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3xhab ich gern gelesen
geschrieben von die Juditha.
Veröffentlicht: 27.06.2020. Rubrik: Unsortiert


Persönliche Interpretation des Gedichtes „ein Frauen-Schicksal“ von Rainer Maria Rilke

„So wie der König auf der Jagd ein Glas
   ergreift, daraus zu trinken, irgendeines, -
   und wie hernach der welcher es besaß
   es fortstellt und verwahrt als wär es keines:

   so hob vielleicht das Schicksal, durstig auch,
   bisweilen Eine an den Mund und trank,
   …

Soweit reicht der erste Satz. Das Bild ist die Jagd, bei der als Trophäe der Jäger ein Glas aus Bleikristall beispielsweise erhält. Es ist eine Allegorie für die Eroberung einer Frau durch einen Mann, der hier als jagender König dargestellt wird. Die Jagd gilt als typisches Bild für die Eroberung einer Frau. Stolz auf sein Können nimmt er die Frau wie eine Trophäe mit nach Hause und stellt sie ab. Es gab ein Bedürfnis: „...durstig auch, …“ sagt aus, dass einen Grund gab, das Glas – entsprechend des Zweckes seiner Erschaffung – zu benutzen: Er wollte sie haben. Allerdings währt die Achtung vor seiner Eroberung nur kurz. Wie es bei äußeren materiellen Reizen – wie ein Pokal – der Fall ist. Schon die letzte Zeile der ersten Strophe kündigt an, dass eine Nicht-Beachtung folgt: „es fortstellt und verwahrt als wär es keines“: Diese Missachtung legt sich auf die Frau nieder wie fettiger Staub auf ein Glas aus Bleikristall und bleibt genauso haften.

   … die dann ein kleines Leben, viel zu bang
   sie zu zerbrechen, abseits vom Gebrauch

   hinstellte in die ängstliche Vitrine,
   in welcher seine Kostbarkeiten sind
   (oder die Dinge, die für kostbar gelten).

   …

Als Trophäe hat die Frau an der Seite des Mannes nur noch eine kleines Leben. „Abseits vom Gebrauch“ gehört zum Bild des Glases, das in der Vitrine steht. Mit den Worten„Viel zu bang sie zu zerbrechen“ spricht Rilke von der Frau. Noch ist sie ihrem Mann was wert. Noch gilt sie ihm als kostbar. Er gibt ihr Sicherheit. Er gibt ihr ein Heim. Die Worte „viel zu bang...“ lassen ahnen, dass nichts Gutes mit ihr geschehen wird. Schon Aristotelis sagte, dass die Menge das Gift mache. Ist eine Sache nicht im richtigen Maß, wirkt sie meist giftig. Oft tauchen Worte der Angst auf. Die Angst wird zu groß, als dass etwas lebendig werden kann. Somit wirkt die Angst giftig. Zudem wirft die in Klammern gesetzte Zeile Zweifel auf. „... Dinge, die für kostbar gelten“? Wer legt den Wert fest. Liegt der Wert nicht in der Sache oder besser der Frau an sich? Das Bild mit dem Glas setzt sich fort, als Ding, das der Herr für kostbar hält. So geschieht es auch der Frau. Auch sie ist – für den Mann – nicht von sich aus kostbar. Er gibt ihr seinen Wert. Leider stellt er sie durch seine Angst verleitet beiseite: „hinstellte in die ängstliche Vitrine“ - aus Angst sie zu zerbrechen. Aber kann sie nicht nur gelten und wirken, wenn sie sich außerhalb der Vitrine, innerhalb seines Lebens mit all ihren Gedanken und Gefühlen IST. Die Zeile gehört zum einen zum Bild mit dem Glas, zum anderen der Frau. Das Wort „ängstlich“ gilt der Frau. Wobei der Mann Angst hat, dass die Frau ihm verloren geht, und sie somit in seinem Haus wie ein Möbelstück beiseite stellt.

   „Da stand sie fremd wie eine Fortgeliehene
   und wurde einfach alt und blind
   und war nicht kostbar und war niemals selten.“

Die letzte Strophe bezieht sich vollständig auf die Frau. Nie ganz angekommen, fehlt ihr jede Möglichkeit ihren Wert zu leben, den sie von sich aus hat. Für ihre eigenen Werte war ihr Leben zu klein, bereits festgelegt vom Mann. So wurde sie „einfach alt und blind“. Die Tage vergingen und wurden zu Monaten und Jahren. Sie vertrieb sich irgendwie die Zeit – in ihrer eigenen kleinen Welt, für die sich niemand interessierte. So wie ein Glas aus Bleikristall die erste Zeit noch schön und wertvoll aussieht, mit der Zeit aber stumpf und blind wird, wurde auch die Frau einfach stumpf und fade. Der Mann verlor entgültig jedes Interesse an ihr, sagte ihr jeden Wert ab, den er ihr bei der Jagd noch gab. Eh schon abgestellt, war ihr ganzes Wesen nicht mehr vorhanden. Was die letzte Zeile ausdrückt: „und war nicht kostbar und war niemals selten.

Auf der einen Seite ist die Jagd, bei der der Herr als Trophäe ein Glas erhält. Auf der anderen Seite ist die Frau, die behandelt wird wie eine Trophäe, weil jemand sie haben wollte. Sich in ihr Schicksal fügend konnte sie auch gar nichts anderes sein. Zum Glück sind seit dem Gedicht von Rilke bereits 100 Jahre vergangen und die Frau braucht dieses Schicksal nicht bis zum bitteren Ende hinzunehmen. Heute kann sie es selbst in die Hand nehmen. Diejenige schrumpft in ihrem Wesen, die jemand haben wollte. Im Gegensatz dazu steht die Liebe. Wer liebt, wächst. Denn er (oder sie) holt das Beste aus sich raus, weil er (oder sie) sich, seine Person, großzügig verschenkt. Wer geliebt wird, wächst. Denn seine Stärken und Vorlieben werden durch etwas Leises unauffällig genährt, so dass es jenen leichter fällt in Erscheinung zu treten. So wie die Zutaten einer Soljanka erst durch die richtige Prise Salz ihren Geschmack entfalten.

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von Nordlicht am 29.06.2020:
Kommentar gern gelesen.
Ich kannte das Gedicht nicht und finde es etwas deprimierend, aber leider immer noch aktuell für einige Teile der Welt. Sehr schön fand ich deinen Satz: Nie ganz angekommen, fehlt ihr jede Möglichkeit ihren Wert zu leben, den sie von sich aus hat.




geschrieben von Dan Prescot am 08.07.2020:
Kommentar gern gelesen.
Mir gefällt die Interpretation und das Gedankenspiel. Es schubst den Leser vom Passiv ins Aktiv. Klasse!




geschrieben von die Juditha am 11.07.2020:

Das Gedicht finde ich auch sehr traurig. Mich hat es sehr berührt. Als positiv denkender Mensch sage ich: OK. So ist die Situation. Bis hierher war sie für mich richtig, hab sie hingenommen. Jetzt weiß ich mehr, sie gefällt mir nicht mehr, ich ändere meine Situation. Umso mehr freut es mich, dass der Gedankengang auch angekommen ist. Vielen Dank für eure Kommentare!!

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