Veröffentlicht: 22.07.2023. Rubrik: Historisches
Arm ging es zu
Fast rund um die Uhr saß meine Oma an ihrer Singer-Nähmaschine, bei schlechtem Licht, um ihr Haus abzuzahlen. Manchmal ließ sie den Raum abkühlen dabei, zog sich fröstelnd ihre abgetragene Strickjacke über, nur um zu sparen. Um alles in der Welt wollte sie sparen. Später, wenn die Männer kamen, schürte sie endlich den Kohleherd an, heizte die Bude. Alles Leben fand in der Wohnküche statt, kochen, wohnen, nähen, auf vierzehn Quadratmetern, wo die großen Kartons mit den bereits zugeschnittelen Dirndln vor dem Büfett im Weg standen. Dirndl nähte sie, meine Oma, für die Firma Kerkenbusch. Ihren Lohn ließ sie sich auszahlen, schwarz mit Einbußen, so groß war die Not. Immer wieder verzichtete sie so auf ihren Rentenanspruch, nicht zuletzt, weil sie ihrem Mann, dem Kurba, trotz allem ein gutes Stück Schweinernes auf den Tisch stellen wollte. Königskuchen hat sie immer gebacken, aus dem ich später, als ich auf der Welt war, mir die Rosinen herauspicken durfte. Auf einen Wintermantel hat sie verzichtet, hat ihre dicke Strickjacke druntergezogen, einen dünnen Regenmantel drüber, ach was sage ich, es war vielmehr eine Regenhaut, die sie sich drübergezogen hat.
Selbst später, als das große Haus abbezahlt war, hielt sie die Winter im Regenmantel aus, vor lauter Gewohnheit. So sehr war sie daran gewöhnt, selbstlos zu sparen, dass sie gar nichts mehr für sich ausgeben konnte. Mit ihrem Kopftücherl lief sie rum. Einmal hat sie sich zum Friseur gewagt, sie sah gut aus mit ihrer Dauerwelle, präsentierte sich erwartungsvoll mit leuchtenden Augen, roten Backen. Doch sogleich hat ihr ihre Schwiegertochter dieses Aufleben heimgezahlt, neidisch wie sie war, ihre Schwiegertochter Viola, giftig, boshaft, sodass meine liebe Oma nie wieder diesen Mut aufbringen konnte. Schade; und ein bisserl traurig macht mich das.