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geschrieben 1980 von Georg Maria Zacherl (Georg Maria Zacherl).
Veröffentlicht: 05.09.2018. Rubrik: Unsortiert


Der Falkenhorst (erste von sechs Kurzgeschichten)

Es war am sechsten Tage nach seiner Abreise, als der Zug ins Dorf einfuhr und er hatte alles zu seiner Zufriedenheit erledigen können.

Aber bevor er zum Falkenhorst aufsteigen wollte, ging er noch zum nahen Krämerladen, um seiner Anna ein paar Kleinigkeiten mitzubringen. Im Laden waren etliche Frauen aus dem Dorf und unterhielten sich aufgeregt miteinander. Es dauerte eine Zeit, bis er begreifen konnte, dass sie von seiner Anna sprachen. Was er dann vom Gespräch der Frauen erfuhr, ohne dass diese wissen konnten, wer er war, drohte es ihm, den Boden un sechs Kurzgeschichnter den Füßen wegzuziehen.

Mit schwankenden Schritten verließ er grußlos den Laden und ging, ohne dass es ihm gleich bewusst wurde, auf direktem Weg zu der Falkenhütte hinauf. Er wusste nach der nächsten Wegbiegung würde er es vor Augen haben. Das was seine Zukunft hätte werden sollen und doch schon unbarmherzig der Vergangenheit angehörte. Die Liebe und das Geliebt werden.

Er wusste, dass nach Zukunft und Vergangenheit für ihn nur noch die Hoffnungslosigkeit blieb. Und als er die letzten Wegabschnitt erreicht hatte, wurde der Blick frei, für das, was die Natur und ihre Urgewalten seinen Hoffnungen übrig gelassen hatten. Die Almhütte, die man im Dorf den Falkenhorst nannte, lag nach diesen, seit Generationen nicht mehr dagewesenen Unwetters mit Blitz, Donner und Hagelschlag nur noch als ausgebrannte Ruine vor seinen Augen. Bei der Hütte angekommen, war es ihm, als würde er die Blitze sehen, den Donner hören und die Hitze des Feuers verspüren, welches das Gemäuer zerstörte und unter den Trümmern seine geliebte Anna begrub. Die Vorstellung, dass die alles bei vollem Bewusstsein mitbekam, weil sie unter einem Balken einklemmt war, liest seinen Magen verkrampfen. Sie wurde stumm, wie sie von Geburt an gewesen war, in den Flammen der brennenden Hütte von seiner Seite gerissen. Nur ihre blauen Augen konnten ihre Angst und ihre Verzweiflung in den letzten Minuten ausgedrückt haben, die sie nicht hinaus schreien konnte in ihrer Todesangst.

Er wusste selbst noch nicht, nach was er suchte. Als seine Füße in den verkohlten Trümmern der Hütte mal hier, mal da über den Boden scharrten. Die Reste der nicht ganz verbrannten Möbelstücke hob er an, zog sie beiseite, bis er es fand, das dünne Romanheftchen. Fast unversehrt lag es unter der Ofenbank, wo Anna immer saß und las. Von dem Jägerfranz und der Sennerin, eine Liebesgeschichte aus der Bergwelt. Diese hatte sie schon so oft gelesen, denn darin spiegelten sich ihre Hoffnungen und Sehnsüchte über die Liebe, die sie in ihren Träumen verspürte. Das war das einzige. Bis sie ihm begegnete.

Während er gedankenversunken, auf der Ofenbank sitzend, in dem dünnen Roman blätterte, als könnte er darin noch einmal das Vergangene nachlesen, erwachte in ihm die Erinnerung an die wundervolle Zeit ihrer Liebe und Hingabe zueinander, deren Zeugen nur die Berge, Wiesen und Wälder waren.

Angefangen hatte alles mit der ersten, so dramatischen Begegnung mit Anna.
Damals sehr er die Falkenhorsthütte im Dämmerlicht etliche Meter unter sich liegend. Er hatte den Steilhang, den mit Geröll bedeckt war, schon zur Hälfte hinter sich gelassen, als er über einen losen Gesteinsbrocken stolperte. Durch das Gewicht seines Rucksacks wurde er nach vorne gerissen und stürzte unkontrolliert den Abhang hinunter. Er versuchte, nach mehreren Überschlägen mit den Händen Halt zu finden, glitt aber auf dem lockeren Untergrund immer wieder ab. Eine Steinlawine auslösend, rutschte er bis kurz vor die Almhütte. Wie lange er dort benommen und keinen klaren Gedanken fassend, gelegen war, wusste er nicht mehr. Unter starken Schmerzen, schwer verletzt schleppte er sich bis vor die Kate. Mit letzter Kraft, zu der er noch fähig war, schlug er mit den Bergstiefel gegen die Bohlen der Türe. Danach verließen ihn die Sinne und er brach ohnmächtig zusammen.

