Veröffentlicht: 01.12.2025. Rubrik: Aktionen
Der Altar meiner Frau (Aktion)
Der Altar meiner Frau
Der Kleiderschrank ist für meine Frau ihr Altar. Täglich steht sie demütig vor ihm. Wenn sie die Türen öffnet, wird eine Kollektion präsentiert, die ausreichend für die Ausstattung einer mittleren Theaterproduktion ist. Mit dem prüfenden Blick einer Ärztin in der Notaufnahme schaut sie auf ihre Kleidungsstücke. Ihr täglicher Statusbericht ist immer auch Selbstzweifel. „Schatz, ich habe nichts anzuziehen“, ist ein Satz, den ich zuerst immer überhöre. Er nervt mich einfach. Jeden Tag beginnt dieses Ritual neu.
Die Blusen, Kleider und Hosen hängen geordnet auf der einen Seite im Schrank. Auf der anderen Seite befinden sich die Mäntel und Anoraks jahreszeitlich geordnet. In den Fächern darüber sind Pullis und Pullover eingestapelt. Trotzdem weiß meine Frau nicht, was sie anziehen soll.
Dagegen trage ich seit drei Jahren noch die gleichen Jeans. Mit Levis habe ich die besten Erfahrungen gemacht. Ich fühle mich darin wohl. Ob zur Arbeit, in den Garten oder zu Partys. Levis stören nie. Sie werden immer akzeptiert. Meine Frau legt mir täglich ein frisches Hemd oder ein T-Shirt dazu. Und ich kann perfekt in den Tag starten.
„Was meinst du, kann ich dieses Kleid heute tragen?“, fragt meine Frau und hebt ein blaues Kleid hervor.
„Natürlich“, sage ich, „in diesem Kleid siehst du echt spitze aus.“
„Das war einmal“, faucht sie zurück.
„Ich habe zugenommen. Das Kleid spannt über meinem Bauch. Da fühle ich mich unwohl.“
„Dann zieh doch ein buntgeblümtes Kleid an.“
„Bunt macht dick“, kommt scharf zurück. „Aber woher solltest du das auch wissen?“
„Dann frag mich nicht“, sage ich gereizt.
„Sollte ich vielleicht Hosen tragen?“, fragt sie versöhnlich und zeigt mir schwarze Modelle, die ich zum ersten Mal sehe.
„In Hosen gefällst du mir gut“, sage ich in gemäßigtem Ton.
„Gestern in den Jeans sahst du echt sexy aus. Auch unser Nachbar hat sich nach dir umgedreht.“
Sie zieht die blaue Jeans an, dazu eine helle Bluse.
„Na, Schatz, was meinst du? Kann ich so gehen?“
„Natürlich“, sage ich sofort, ohne hinzusehen.
Um meinen Worten mehr Gewicht zu verleihen, füge ich hinzu: „Du könntest eine Brosche anlegen. Die Brosche, die ich dir zum Hochzeitstag geschenkt habe, passt sicher.“
„Dein Verständnis für Mode war schon immer etwas daneben“, sagt sie gelassen.
„Diese Brosche passt nicht. Erinnerst du dich an die Brosche im Schaufenster beim Juwelier Schmidt? Als wir am Sonntag spazieren waren, habe ich sie dir gezeigt. Die Brosche rechts oben, meine ich. Die würde dazu passen. Du hast doch sicher noch kein Geburtstagsgeschenk?“
Mir wird unbehaglich in der Magengrube. Natürlich hatte ich diese Brosche gesehen. Den Preis auch. Dafür könnte ich zwei Hollywoodschaukeln mit Kissen im Baumarkt kaufen. Und es bliebe noch genug Geld für eine Grillparty übrig.
„Natürlich, Schatz“, sage ich, „deinen Geburtstag werde ich sicher nicht vergessen. Auch an ein Geschenk werde ich denken. Nur ob das Geld dann noch für eine Grillparty reicht, weiß ich nicht.“
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