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2xhab ich gern gelesen
geschrieben 2021 von Christine Todsen.
Veröffentlicht: 09.09.2021. Rubrik: Spannung


Kommissar Kuhlmann und das vertrackte Wort

Kommissar Kuhlmann, der für seine langjährige Berufserfahrung und sein breites Allgemeinwissen bekannte Ermittler, hatte es mit einem besonders grässlichen Fall zu tun bekommen. Ein Mann hatte seine Frau erstochen, weil sie ihm zufolge einen Freund hatte.

Die Getötete lebte erst seit einem halben Jahr im Lande und besuchte einen Sprachkurs, konnte sich aber schon recht gut verständigen. An jenem verhängnisvollen Abend hatte sie – so stellte es der Täter dar – vor der Haustür auf Deutsch mit einer ihm unbekannten Frau geplaudert. Dabei habe er, ihr Mann, deutlich gehört, wie sie gesagt hatte: „Mein Freund aus dem Deutschkurs meint, dass…“ In spontaner Verzweiflung habe er dann ein Messer ergriffen und bei ihrem Hereinkommen sofort zugestochen.

„Wenn ich nur wüsste“, sagte Kommissar Kuhlmann zu seinen Mitarbeitern, „ob das stimmt. Oder ob er sie wegen etwas anderem umbrachte und die Story erfunden hat, um mit einer möglichst niedrigen Strafe davonzukommen. Ich werde mich erkundigen, wer den Deutschkurs leitet, und diese Person dann befragen.“

Schon wenig später saß er einer Frau Sander gegenüber, der Leiterin des Kurses. Sie war tief erschüttert über den grausigen Tod ihrer Sprachschülerin. „Ob ich etwas von einer Affäre mitbekommen habe, Herr Kommissar? Nein. Sowieso sind in diesem Kurs nur wenige Männer. Der eine ist zusammen mit seiner Frau da. Mit diesem Ehepaar hat die Getötete sich oft unterhalten, daran erinnere ich mich jetzt. Aber nie mit ihm allein.“

Der Kommissar dachte nach. „Frau Sander“, sagte er dann, „das deutsche Wort ‚Freund‘ ist leider äußerst kompliziert. Es kann sowohl ‚Geliebter‘ als auch ‚Kumpel‘ bedeuten…“

„Ja, da haben Sie recht! Oh Gott… die Arme. Sie hatte mit ‚Freund‘ gewiss diesen Kumpel gemeint. In vielen anderen Sprachen gibt es für die beiden Bedeutungen unterschiedliche Ausdrücke. Bei uns dagegen müssen oft sogar Muttersprachler aufpassen, dass man sie nicht missversteht. Ich erinnere mich noch“ – jetzt musste die Leiterin trotz des tragischen Themas schmunzeln –, „wie ich mit einem Mann rein kameradschaftlich befreundet war und die drolligsten Umschreibungen benutzen musste, wenn ich ihn erwähnte, damit man ihn nicht für meinen Lover hielt: ‚ein Freund von mir‘ und so weiter!“

Kuhlmann verabschiedete sich und kehrte ins Polizeipräsidium zurück. So ein vertracktes Wort, dachte er. Natürlich entschuldigte dieses Missverständnis nicht die Tat. Selbst wenn die Frau tatsächlich fremdgegangen wäre, hätte ihr Mann sie nicht umbringen dürfen. Trotzdem waren Sprachen, die für die beiden Bedeutungen von ‚Freund‘ (und natürlich auch ‚Freundin‘) verschiedene Begriffe hatten, zu beneiden.

Er stoppte seinen Gedankengang, als ihm einfiel, dass er noch seine Nichte Antonia anrufen musste, die ihren 24. Geburtstag feierte. Nachdem er der Nichte gratuliert und etwas mit ihr geplaudert hatte, fragte er: „Und wie geht’s deinem Ben? Wolltet ihr nicht zusammenziehen?“

„Ja, aber das hat sich geändert. Ben ist nicht mehr mein Freund. Wir verstehen uns aber immer noch gut. Er ist jetzt von allen meinen Freunden mein bester Freund!“

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