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geschrieben 1986 von Christelle (Christelle).
Veröffentlicht: 24.12.2021. Rubrik: Unsortiert


Sonderausstellung „Zähne“

Diesen Text habe ich im Februar 1986 verfasst, nachdem ich im Landesmuseum Hannover die Sonderausstellung „Zähne“ besuchte.

Kein steiler Zahn, der mir am Sonntagmorgen im Landesmuseum begegnet, nur ein unscheinbares Schild, das den Besucher zur Sonderausstellung „Zähne“ weist.

Vor mir taucht das Bild meines Zahnarztes auf: weißer Kittel, erhobener Zeigefinger und gute Ratschläge - damit ich noch lange kräftig zubeißen kann!

Doch zunächst erfahre ich, wie viele Lebewesen auf dieser Erde dazu verdammt sind, sich ohne Zähne zurechtzufinden. Die gesamte Vogelwelt zum Beispiel, der nur ein zahnloser Hornschnabel bleibt.

Bei Schuppentieren habe sich das Gebiss völlig zurückgebildet, lese ich erstaunt, und auch Termiten- und Ameisenfresser kommen ganz ohne aus. Stattdessen besitzen sie lange Zungen, flexibel genug, um auch die letzte flüchtende Ameise zu erwischen.

Dem Faultier als Pflanzenfresser fehlen die Schneidezähne. Um Blätter von Sträuchern zu rupfen, benutzt es die Lippen. Und diese sind stark verhornt, damit ihm das Ganze nicht so weh tut.

Demgegenüber sind Beuteltiere besonders reichhaltig ausgestattet: 46 Zähne nennen sie ihr eigen, das Opossum sogar 50.

Leider weiß ich nicht, wie ein Opossum aussieht, ein Foto wird nicht gezeigt. Aber darum geht es schließlich nicht. Ein unbekanntes Wesen verliert viel von seiner Anonymität, sofern man die Zahl seiner Zähne kennt. Von wie vielen meiner Mitmenschen könnte ich diese mit Bestimmtheit nennen?

Die Natur hat alles sehr weise eingerichtet. So haben sich bei den Blut saugenden Vampirfledermäusen die oberen Schneidezähne zu messerscharfen Ritzwerkzeugen ausgebildet, und Raubtiere haben - wie könnte es anders sein? das typische Raubtiergebiss, auch wenn bei dir, alter Wüstenfuchs, die Eckzähne reichlich abgeschliffen sind.

Ich sehe ein Hinweisschild „Herrentiere“. Na endlich, jetzt erfahre ich etwas mehr über mich und meinesgleichen, denke ich. Doch falsch geraten! Ich lese weiter: „Unterordnung Spitzhörnchen und Halbaffen“. Wo möchte ich mich da schon einordnen?

Plötzlich entdecke ich ihn, den Schädel des homo sapiens - mit tadellosem Gebiss, das versteht sich von selbst! Zunächst den Uhrahn des Neandertalers, 1,9 Millionen Jahre alt, dann den Neandertaler persönlich, 40- bis 70.000 Jahre zählend, schließlich das Nesthäkchen in dieser Ahnengalerie, das immerhin 25.000 Jahre auf dem Buckel hat.

Der Weg führt mich weiter zum Menschen der Jetztzeit. „Ich begrüße dich auf das herzlichste“, sage ich voller Überschwang, um im nächsten Augenblick ernüchtert festzustellen: Es hat sich überhaupt nichts verändert, unsere Zähne sind wie eh und je, nur etwas weißer!

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