Das Erste, was er wieder voll wahrnehmen konnte, nachdem der Nebelschleier sich von seinen Augen lichtete, war, dass er in einem Bett lag. Sein Körper war eingehüllt, wie aufgebahrt, in weißen Laken. Der Kerzenschein, der flackernd mit der Holzdecke spielte, tat ein übriges, um die Angst in ihm aufkommen zu lassen, dass er schon tot sei. Als er den Kopf zur Seite drehte und eine in weißem Hemd gekleidete Gestalt mit blondem, langem Haar neben sich stehen sah, diese auch noch sanft lächelte, war er sicher, er wäre im Himmel und ein Engel hielt vor dem Bett Wache. Doch für weitere Gedankengänge reichte für ihn die Zeit nicht mehr. Die Nebelschleier wurden wieder dichter und eine lange Ohnmacht ließ ihn vergessen, was noch eben seine Augen gesehen haben.

Langsam, als müsse er einen sehr weiten Weg bis zur Wirklichkeit zurück legen, erwachte er aus seinem tiefen Schlaf. Er wagte nicht, die Augen aufzumachen. Darum belauschte er erst mal die Geräusche um sich herum. Da war Vogelgezwitscher, muhende Kühe und das Rauschen der Baumwipfel. Hinzu kam noch das Klappern von Geschirr und der aromatische Duft von Kaffee, der ihm in die Nase kroch. Das ganze passte aber nicht an das erste Erwachen, an das er sich jetzt wieder erinnerte. Er dachte sich, wenn das der Himmel war, mit Kaffeegeruch, Gezwitscher und Kuhmuhern, dann wollte er ihn auch sehen. Bedächtig und vorsichtig öffnete er die Augen. Die Vorstellung, im Himmel zu sein, wurde ihm dann aber sofort genommen, als er sah, dass er sich in einer Hütte befand. Er lag in einem urigen Bett mit direktem Blick aus dem Fenster. Davor standen
tatsächlich grasende Rindviecher und auch die singenden Vögel. Diese saßen tirilierend in einem Käfig auf dem Fenstersims. Auch die Baumwipfel konnte er erkennen, die ihr monotones Lied vor einem gigantischen Bergpanorama im Wind sangen. Trotz geöffneten Augen passte der weißgekleidete, goldblonde Engel nicht in das Puzzle, welches er langsam begonnen hatte, in seinen Gedanken zu lösen. Und da war ja auch noch das Geschirr klappern und der Kaffeegeruch. Als er sich versuchte, umzudrehen, war sofort der Nebelschleier zurück, ausgelöst von einer extrem starken Schmerzwelle. Sein lautes Stöhnen, das ihm dabei von den Lippen kam, hörte er von ganz weit her. Als die Schmerzen, nachdem er wieder ganz ruhig lag, langsam nachließen, öffnete er die Augen wieder. Da sah er seinen Engel glasklar und in all seiner schlichten Schönheit vor dem Bett stehen, so wie bei seinem ersten Erwachen. Diesmal hatte sein Engel allerdings ein blaues, einfaches Kleid mit geblümter Schürze an. Nur die schulterlangen, blonden Haare waren so wie in seiner Erinnerung. Allerdings war da noch etwas, was er erst jetzt sah: die wunderschönen, blauen Augen, die ihn an einen glasklaren Gletschersee erinnerten, den er vor Jahren hoch oben in den Bergen entdeckt hatte.

In den Händen hielt sie ein hölzernes Tablett, von dem es nach Rühreiern roch, auch eine Schnabeltasse war darauf, aus der der verlockende Duft frisch gemahlenen Kaffees stieg. Sie stelle das ganze vor sich auf dem Nachtisch ab, holte einen kleinen Notizzettel aus ihrer Schürzentasche und hielt ihn ihm vor die Augen. Danach greifend, zog seine Hände unter der Bettdecke hervor, da sah er, dass beide komplett verbunden waren. Er ließ sie sinken und begann, den Zettel zu lesen. Mit gut leserlicher Schrift stand da:
Ich heiße Anna. Seit Geburt an bin ich taubstumm. Habe dich vor der Hütte gefunden. Deine Hände sind ok, nur zerschunden. Morgen kann ich den Verband abnehmen. Wenn du langsam und deutlich sprichst, dann kann ich von deinen Lippen lesen. Weil du deine Hände nicht gebrauchen kannst, werde ich dich füttern. Hoffentlich schmeckt dir, was ich gekocht habe.

