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geschrieben 1998 von Andreas Mettler (Metti).
Veröffentlicht: 29.05.2013. Rubrik: Persönliches


Der böse Junge

Der böse Junge

Der Bürgermeister ließ mich warten. Er besaß kein Auto und mußte den Weg zu meinem Büro zu Fuß zurücklegen, aber da er den ganzen lieben Tag lang seine Zeit mit Nichtstun in seiner umgebauten Garage zubrachte, gab es keinen Grund für ihn, unpünktlich zu sein.
   Mein Büro war viel zu klein. Ich blickte aus dem kleinen Fenster in die Marktpassage hinaus. Gegenüber lag das Kino, das seit einiger Zeit gewinnbringend jene schmutzigen Filme ausstrahle, die ich mit meiner Freundin gedreht hatte. Der Vorführraum des Kinos war recht groß und hatte viel Baumaterial gekostet, aber ich würde den Betreiber niemals dazu auffordern, mir sein Baumaterial zur Vergrößerung meines Büros zur Verfügung zu stellen.
   Fast genauso groß, aber nicht annähernd so erfolgreich war die Disco, die direkt an das Kino angrenzte. Vielleicht sollte ich die Schließung der Disco veranlassen und das ganze Gebäude als mein Büro nutzen. Wenn ich das große Fenster meines alten Büros in der Disco einbaute, so würde das einen imposanten Verkaufsschalter abgeben mit viel Ellenbogenfreiheit. Im alten Büro könnte vielleicht eine gebührenpflichtige Toilette untergebracht werden, deren Benutzung für jeden Bürger unseres Dorfes zweimal täglich zur Pflicht würde.

Ich blickte von meinem zwei Klötze hohen Stuhl auf den Bürgermeister herab. "Ich hatte Sie auf vierzehn Uhr herbestellt. Es ist bereits mindestens vierzehn Uhr zehn."
   "Entschuldigen Sie vielmals. Ich werde nächstes mal das Taxi nehmen." Seine Stimme klang dumpf durch die Scheibe meines Verkaufsschalters.
   "Was sind Sie für ein Vorbild für die Bevölkerung, wenn nicht einmal Sie das Taxi nehmen? Wir sollten alle viel mehr Taxi fahren." Ich wußte nicht, warum ich diese Worte sagte. Der Taxifahrer war einer der armen Bewohner des Dorfes, unfähig mit Geld umzugehen und mit wenig Aussicht auf eine bessere Zukunft. Ein boomendes Taxigeschäft würde keinen neuen Gewinn bringen, weder mir, noch den anderen reichen Bewohnern des Dorfes.
   "Ich hatte doch gar kein Geld mehr für ein Taxi. Der Staat hat mir kein Gehalt mehr gezahlt, weil ich als Bürgermeister noch nichts geleistet habe." Er warf einen verstohlenen Blick zum Schalter nebenan, hinter dem der Vertreter des Staates schmunzelte.
   "Vermieten Sie doch Ihre Garage."
   Der Bürgermeister ballte seine Hände zu Fäusten. "Sehr witzig! Sie wissen doch genau, daß ich mein Haus nicht mehr zur Garage umbauen kann, weil die Anleitung verloren gegangen ist. Außerdem fehlen einige Teile. Ich würde mich nicht wundern, wenn ich diese an Ihrem Verkaufsschalter angebaut bald wiedersehen würde."
   Ich blickte ihn ernst an. "Diesen Vorwurf weise ich entschieden zurück."
   "Schon gut. Ich werde ja bald wieder Geld bekommen, wenn ich das Dorffest organisiert habe. Und dann werde ich mit gutem Beispiel vorangehen und ganz viel Taxifahren."
   "Und vergessen Sie dann nicht, dem Taxifahrer zu sagen, daß er nicht das Tanken vergessen soll." Die Tankstelle wurde geführt von einem der reichen Bürger. Aber ich konnte das Gefühl nicht loswerden, daß dies nicht der einzige Grund für mich war, das Taxi zu empfehlen.
   Ich stützte mich auf das Fensterbrett meines Verkaufsschalters. "Doch kommen wir nun zum eigentlichen Anliegen, weshalb ich Sie hergebeten habe." Ich rückte meinen Cowboyhut zurecht. "Das Dorffest wird Strom brauchen. Strom, den ich zwar liefern kann, der mich aber eine ganze Stange Geld kosten wird."
   "Ich sagte bereits: Ich habe kein Geld mehr."
   "Sie vielleicht nicht. Aber die Besucher des Dorffestes. Verlangen Sie von jedem Gast 5 LT Eintritt und meine Kosten wären gedeckt."
   "Das wäre machbar."
   Nachdenklich rieb ich die Stirn. "Es gibt aber noch ein Problem..."
   Der Bürgermeister zuckte zusammen. "Was noch?"
   "Ich werde als Gast auf das Dorffest gehen und kann daher unmöglich selbst kassieren."
   Der Bürgermeister hatte einen Einfall. "Man könnte ja Klie an die Kasse setzen."
   "Unmöglich", ich schüttelte ernst den Kopf, "der würde sofort zur Snackbar rennen und das Geld versaufen. Nein, mein lieber Daniel. Ich dachte daran, daß Sie selbst sich an die Kasse setzen."
   "Ich?", fragte der Bürgermeister verwundert.
   "Ja, nun stellen Sie sich doch einmal vor, wie sich das auf Ihre künftigen Gehaltszahlungen auswirkt, wenn der Vertreter des Staates zum Dorffest kommt und sieht, daß Sie wirklich einmal etwas arbeiten."
   Daniel Cheffenskraut zweifelte noch. "Hm, bin mir nicht sicher. Vielleicht kommt er gar nicht."
   "Sie bekommen als Verkaufsschalter auch einen schwarzen Klotz, hinter dem Sie sitzen können."
   "Sicherlich, das hört sich schon recht interessant an."
   "Und dazu erhalten Sie noch, und jetzt passen Sie auf, Sie erhalten gratis dazu einen langen, roten Klotz als Sitzunterlage."
Der Bürgermeister strahlte. "Ich bin begeistert, Mike!"

