Veröffentlicht: 16.08.2025. Rubrik: Aktionen
Carmenthin (kleine Helfer-Aktion August)
Es begann wie alle Katastrophen am Montagmorgen. Ich war noch im Wochenendmodus. In letzter Minute erreichte ich den Zug. Der Zug ist immer dann pünktlich, wenn ich kurze Elle habe. Und am Montagmorgen ist der Zug natürlich gerappelt voll.
Ich quetschte mich zwischen die Stehenden.
Der Mann neben mir war sehr übergewichtig und schwitzte.
Er roch nach verbranntem, getoastetem Brot. Sein Rasierwasser muss er mit Möbelpolitur verwechselt haben.
Es roch übelst unangenehm und schlug auf meinen Magen.
Die Frau auf der anderen Seite hatte wohl am Abend ein Date beim Griechen. Ich mag Knoblauchgeruch überhaupt nicht. Schon gar nicht am frühen Morgen. Und dann noch unausgeschlafen. Seit Tagen litt ich an Blähungen. Zeitweise hatte ich Schmerzen, die eine Kolik vermuten ließen. Ich nahm deshalb regelmäßig Carmenthin. Jeden Morgen und jeden Abend eine Pille. Diese kleinen Helfer bewirken Wunder.
Du gehst dann lächelnd durch den Tag und bist vor peinlichen Situationen geschützt.
Doch heute Morgen hatte ich vergessen, diese Pille einzunehmen. Mir ging es gar nicht gut. Meine Blähungen meldeten sich. Wohl auch wegen dieses Gestankes im Abteil. Ich kniff die Pobacken zusammen und überlegte: Wenn ich ganz sacht die Luft herauslasse, nimmt niemand wahr, was geschieht. Schlechter kann die Luft nicht werden.
Das ist der Moment, in dem der Mensch entscheiden muss: Vertrauen oder Vorsicht. Ich entschied mich für Vertrauen. Falsch.
Was dann geschah, war nicht nur laut, sondern roch auch noch perfide.
Die Frau neben mir zuckte zusammen. Der Mann mit der Möbelpoliturlotion schaute mich an, als hätte ich soeben einen Pakt mit dem Teufel geschlossen.
Aber noch peinlicher wurde es, als ein kleines Mädchen mit dem Finger auf mich zeigte und sagte: „Mami, der Mann hat Pupsi gemacht.“
Der jungen Mutti war es wohl peinlich. Sie schaute mich an und errötete. Dann schaute sie zu dem Mädchen, legte den Zeigefinger auf die Lippen und schüttelte den Kopf. Ich ersparte dieser Frau die Peinlichkeit und sagte zu dem Mädchen: „Das war kein Pupsi, das war der Zug aus Darmstadt“.
Das Mädchen schaute ungläubig zu ihrer Mutter. Diese nickte und sagte: „Ja, meine Kleine, wenn der Onkel sagt, dass war ein Zug aus Darmstadt, dann war es auch ein Zug aus Darmstadt“. Die Situation war gerettet.
Der Rest des Tages verlief überraschend befreiend. Im Büro erzählte ich die Geschichte. Alle lachten, auch die Kollegen, die sonst nur auf ihre Monitore starrten und die Umgebung nicht wahrnahmen. Die sonst sehr strenge Chefin sagte: „Das ist das Menschlichste, was ich seit Monaten gehört habe“
Selbst der Hausmeister kam vorbei und klopfte mir auf die Schultern: „Junge, wir sind alle nur Menschen.“
Seitdem habe ich eine neue Philosophie: Wenn man schon auffällt, dann mit vollem Stolz. Nichts verbindet die Menschen mehr, als ein gemeinsames, beschämtes Lachen.

