Veröffentlicht: 13.07.2025. Rubrik: Menschliches
Bis zum Morgengrauen
Stark gekrümmt saß er über einem Stapel Papierbögen. Das Kerzenlicht flackerte, von seinem unruhigen Odem befeuert hin und her, als wenn es die Stimmung seiner verfassten Lettern spüren könnte.
Hochkonzentriert zog er den Federkiel über das Blatt, bloß keinen Fehler machen! Ein falscher Buchstabe, ein sinnfreies Wort, ein Tintenklecks, und die Arbeit der letzten Stunde wäre zunichte gemacht.
Er liebte diese höchste Form der Schreibkunst, die langsam, aber sicher ausstarb und irgendwann vielleicht sogar in Vergessenheit geraten würde. Für ihn war es mehr als nur Schreiben, viel mehr! Es war Meditation, Selbstfindung und stets der persönlichste Versuch, einen wildfremden Menschen dazu zu verführen, seine Werke auch lesen zu wollen.
Etwas Handschriftliches war nicht nur ein x-beliebiger Text, es war ein Zeugnis von Passion, eine Liebeserklärung an das Wort, ein Fetisch, der keiner Erklärung bedurfte, war er doch so offensichtlich und klar in seiner Ausprägung, dass er einfach nicht falsch interpretiert werden konnte.
In seiner Handschrift lag ein Stück seiner Persönlichkeit verborgen, in jedem Schwung ein winziges Stück Magie, ein Gefühl, das seinen Inhalten einen Mehrwert beilegte, der jeden digitalen Text verblassen lies, auch wenn er exakt gleich formuliert wäre.
Die Handschriftliche Ausarbeitung gab dem Leser die Möglichkeit noch tiefer einzutauchen und den Schwüngen des geschriebenen mit den Pupillen rhythmisch zu Folgen, die Sprachmelodie noch intensiver zu fühlen.
Geradezu zärtlich und behutsam tunkte er den Federkiel ins Tintenfass. Allein dieser Vorgang eine Kunstform für sich. Ein Millimeter zu tief und es drohte die verhasste Tropfenbildung, ein Millimeter zu wenig und der Tintenvorrat im Federkiel, würde vielleicht mitten im geschriebenen Wort zur Neige gehen und das gleichmäßige Schriftbild empfindlich stören.
Mit Federkiel und Tinte formvollendet schreiben zu können, verlangte jahrelange Übung. Es zur Meisterschaft zu bringen, ein Jahrzehnt, ein Jahrzehnt voller Mühsal und Aufopferung im Dienste des Wortes. Geduld eine Voraussetzung, die man entweder in die Wiege gelegt bekam oder hart an Federkiel und Tintenfass erarbeiten musste.
In dieser Ausübung der Tätigkeit wurde einem nichts geschenkt. Der Rücken, die Finger, Handgelenk und Augenpartien konnten Romane davon erzählen, die von höchster Belastung berichteten. Mit Federkiel und Tinte schreiben zu beherrschen, verlangte eine ähnliche Aufopferung, wie ein Musikinstrument zu erlernen.
Seine Augen brannten inzwischen wie Feuer und die Stunden-Kerzen im Kandelaber zeigten an, dass es bereits tief in der Nacht war. Doch noch durfte er nicht ruhen, den Gedankenfluss nicht unterbrechen, nicht abreißen lassen, zu groß war die Gefahr, ihn später nicht mehr adäquat aufnehmen zu können.
Gedanken und Inspiration trugen ein Verfallsdatum in sich, das keinerlei Verzug duldete. Jetzt oder nie war die Pflicht der man sich als Autor stellen musste, wenn Inhalte wie aus einem Guss auf den Leser wirken sollten. Offene Kapitel ein Todesurteil ohne Chance auf Reanimation.
Er wusste das und so würde er wohl noch bis zum Morgengrauen weiterschreiben, koste es was es wolle, denn das war er seiner Geschichte einfach schuldig.