"Sie ruinieren meine Disco!" Der Rennfahrer fuchtelte mit seinen Händen. "Ich lasse Sie doch nicht mein Gebäude auseinanderbauen."
   "Wir brauchen die Klötze aber für den Bürgermeister", brüllte ich ihn an. "Wenn wir die Steine nicht ausbauen, dann hat der Bürgermeister keinen Kassenschalter und dann gibt es auch kein Dorffest. Der Bürgermeister hat gesagt, daß er die Klötze braucht."
   "Wenn Sie diese Klötze ausbauen, dann wird der Raum ja taghell. Wer wird da noch in die Disco gehen?"
   "Die Disco bleibt sowieso geschlossen, während des Dorffestes. Sie werden doch das Autorennen nicht verpassen wollen?"
   "Ein Autorennen? Warum haben Sie das nicht gleich gesagt? Endlich kann ich wieder gegen meinen Bruder antreten. Nehmen Sie, was Sie brauchen."
"Dann gehen Sie nur rasch, rasch los, um noch ein bißchen zu trainieren."

"Vor dem Fest muß ich aber noch schnell einen Wasseranschluß bei Mike Reißberger beantragen!", hörte ich jemanden in der Marktpassage rufen. "Nicht auszudenken, wenn ich nach dem Fest nach Hause komme und mich nicht waschen kann. Am besten, ich besorge mir auch gleich eine Badewanne und einen Durchlauferhitzer für das warme Wasser." Es war Stefan Weltallstein, der reiche Raumfahrer, der gerade an meinem alten Verkaufsschalter vorbeizog." Außerdem brauche ich ja auch Wasser zum Trinken. Was für eine Katastrophe ohne Wasseranschluß. Ich würde elendig verdursten." Besonders laut hob er hervor: "Ein Glück, daß Mike Reißberger jetzt den Wasseranschluß in seinem Angebot hat. So müssen wir alle nicht verdursten!" Stefan Weltallstein stellte sich vor meinen imposanten, neuen Verkaufsschalter und bestellte das ganze neue Sortiment.
   "Mike Reißberger verkauft jetzt auch Wasser?", hörte ich einige Stimmen in der Marktpassage.
   "Und ohne Wasser müssen wir verdursten!". Einige Bewohner des Dorfes streckten ihre Köpfe aus ihren Verkaufsschaltern.
   "Wie konnten wir eigentlich bisher ohne Wasser überleben?", war eine kritische Stimme zu hören.
   "Sssscht", machte es irgendwo, "sonst bekommen wir nachher noch rückwirkend Rechnungen für die letzten Jahre."
   Der Ansturm auf mein neues Angebot war nicht schlecht. Arme und reiche Bewohner bestellten Badewannen, Waschbecken, Warm- und Kaltwasseranschlüsse. Nur die beiden Polizisten waren der Ansicht, sie wären hart genug, auch im kalten Wasser zu baden. Ich empfahl meinen Kunden, mehr Taxi zu fahren, steckte die neu geschlossenen Verträge in meine Tasche und schloß rasch meinen Schalter, um rechtzeitig am Dorffest erscheinen zu können. Ich hatte keine Ahnung, warum ich das Taxi empfohlen hatte.

Ich kicherte ein wenig, als ich den Bürgermeister an der Kasse sitzen sah. Er wirkte wie festgeklebt auf dem langen, roten Klotz, hielt seine Arme ausgestreckt und verharrte in dieser Stellung. "Sie brauchen ja nicht zu bezahlen. Das Geld, was ich hier einnehme, bekommen Sie ja sowieso wieder."
