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geschrieben 2020 von Christelle (Christelle).
Veröffentlicht: 16.12.2021. Rubrik: Unsortiert


Ein Platz an der Sonne

In den 50er Jahren aufgewachsen in Gelsenkirchen, damals die Stadt der 1000 Feuer und ein bedeutender Industriestandort, war ich es gewohnt, dass Schmutz- und Rußpartikel in der Luft lagen. Das Eisen- und Stahlwerk, wo mein Vater arbeitete, blies diese mit Vorliebe nachts in die Luft, wenn die meisten Menschen schliefen. Man glaubte wohl, dass sich die Schadstoffe bis zum Morgen so verteilt haben würden, dass sie kaum noch wahrzunehmen waren.

Meine Mutter bemerkte es trotzdem, weil die Fenster meistens mit Rußpartikeln besprengt waren. Es gehörte für sie zum wöchentlichen Ritual, diese zu putzen, was ich mir heute in dieser Häufigkeit nicht mehr vorstellen kann.

Die Wirtschaft boomte, die Leute hatten Arbeit und konnten sich nach den Entbehrungen in der Nachkriegszeit langsam wieder etwas leisten. Die Kehrseite der Medaille war, dass die Industrieabwässer in die Emscher geleitet wurden, die den Fluss stark belasteten.
Schon in der Volksschule hatten wir im Fach Heimatkunde gelernt, dass man die Emscher der Industrialisierung und dem Kohleabbau geopfert habe - irgendwo musste man ja hin mit den Abwässern und dem Grubenwasser! Dafür versuchte man, die Ruhr und die Lippe möglichst sauber zu halten, denn diese waren unverzichtbar für die Trinkwasserversorgung im Ruhrgebiet.

Wir Kinder kannten die Emscher, die auch durch Gelsenkirchen fließt, nur als Kloake. Auch das Bächlein, das als Nebenarm der Emscher fast an unserem Haus vorbei sickerte, war dreckig und stank.
Wir spielten gern draußen, auch in der Nähe des Baches oder auf der Straße, die damals noch nicht mit Autos zugeparkt war und in der nur wenig Verkehr herrschte. Ich glaube, wir hatten das, was man heute eine glückliche Kindheit nennen würde.

Ganz im Gegensatz zu den Kindern in West-Berlin, die völlig isoliert in der Stadt lebten und nicht herausdurften. Mir taten diese eingeschlossenen Kinder leid. Deshalb fand ich eine Initiative, die anfangs von den Alliierten gestartet wurde und später als Hilfsaktion vom Ersten Deutschen Fernsehen unterstützt wurde, ganz toll. Berliner Kinder wurden von der Stadt aufs Land geflogen, damit sie dort unter dem Motto „Ein Platz an der Sonne“ ein paar erholsame Ferienwochen verleben konnten.

Das Fernsehen veranstaltete Losziehungen für diese Ferienplätze. Es war im Grunde die Geburtsstunde der Fernsehlotterie, auch wenn diese Hilfsaktion damals ausschließlich Kindern zugute kam.

Auch ich wollte gern ein Los kaufen. Dann hörte ich eines Tages eine Nachbarin sagen: „Ein Platz an der Sonne für Berliner Kinder? Unsere Kinder im Ruhrpott hätten diesen Platz an der Sonne viel nötiger!“

Darüber hatte ich bislang nicht nachgedacht.


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