Menschen, Mäuse, Mordversuche

Eines vorab, das Thema der Geschichte ist nicht schön, es gibt nichts zu lachen und häusliche Gewalt spielt eine Rolle.

Als die Sonne an diesem Tag über der kleinen Vorstadtsiedlung aufging, deutete noch nichts darauf hin, dass sie einiges an Veränderungen im Schlepptau hatte. Niemand konnte es ahnen, denn alles war wie immer. Ein Mann öffnete seinen Kiosk, eine Wühlmaus rollte sich behaglich in ihrer Höhle zusammen und eine Frau hatte schreckliche Angst vor dem Tag.

Markus sortierte gerade Zeitungen und Zigaretten in die entsprechenden Regale, als er sie über die Straße kommen sah. Wie immer würde sie einen Kaffee und eine Schachtel Zigaretten nehmen und ebenso wie immer würde er sich darüber freuen sie zu sehen. Er mochte sie. Mochte sie wirklich, obwohl sie nur wenig miteinander redeten und sich eigentlich gar nicht kannten. Nur zu gern hätte Markus mehr über sie erfahren. Was sie gern tat und welche Musik sie mochte, zum Beispiel. Vielleicht auch warum ihr Mann schon morgens kleine Schnapsfläschchen bei ihm kaufte, bevor er zur Arbeit fuhr.

Diego die Wühlmaus flitzte über den Rasen. Das war kein Problem, denn wie immer waren die Halme tadellos unter Streichholzlänge gestutzt und gut gewässert. Schon sein ganzes Leben lang, so ungefähr ein halbes Jahr, wohnte Diego nun hier in seiner behaglichen Höhle. Er hatte wahrlich keinen Grund sich zu beklagen, auch wenn ihn das abendliche Geschrei gelegentlich etwas in seiner Ruhe störte.

Rita aß zu Mittag, hockte also mit einer Zigarette in der zitternden Hand am Tisch und starrte einen Apfel an. Sie bekam ohnehin nichts runter. Er mochte es nicht, wenn sie zunahm, aber die Gefahr bestand an diesen Tagen ganz bestimmt nicht. Heute war die Stromrechnung gekommen. Vermutlich würde das schon wieder reichen. Bestimmt würde es das. Lange hatte sie sich eingeredet es würde sich ändern. Er würde sich ändern. Wenn sie nichts mehr falsch machte und ihn nicht mehr verärgerte, dann änderte es sich ganz bestimmt. Spoiler: So lief das nicht. Fahrig saugte sie am Filter und sah auf die grausam ehrliche Uhr. Bald hatte er Feierabend.

Im Kiosk freute sich Markus auf den stetig näher rückenden Feierabend. Heute war sie sehr still gewesen, dabei hätte er sich so gern mit ihr unterhalten. Er hätte ihr einfach gern mehr von sich erzählt. Vor allem, dass er wusste warum sie sich manchmal stärker schminken musste als sonst bevor sie das Haus verließ und das er sich denken konnte, aus welchen Gründen sie immer wieder bei Regen eine Sonnenbrille und bei schönstem Wetter lange Ärmel trug. Und vor allem hätte er ihr gern gesagt, dass es nicht so sein musste, sondern auch schöner sein könnte. Das er helfen wollte. So gern hätte er ihr das alles gesagt.

Rita hörte es nicht erst an seinen Schritten, sondern schon daran, wie er das Auto parkte. Heute war einer dieser Tage. Der Schlüssel ratschte mit dieser bedrohlichen Vernehmlichkeit in das Schloss der Haustür, die sie nur zu gut kannte. Es würde heute wieder wehtun. Als es dann drei Minuten später wirklich zum ersten mal wehtat und er den Abend somit eröffnete, versuchte sie einfach abzuschalten. Im Kopf woanders zu sein, aber er ließ sie nicht. Dann, als ihm das alles nicht mehr reichte, knurrte er nur noch Beschimpfungen und seine roten Haare hingen ihm dabei wirr ins Gesicht. Schließlich nahm er sich den Hammer.

Diego hatte ärgerlich lange gebraucht um endlich seine wohlverdiente Ruhe zu finden. Es war wirklich schwer bei dem Geschrei einzuschlafen. Da er ein vielseitig interessiertes Kerlchen war, dass anderen Kulturen durchaus offen gegenüberstand, versuchte er es mit der Taktik vieler Menschen. Solange weghören, bis endlich tiefe Stille herrscht. Das klappte ganz gut und letztlich schlief Diego ein. Jedenfalls so lange bis der Boden bebte. Das Beben versuchte die müde Wühlmaus noch zu ignorieren, aber der Spaten, der Augenblicke später nur pfotenbreit neben seiner Nase in die Erde fuhr, bekam seine volle Aufmerksamkeit. Panisch sprang Diego zur Seite, das stählerne Blatt hob sich wieder und krachte dann erneut hinter ihm nach unten. Er versuchte verzweifelt zu entkommen, aber plötzlich hob sich der Boden. Erde umgab ihn und nahm Diego den Atem, bevor er in einem Schwall aus Dreck und Wurzeln durch die Luft geschleudert wurde.

Zwei Wochen später versank die Sonne recht zügig am Horizont und damit hatte Markus absolut kein Problem. Es saß mit Rita auf ihrer neuen Terrasse und genoss den lauen Abend. Langsam hatte sie begonnen zu reden. In den ersten Tagen nur einige Sätze zwischen der Zigarettenschachtel in seiner, und dem Wechselgeld in ihrer Hand. Tag für Tag waren diese Momente und ihre Sätze länger geworden. So, als müsse sie eine zwar interessante, aber auch fremde und ungewohnte Welt erst erkunden. Ganz vorsichtig. Irgendwie ging es ihm ähnlich.
Rita war scheinbar eine Frau vieler Talente. Diese Terrasse zum Beispiel hatte sie in der letzten Woche erst selber angelegt. Ihr Mann hatte sie kürzlich verlassen und die Arbeit im Garten half ihr dabei sich abzulenken, hatte sie gesagt. Einfach so verschwunden war der Kerl und Markus war dafür höchst dankbar.
In der nächsten Woche hatte Rita Geburtstag und sie würden essen gehen. Über ein Geschenk dachte er noch angestrengt nach. Für etwas richtig persönliches war es bestimmt noch zu früh, aber als sie heute gemeinsam in ihrer Küche einen Salat zubereitet hatten, war ihm aufgefallen, dass im Messerblock eine ungenutzte Lücke klaffte. Wer weiß, dachte er, vielleicht wusste sie ja so etwas Alltägliches zu schätzen.
In einer noch recht frisch gegrabenen kleinen Höhle direkt unter ihnen kuschelte sich währenddessen eine kurzzeitig obdachlos gewordene Wühlmaus wohlig in ein Nest aus roten Haaren und erfreute sich an der hier eingekehrten Ruhe.

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