   "Ist eigentlich der Vertreter des Staates schon vorbeigekommen?"
   "Nein, leider nicht. Es wäre doch zu schön, wenn er mich hier beim Arbeiten sieht." Der Bürgermeister grinste immerfort, als er das sagte. Mir war kaum bewußt, daß er überhaupt seinen Mund bewegt hatte.
   Ich zweifelte: "Ich glaube kaum, daß er noch kommt."
   "Waaas?", frage der Bürgermeister aufgeregt. Mir war zuvor noch nie aufgefallen, was Daniel Cheffenskraut für eine Kinderstimme hatte. Kein Wunder, daß er sich im Dorf nie richtig durchsetzen konnte.
   "Er vertritt mich während des Festes an meinem Verkaufsschalter und schließt Verträge für Wasser und Badewannen ab." Mir wurde bewußt, daß meine eigene Stimme auch nicht viel männlicher war.

Ich holte mir bei Hugo Maiers Snackbar ein Bier.
   Meine Freundin saß bereits auf einem langen Klotz und aß ein Spiegelei. Gerne hätte ich mich zu ihr gesetzt, aber leider setzte ich mich nur an das andere Ende des Klotzes. Ich wollte ein wenig näherrücken, fühlte mich jedoch wie angeklebt auf dem Klotz. So blieb mir nichts anderes übrig, als zu Lindina hinüberzulächeln und mein Bier zu genießen.
   Als käme er vom Himmel geflogen, setzte sich plötzlich Walter Müller, der Taxifahrer, direkt neben Lindina. Er hielt eine Bratpfanne mit einem Spiegelei in seiner Hand und hatte seinen Kopf flirtend zu Lindina hingedreht. Lindina schien dem Taxifahrer direkt in die Augen zu blicken und lächelte fortwährend.
   Die ganze Situation war äußerst verwirrend für mich. Was fand Lindina so faszinierend an diesem Mann, daß ihr Grinsen kein Ende mehr fand? Sein Gesicht bestand doch nur aus zwei Augenpunkten und einem Halbkreis, der den Mund darstellte. War es seine Mütze, die er trug?
   Klie von Maijyer, der Alkoholiker, setzte sich mir gegenüber, einen Bierkrug in seiner Hand. Im Grunde hatte Walter Müller das selbe einfältige Gesicht wie dieser Trinker. Die selben zwei Punkte und der Halbkreis. Keine Nase. Mit einem Male wurde mir bewußt, daß auch Lindina das gleiche Gesicht hatte. Doch damit nicht genug. Auch von der Figur her schien sich Lindina kaum von den beiden Männern zu unterscheiden. Im Grunde waren ihre roten Plastikhaare die einzigen weiblichen Reize, die sie aufzuweisen hatte.
   Mir wurde die Situation immer bewußter: Ich hielt überhaupt kein Bierglas in der Hand und auch Klie bewegte nur ab und an den leeren Arm auf und ab. Die meiste Zeit über schien er jedoch in seiner letzten Position zu erstarren, insbesondere in den Augenblicken, in denen sich die Arme Lindinas oder meine eigenen bewegten. Die quadratischen Spiegeleier schienen an der Pfanne festgeklebt zu sein und hatten noch immer die selbe Form und Größe wie Minuten zuvor.

