Veröffentlicht: 02.06.2025. Rubrik: Unsortiert
Eine etwas andere Liebesgeschichte - Variante Rosamunde Pilcher
Alle Angehörigen der Abteilung waren im Besprechungsraum versammelt. Herr Huber als Abteilungsleiter eröffnete die Sitzung. „Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen! Ich möchte Euch unsere neue Mitarbeiterin vorstellen. Frau Xenia Amrehn hat ihre Traineeausbildung in der Zentrale abgeschlossen und verstärkt uns ab sofort.“ Marc Harsdörffer war beim Anblick der Neuen elektrisiert. An eine Frau wie Xenia hatte er sonst nur in seinen Träumen gedacht.
Warum nur in seinen Träumen? Seit einiger Zeit war er Single. Versuche, diesem misslichen Umstand abzuhelfen, waren mit konstanter Boshaftigkeit des Schicksals gescheitert. Und nun kommt diese Xenia herein: schlank, dunkelblond, sympathische Erscheinung mit angenehmen Gesichtszügen, etwas kleiner als Marc. Kurz gesagt: Sie war genau sein Typ.
„Meine lieben neuen Kollegen“, fing Xenia zu sprechen an und Marc war auch von ihrer Stimme begeistert. „Ich freue mich, künftig mit euch zusammenarbeiten zu dürfen, und zwar als Mitglied von Team 3.“ Marc konnte sein Glück kaum fassen: In seinem Team hätte er dann direkt mit ihr zu tun! Dieser Arbeitstag ging für ihn froh gestimmt zu Ende.
In den kommenden Monaten entwickelte sich eine gute und harmonische Kollegialität zwischen Marc und Xenia. Sie brüteten über einem Projekt für die Erschließung einer Wohnsiedlung, wofür Marc schon einige Vorarbeiten geleistet hatte. Xenia sollte ihn unterstützen, was sie auch gerne tat. So war jedenfalls sein Eindruck. Vom Abteilungsleiter kamen öfters anerkennende Rückmeldungen für die geleistete Arbeit. In gelegentlichen Gesprächen von Marc mit Xenia über private Dinge zeigte sich, dass sie an den gleichen Dingen interessiert war wie er: Theaterbesuche und Wandern. Ihr Lächeln und ihr Benehmen verliehen seinen Gedanken Flügel. Darüber bewahrte er aber eisernes Stillschweigen. Bloß nichts kaputt machen! Wenn es nicht klappt, bin ich der Gelackmeierte und stehe als Depp da.
Heike, eine Kollegin von Xenia und Marc, seufzte innerlich. Marc hat nur Augen für diese Xenia. Dabei wäre ich froh, ihn als Partner zu haben, dachte sie. Wie kann es mir gelingen, ihn für mich zu interessieren? Da kam ihr ein rettender Gedanke.
Irgendwann muss ich mich Xenia öffnen, überlegte Marc nach einiger Zeit. Ich lasse mal einen Versuchsballon los, ich weiß auch schon wie, kreisten seine Überlegungen. Demnächst gibt es eine neue Aufführung am örtlichen Schauspielhaus; ich besorge zwei Karten und lade sie ein.
Am nächsten Arbeitstag wäre er beinahe geplatzt: Sie nahm seine Einladung an. Es folgte ein angeregter Abend mit der Aufführung und dem anschließenden Essen.
Marcs Puls klopfte wie verrückt. Leider war das eines der letzten Gespräche mit ihr, weil er zu einem mehrwöchigen Aufenthalt in einer anderen Niederlassung beordert wurde.
Nach seiner Rückkehr ging Marc mit seiner Kollegin Heike zum Mittagessen. Xenia war nicht da; sie hatte Urlaub. Sie nahmen in der Kantine Platz. Da kam auch noch Leonie, eine weitere Kollegin, mit ihrem Essen. „Wisst ihr, wen ich gestern mit einem tollen Mann gesehen habe?“, sagte Leonie mit einem breiten Lächeln. „Du wirst es gleich sagen“, entgegnete Heike. „Die Xenia! Sie kam aus einem Autohaus.“ „Sie wird sich ein Auto gekauft haben.“ „Nein, bestimmt nicht. Eher einen Mann.“ „Bist du sicher?“ „Natürlich. Man knutscht doch nicht mit dem Filialleiter des Autohändlers, wenn man ein Auto kauft.“
Marc wurde sofort hellwach. Er setzte sein Pokerface so gut auf, wie er konnte, und verfolgte das Gespräch weiter.