Als er kurz nickte, wusste sie, dass er verstanden hatte, was sie ihm geschrieben hat. Mit den Worten des Dankes für das, was sie für ihn tat, begann überdeutlich mit Anna zu sprechen. Ihre schönen Augen vermochten ihm mehr zu antworten, als jedes Wort es gekonnt hätte.

Sie fütterte ihn und ließ ihn vorsichtig aus der Schnabeltasse trinken, als hätte sie nie etwas anderes getan in ihrem Leben. Nach dem liebevollen Mahl verfiel er wieder in einen traumlosen Schlaf. Er wurde durch ein starkes Frösteln geweckt. Das Klappern seiner Zähne und der Schüttelfrost durch die innere Kälte, ließ ihn bewusst werden, dass er hohes Fieber haben musste. Kalter Schweiß bedeckte seine Stirn. Anna kam mit einem kühlen, feuchten Tuch an das Bett und begann ihn vorsichtig, fast zärtlich abzuwischen. Ihre Augen sahen ihn beruhigen und tröstend an. Die Ruhe ihrer Bewegungen und Gesten strahlten für ihn mehr Geborgenheit aus, als tausend Worte. Das Zittern seines Körpers ließ langsam nach, wurde aber abgelöst von einer enormen Schwäche. Da spürte er plötzlich, dass ihr warmer Körper sich an ihn schmiegte. Die zarte Wärme, die ihn zu durchströmen begann, ließ ihn ins Land der süßen Träume gleiten.

Als er erwachte, stand die Sonne schon golden glänzen am Firmament. In seinen Armen lag Anna schlafend in ihrer zarten Schönheit. Er wollte ihrem Körper nicht ausweichen, aber auch nicht die Situation schamlos ausnutzen und ihr näher kommen, als sie es gestatten wollte. Ihm war bewusst, dass sie ihn nur mit ihrem Körper wärmen wollte, schützend vor Kälte und bösen Fieberträumen. Er betrachtete lange ihr ebenmäßiges Gesicht und ihren zart geschwungenen Mund. Ihre blondes Haar fiel leicht gelockt über ihre halb von der Zudecke entblößten Schultern. Ein Gefühl von inniger Zuneigung erfüllte plötzlich sein Herz. Seine überschäumenden Gefühle ließen ihn wagen, ihr einen gehauchten Kuss auf die Stirn zu geben. Dies Berührung ließ sie erwachen. Er glaubte schon, sein forsches Auftreten würde sie veranlassen, ihren Körper, der ihn so wärmte, von ihm zurück zu ziehen. Doch sie öffnete nur ihre Augen, die ihn sofort wieder in Bann hielten. Er versuchte, die Tiefe zu ergründen, die er in ihnen sah. Das Schuldgefühl über sein vorheriges kühnes Auftrete, als er sie einfach so auf die Stirn küsste, ließen ihn den reinen und aufrichtigen Blick ihrer Augen nicht stand halten. Beschämt sah er auf ihre Lippen, die sich bei seinem Anblick leicht öffneten und es dürstete ihn, sie zu küssen. Doch diesmal wollte er ihren Gefühlen nicht vorgreifen. Anna spürte sein Zögern, dass ihn abhielt, ihren Mund mit seinen Küssen zu schließen. Da kam sie ihm entgegen und umschloss seine Lippen. Nur die Angst, eine zu stürmische Bewegung würde wieder eine Welle des Schmerzes in seinem zerschundenen Körper auslösen und ihm den Genuss ihrer Liebkosungen zu rauben, ließ ihn still liegen.

Beide fühlten es, wie ihre beiden Herzen begannen, im selben Takt zu schlagen und das Band der Liebe sie umschlungen hatte. Sie erwachten langsam aus dem süßen Rausch ihrer tiefen Gefühle zu einander und die zarten Harfen verklangen, die sie angeschlagen hatten. Nur Annas strahlende Augen spiegelten noch immer die Minuten der tiefen Hingabe zu ihm.