Aus der Ferne war die kindliche Imitation von Motorenlärm zu hören.
   Ich hielt es für unwahrscheinlich, daß der ehemalige Discothekenbesitzer als erster ins Ziel einfahren würde. Vielleicht hatte sein Bruder, der Kinobesitzer, eine Chance. Immerhin gehörte er zu den reichen Dorfbewohnern.
   Stoßweise kamen die Fahrzeuge näher. Ich konnte in der Spitzengruppe kein Auto aus unserer Welt erkennen. Allen voran bewegte sich ein rotes Feuerwehrauto mit abgebrochener Satellitenschüssel, gefolgt von einigen Darda-Autos, deren Aufziehmotoren im Rennen jedoch nicht benutzt werden durften.
   Kurz vor der Zielgerade übernahm eines der Aufziehautos mit einem gewaltigen Stoß die Führung. Der darauffolgende Schub des Feuerwehrautos war etwas zu vorsichtig angesetzt und so gelang es ihm nicht, den Vorsprung des Aufziehautos wieder gut zu machen.
   Doch nun wurde das Aufziehauto übermutig: Es bewegte sich mit einem solch gewaltigen Stoß, daß es vornüberkippte und auf seine ursprüngliche Position zurückgestellt werden mußte. Ich hörte streitende Kinderstimmen. Das Feuerwehrauto gewann.

Ich mußte nun meine Rede halten und den Gewinner beglückwünschen. Hinter der Snackbar stand das Podest, hinter dem der Feuerwehrmann gewöhnlich zu predigen pflegte. Gerne hätte ich meine Rede von diesem Ort aus gehalten, doch ich saß fest auf dem Klotz, auf dem auch der Taxifahrer und Lindina noch immer festgemacht worden schienen. Spitze Plastikpflöcke, die aus dem Klotz nach oben wuchsen, hatten sich in mein Gesäß gebohrt und machten es mir unmöglich, diesen Platz zu verlassen.
   Als hätte ich diese Worte laut ausgesprochen, packte mich eine riesige Hand, zog mir die Plastikpflöcke aus dem Hintern und stellte mich hinter das Podest. Zweimal fiel ich um, dann wurden meine Füße auf einem dünnen Bauteil, der normalerweise als Dach verwendet wurde und der aus einer anderen Richtung herbeigeflogen kam, fixiert.
   Ich kam jedoch nicht dazu, meine Rede zu halten.

"Aber danach machen wir weiter!"
   "Jadoch, jadoch." Der kleinere Junge verließ den Raum.
   "Markus muß mit Papa radfahren gehen. Was ich dir jetzt sage, kann er also nicht hören."
   Ich nickte.
   "Das Taxi gehört Markus. Aber ich will es haben. Und ich weiß auch schon, wie." Der Junge war unheimlich dünn und hatte blonde Haare. Er war ungefähr zehn Jahre alt, vielleicht auch älter, und mindestens 40 Meter groß.
   Noch immer fühlte ich mich unbeweglich, noch immer waren meine Füße auf dem dünnen Bauteil fixiert. "Moment. Immer der Reihe nach", sagte ich. "Wer bist du? Und wer bin ich?"
   "Du bist Mike Reißberger, meine reichste Legofigur. Deine Welt ist ein Spiel. Ein Spiel, das ich gegen meinen Bruder spiele. Es geht um eine Welt, in der meine Figuren immer reicher werden und seine immer ärmer. Mein Bruder weiß nicht genau, worum es wirklich geht in diesem Spiel."
   "Dann sind Lindina und Stefan Weltallstein wohl auch deine Figuren?"
   Er grinste diabolisch. "Genau. Ebenso wie der Kinobesitzer, so wie der Tankwart, wie der Vertreter des Staates und wie alle anderen reichen Figuren."
   Ich begann zu verstehen. "Und Klie von Maijyer, Daniel Cheffenskraut und all die anderen armen Teufel?"
   "Ich glaube, du kennst die Antwort."
   "Und nun..?"
   "Und nun besorgen wir uns das Taxi!"