„Wieso weißt du das mit dem Filialleiter?“, wollte Heike wissen und witterte Morgenluft für ihre Ambitionen in Richtung Marc. Leonie antwortete mit einem in solchen Situationen wohl weit verbreiteten verschwörerischen Unterton: „Ich habe ihn gleich gekannt, weil ich neulich ein Foto in der Zeitung gesehen habe. Dort war er neben seinem Vater zu sehen, von dem er die ganze Händlerkette übernehmen soll. Und so, wie die beiden geknutscht haben, scheint da schon länger etwas zu laufen.“ Marc hatte nur noch einen Eisklumpen im Magen und versuchte, sich den Rest des Tages so gut zu konzentrieren wie es nur ging.
Einige Tage später kam die strahlende Xenia aus dem Urlaub zurück. Marc befürchtete schon, warum das so war. Richtig klar wurde es ihm, als Xenia vor versammeltem Team verkündete, dass sie sich mit Kevin Röllmeier, Juniorchef der gleichnamigen Autohandelskette, nach gut einem Jahr Beziehung verlobt habe. Diese für fast alle überraschende Nachricht schlug im Team wie eine Bombe ein; Xenia wurde mit Glückwünschen überhäuft.
Peng! Gab es einen Knall in Marc. So eine Sch...! Und mir hat sie die nette Kollegin vorgespielt.
„Marc, warum guckst du so?“, lächelte ihn Xenia an. „Für dich findet sich bestimmt auch noch eine!“, fügte sie mit gönnerhafter Miene hinzu und strich ihm zärtlich über den Arm. „Ja, sicher“, brachte Marc mit Mühe heraus. In Wirklichkeit dachte sie wohl: Ich habe aber einen Liebhaber und du bist Single, ätschi-bätsch. So rumorte es in seinem Hirn. „Marc, schau' mal, ich bringe dir etwas zu trinken!“, unterbrach Heike seine Gedanken. „Dankeschön“, antwortete Marc etwas erstaunt und nahm das Getränk an.
Er konnte es an diesem Tag kaum abwarten, nach Haus fahren zu können. Wie er dorthin kam, wusste er später nicht mehr zu sagen, so geplättet war er. Bis in die Nacht starrte er stumm die Wände seiner Wohnung an. In seinen Gedanken kreisten zwei Frauen: Xenia und Heike. Eigentlich ist Heike gar kein schlechter Mensch, sinnierte er. Sofort hellten sich seine Gedanken auf.
Am nächsten Morgen wurde Marc von Heike begrüßt: „Hör' mal, Marc, ich wollte am Wochenende wandern und suche noch jemanden, der mitgeht. Hättest du Lust dazu?“ Marc war zunächst etwas perplex, überlegte kurz, erwiderte aber: „Gute Idee! Wo sollen wir wandern?“ „Wie wäre es mit dem Wanderweg am Biotopsee?“ „ Toll! Ja, so machen wir das!“
Am Samstagmorgen trafen sie sich auf dem Parkplatz und gingen los. Das Wetter war angenehm; sie waren in heiterer Stimmung. Gerade das tut mir nach den Erfahrungen mit Xenia gut, grübelte er. Die Wanderung verlief angenehm; sie unterhielten sich angeregt. Nach einem kleinen Picknick zur Mittagszeit kamen sie an eine baumbestandene Bucht des Sees. „Heike, ich muss die ganze Zeit blind gewesen sein. Dabei bist du so ein lieber Mensch!“, gestand er ihr - das musste jetzt raus. Heike strahlte übers ganze Gesicht. Endlich hat er es gemerkt! Einem Impuls folgend ergriff Marc einen Zipfel des Halstuchs, das Heike trug, und zog sie an sich. Begleitet nur vom Zwitschern der Vögel küssten sie sich.
Endlich ein Happy End.

