Veröffentlicht: 27.05.2025. Rubrik: Menschliches
Bootsverkehr (Teil 11 -Ende)
Verdutzt frage ich nach „Ich verstehe nicht ganz, wie meinen Sie das, Maria!“ „Na, Sie lieben Ingrid, Sven. Und Ingrid liebt Sie. Ganz sicher! Als Frau weiß ich das, nur wollt ihr euch das aus irgendeinem Grund nicht eingestehen. Ich habe es am Hafen zuerst nur unterbewusst wahrgenommen, als Sie Ingrid angerufen haben, fingen Sie irgendwie an zu strahlen. Als Sie auf dem Boot von ihr erzählten, ebenfalls. Genauso, als Sie plötzlich auf der anderen Straßenseite auftauchte. Und euer Kuss war alles andere als ein Kuss unter Geschwistern! Es war eine Demonstration Ingrids, dass Sie ihr gehören, und das wollte Sie mir, wenn auch nur unterschwellig vermitteln. Als Sie mir im Atelier erzählt hat, wie Sie ihr geholfen und die Musik für Sie komponiert haben, schwang so viel Bewunderung und Liebe in ihrer Stimme und in Ihren Worten! Als wir zu dritt waren, war der liebevolle Klang und Unterton verschwunden. Bei Ihnen verhält es sich genauso Sven. Ich weiß nicht, wer von euch angefangen hat, das Märchen von der Geschwisterliebe zu erfinden, aber ihr habt euch damit sicher keinen Gefallen getan!“
Dann küsste sie mich auf die Wange und umarmte mich kurz „Ich glaube, Sie sind ein großartiger Mann Sven und ich werde es ganz sicher bereuen, aber ich könnte es mir nie verzeihen, dieser Liebe im Weg zu stehen, die es einfach verdient, gelebt zu werden!“ Dann küsst sie mich zärtlich auf den Mund „Lebe wohl Sven, und wenn ich auch nicht viel weiß, aber eins weiß ich ganz genau, Ingrid wartet auf dich!“ Dann wendet sie sich ab und geht eilig die Straße hinunter. Ich schaue ihr noch lange nach, aber sie dreht sich nicht mehr um, und als sie aus meinem Sichtfeld entschwindet, weiß ich, dass sie mit jedem ihrer Worte recht hat, ich wollte es mir nur nie eingestehen.
Die Sonne ist langsam im Begriff unterzugehen und ich bleibe noch einige Minuten vor der Tür stehen, um die abgekühlte Luft zu inhalieren „Sie gefällt dir! Nicht wahr?“ Werde ich von Ingrid aus meinen Gedanken gerissen, die plötzlich in der Tür steht. „Ja, Ingrid. Eine sehr sympathische Person mit tollen Proportionen, wie du es ausdrücken würdest.“ „Komm, lass uns reingehen, Sven. Wirst du sie wiedersehen?“ Und zum ersten Mal vernehme ich diesen ängstlichen Unterton in ihrer Stimme, der verrät, dass sie hofft, dass ich nicht mit ja antworten werde. „Nein, das werde ich nicht, Ingrid!“
„Aber warum denn nicht?“ Dreht sie sich zu mir um „Sie hätte bestimmt ja gesagt, du musst dich einfach nur mal trauen!“ „Aber ich liebe doch dich, meine kleine verstaubte Farbtube!“ Und schaue ihr dabei ganz tief in die Augen. Ihr Körper versteift sich zuerst, bevor eine befreiende Erkenntnis sie durchflutet. Aus ihrem Blick schwindet langsam die Verwunderung und weicht Tränen, die zärtlich über ihre Wangen rollen. Unsere Lippen finden sich noch unsicher, bevor wir uns endlich in dem Kuss verlieren, den wir uns schon vor vielen Jahren hätten geben sollen.
- Ende -