"Was würdest du jetzt sagen, wenn ich dich fragen würde, ob du meine Frau werden willst?", fragte der Taxifahrer.
   Lindina blickte verstohlen zur Seite. "Es gibt noch ein Problem, Walter."
   Sie saßen beide auf dem Dach des Taxis, das keinen Innenraum hatte und fuhren entlang der quadratischen Felder des Teppichbodens. Sie waren weit entfernt von meinem Verkaufsschalter, aber trotzdem konnte ich sie jetzt sehen und hören. Ich bekam jetzt alles mit, was in der Stadt vor sich ging.
   Ein Sparkonto flog aus der Schachtel, in der all das Spielgeld, das die Lego-Taler darstellte, untergebracht war und landete vor dem Taxi.
   Lindina zeigte auf das Konto: "Schau doch nur, wie schlecht du mit Geld umgehen kannst. Wenn wir jetzt eine Familie gründen, dann werde ich über kurz oder lang genauso arm werden wie du."
   Walter Müller zog die Augenbrauen zusammen. "Aber vielleicht fahren die Leute irgendwann auch wieder mehr Taxi. Dann hätte ich auch wieder etwas mehr Geld."
   "Ach Walter, du hast von diesen geschäftlichen Dingen doch keine Ahnung. Wie willst du denn die Leute dazu bringen, mehr Taxi zu fahren?"
   Er zuckte mit den Schultern. "Ich weiß doch auch nicht. Was soll ich denn tun?"
   "Nun, erinnerst du dich daran, wie Mike Reißberger uns alle kürzlich dazu gebracht hat, Badewannen installieren zu lassen und sein Wasser zu kaufen?"
   "Ohja, wie sollte ich das vergessen? Ich muß jetzt jeden Tag die Warmwassergebühren bezahlen und werde nur allein deshalb schon immer ärmer und ärmer."
   "Siehst du. Mike Reißberger wußte, wie man die Leute dazu bringen konnte, Sachen zu kaufen, die in unserer Welt noch nicht einmal wirklich sichtbar sind."
   "Und du meinst..."
   "Ich bin überzeugt, er würde auch dein Taxiunternehmen zu einer Goldgrube machen."
   "Aber das Taxi ist doch das einzige, was ich noch besitze", sagte er leise.
   "Na und? Du wirst mehr verdienen als du vorher je verdient hast, wenn du es Mike Reißberger verkaufst. Du hast dann dein festes Gehalt, auch wenn mal niemand Taxi fährt und...", Lindina blinzelte ihn an, "...und kannst es dir leisten, eine Familie zu gründen!"

"Aber das Taxi gehört in echt immer noch mir?", fragte Markus zweifelnd.
   "Sicher", antwortete Andreas. "Der Vertrag gilt ja nur in der Legowelt."
   "Aber hier steht doch, daß das Taxi jetzt Mike Reißberger gehört."
   "Aber du wirst ja nicht mit deinem Namen unterschreiben, sondern mit dem Namen vom Taxifahrer."
   "Und dann wird Lindina den Taxifahrer heiraten?"
   "Das weiß ich doch nicht. Das ist allein Lindinas Endscheidung."

"Und wenn ich mein Taxi an Mike Reißberger verkaufe, wirst du mich dann heiraten?", frage Walter Müller.
   "Habe ich dir darauf nicht längst schon eine Antwort gegeben?", konterte Lindina.

