Sören mitlesen konnte, beinhaltete den gnadenlosen Text, dass das Konto wegen totaler und mehrfacher Überziehung für weitere Abhebungen und Überweisungen gesperrt worden sei. „So eine Unverschämtheit!“, gackerte die Frau, „ich kann doch meine Kostüme nicht noch ein drittes Mal anziehen! Ich habe doch sonst nichts anzuziehen!“ Sie stöckelte wutentbrannt von dannen.
Der nächste war ein eher unauffälliger Mann, der meistens Jeans trug, eine eher normale werktags, eine bessere sonn- und feiertags. EC-Karte in den Schlitz - Wunder über Wunder! Der Computer spuckte plötzlich freundliche Töne aus! „Herr Schultze, unsere Bank freut sich, Sie heute begrüßen zu dürfen! Was können wir für Sie tun?“, flötete eine freundliche Computerstimme. Sören war perplex. Ein Blick auf den Kontostand verriet ihm ein Guthaben des Mannes auf dem Girokonto in sechsstelliger Höhe. Ja, wenn das so ist, dann verwendet die Bank den Puderzucker, um... - dachte sich Sören.
Schließlich kam ein merkwürdiger Kauz, der offenbar zahlreiche Warnungen von Banken und der Polizei in den Wind geschlagen hatte. Auf der Rückseite seiner EC-Karte prangte nämlich die mit Filzstift geschriebene Geheimzahl der Karte. Oh nein, wie oft es so etwas immer noch gibt; Sören schüttelte sich bei dem Gedanken.
Erneut wurde es Nacht; es kam niemand mehr. Niemand? Doch! Zwei, mit Sturmhauben Maskierte brachen die Eingangstür zum Container auf und begannen, am Automaten herumzuwerkeln. Sie füllten eine Art Knetmasse in die Schlitze ein und steckten kleine Metallröhrchen hinein, an denen lange, dünne Kabel hingen. Maskierte? Brecheisen? Knetmasse? Metallröhrchen mit Kabeln? Au weia! Schnell schaffte es Sören noch, sich die Ohren zuzuhalten. Mit einem riesigen Knall flog nicht nur der Geldautomat, sondern auch der Container in die Luft. Zum Glück für Sören passierte ihm nichts.
Nichts? Doch! Der im Automat eingebaute Sicherungsmechanismus bewirkte, dass ein knallroter Farbnebel herumgepustet wurde und alles - auch Banknoten und den Sören - entsprechend einfärbte. Aber endlich war Sören wieder frei! Er überlegte sich, ob er auf die Polizei warten solle. Nein, ich warte nicht, schoss es ihm durch den Kopf, wie soll ich schließlich meine Anwesenheit hier erklären? Also sauste er schnellstmöglich nach Hause und verbrachte den Rest des Tages damit, sich von der Farbe zu säubern.
Das war ein Abenteuer! So etwas brauche ich aber nicht noch einmal! So dachte er. Das muss ich aber irgendwie jemandem erzählen.
Was hiermit geschehen ist.