"Und was heißt das jetzt?" Markus keifte immer lauter. "Hat sie ihm jetzt gesagt, daß sie ihn heiratet oder nicht? "
   "Wenn der Taxifahrer der Lindina so wenig vertraut, dann können die sowieso nie heiraten."
   "Aber nachher verliert der sein Taxi und hat gar nichts davon."
   "Ach, wenn du jetzt nicht vernünftig weiterspielst, dann hör ich auf!"

"Eine gute Entscheidung", sagte ich, als Markus die Unterschrift des Taxifahrers auf den Vertrag setzte. "Da wird sich wohl bald auf einem bestimmten Sparkonto ein Vermögen ansammeln."
   Walter Müller dachte, ich hätte von seinem Sparkonto gesprochen. "Nun, damit werde ich sicherlich in der Lage sein, eine Familie zu gründen." Er blickte flehend zu Lindina hinüber.
   "Ich bin mir ganz sicher, daß du bald die richtige Frau finden wirst", sagte sie und gab mir einen dicken Kuß.
   Dann wurde es mir schwarz vor Augen.

Ich weiß nicht, wie lange ich im Koma gelegen hatte. Andreas saß vor einem Gebäude mit sehr flachen Mauern und hohen Türmen, das das halbe Zimmer ausfüllte.
   "Was ist passiert?" wollte ich wissen.
   "Markus will nicht mehr Lego mit mir spielen."
   "Und wo befinde ich mich jetzt?"
   "Das ist ein anderes Spiel. Dies hier ist meine große Burg und dort hinten siehst du die kleine Burg von Markus. Es geht darum, möglichst viele Ritter von Markus ohnmächtig zu schlagen und in den Kerker meiner Burg einzuschließen."
   "Und was mache ich hier? Meinst du nicht, daß ich mit meinem Cowboyhut in dieser Welt etwas deplaziert wirke?"
   "Ach, das ist ganz egal. Markus hatte auch einmal eine Supermannfigur im Spiel. Die war allerdings zu stark und dann hab ich sie ihm verboten. Außerdem habe ich auch eine Truppe von Cowboys hier, die meinen Bruder immer dann ablenken, wenn meine Ritter einen Anschlag gegen seine Burg vorhaben.
   Ich setzte mich auf die Burgmauer. "Meinst du nicht, daß diese Mauer etwas niedrig ist für eine Burg?"
   "Das macht nichts. Wir haben eine Regel, daß niemand über die Mauer steigen kann. Und je kleiner die Mauer, desto länger reichen die Bausteine, desto größer die Burgen."
   "Du hast mir immer noch nicht gesagt, warum ich hier bin..."
   "Vielleicht brauche ich dich zur Einschüchterung." Andreas kratzte sich am Kinn. "Falls Markus mal nicht nach meinen Regeln spielt, dann werde ich ihm sagen, daß du der neue Chef meiner Burg bist."
   "Und du meinst, das bringt dir dann einen Vorteil?"
   "Ganz bestimmt." Er hob mich in die Luft. "Schau doch nur, wieviel Ritter dort in seiner Burg übereinanderliegen. Wenn die alle Strom- und Wasserrechnungen bezahlen müßten, das könnte sich Markus niemals leisten."

Andreas hatte mich wieder auf der Burgmauer abgesetzt. Sie paßte nicht in mein Gesäß. Ich stellte fest, daß die Mauer nicht aus Legosteinen bestand. "Warum?" fragte ich verdutzt.
   "Damit die Ritter von Markus schwächer werden und meine stärker."
   "Aber warum machst du das?"
   Er wurde sichtlich nervöser. "Meine Figuren sind die besseren und müssen deshalb stärker werden. Markus versteht die Spiele überhaupt nicht richtig, die ich erfinde. Also muß er verlieren. Außerdem ist er mein kleiner Bruder und hat immer verloren."
   "Er hat nie gewonnen?"
   "Nein, Scheiße, Arschloch! Er kann nicht gewinnen. Ich mache die Regeln so, daß ich gewinne. Dafür erfinde ich solche Welten. Hier kann ich alles kontrollieren."
   In diesem Augenblick kam der kleine schwarze Ritter angeflogen, sagte "Boing!" und schlug mich tot.

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Titelbild: MAKY_OREL / pixabay.com (public domain)

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