Als sie sich von seiner Seite löste, um aufzustehen, wollte er schon die Augen schließen, so dass sie sich ihrer Blöße wegen nicht zu schämen brauchte. Doch er verwarf den Gedanken sofort wieder, als er sich jetzt langsam schmerzhaft aufrichtete, an sich herab sah und wusste, dass auch ihr seine Nacktheit nicht verborgen geblieben war, als sie ihn wusch und pflegte. Er dachte sich, was könnten ihre beiden Körper noch für Geheimnisse in sich bergen, was ihrer beider Blicke sich nicht schon anvertraut hatten.

Es vergingen fast zwei Wochen, bevor seine Wunden verheilt waren und er keine Schmerzen mehr spürte. Er fühlte, dass der Augenblick gekommen war, wo nicht nur ihre beiden Herzen sich nahe sein konnten, sondern sie auch ihre Körper die Sprache der Liebe sprechen lassen konnten.

Der Tag war in strahlenden Sonnenschein getaucht, als er das erste Mal mit Anna auf die Weiden ging, die Kühe zum melken in den Stall trieb und ihr dann zusah, wie sie die Milch zu Butter und Käse verarbeitete. Das war ihm bis jetzt durch Schmerzen und Unbeweglichkeit verwehrt geblieben. Als die Stallarbeit erledigt war und sie zu Abend gegessen hatten, zeigte sie ihm zum ersten Mal den Liebesroman, den sie schon so oft gelesen hatte. Sie schrieb ihm auf einen Zettel, wovon sie, seit er bei ihr war, immer genügend zur Hand hatte, er möge ihr doch etwas daraus vorlesen. Zustimmend nickte er und sie machten es sich bei Kerzenschein im Bett bequem. Noch während er ihr vorlas und sie ihn dabei eng umschlungen hielt, legte er bei besonders zärtlichen Kapiteln Pausen ein, in denen er sie liebevoll streichelte und liebkoste.

Draußen vor der Hütte begann es zu rumoren und nach einigen Minuten, wussten sie, dass ein Gewitter aufkam, welches auch nicht lang auf sich warten ließ. Mit ohrenbetäubenden Donnern entlud es sich direkt über ihrem Unterschlupf. Das krachende Getöse und das Rauschen der Bäume nahmen dermaßen zu, sodass er das lesen unterbrach und besorgt aus dem Fenster blickte. Da nahm sie ihm den Roman aus den Händen und löschte die Kerze. Sie schmiegte sich Schutz suchend in seine Arme. Nur die Blitze erhellten für Sekunden ihre eng umschlungenen Körper und die Natur ließ drinnen sowie draußen keinen Unterschied mehr erkennen, denn vor der Hütte tobte mit aller Macht das Gewitter und in ihr die Urgewalt der Leidenschaft sich innig Liebender im Einklang mit der Natur.

Mach einiger Zeit legte sich der Sturm draußen vor, sowie in dem Häuschen wieder, nur das leise Rauschen des Regens war zu hören, als sich ihre Körper von einander lösten und zartes Streicheln und Liebkosen Anna in den Schlaf wiegten, bis sie ruhig atmend in das Land der Träume entglitt.

Er stieg behutsam und leise aus dem Bett, ging zu dem kleinen Hüttenfenster, um es zu öffnen. Die fische Luft, die herein strömte, sog er tief in seine Lunge und das, was in ihm war, konnte man nur mit den Worten des unfassbaren Glücks und Herzensfreude beschreiben. Als die Wolkendecke aufriss, stand der Mond in seiner ganzen Pracht am Himmel und sein silbernes Licht fiel durch das Fenster in das Zimmer, legte seinen fahlen Schleier über die tief und glücklich schlummernde Anna. Als er sie so vor sich im Mondlicht liegen sah, füllte sich sein Herz abermals mit Liebe, die es zu sprengen drohte. Seine Augen tasteten über ihr blondes Haar bis zu ihren bloß liegenden Schultern und den weiblichen Formen hinab, die sich auf der Zudecke abzeichneten. Er legte sich wieder an ihre Seite und liebkoste ihre Lippen. Noch im Traum, ohne wach zu werden, erwiderte Anna den Druck seines Mundes und ihr Körper seine Berührung suchend, drängte sie sich an ihn. Ihre Lippen berührten leicht seinen Hals.

Das in dieser Nacht die Würfel für sie beide als Paar gefallen sind, das wusste er. Am folgenden Tag wollte er in seine Heimatstadt fahren, um sich die nötigen Papiere zu besorgen, die für eine Hochzeit nötig waren. Er wusste jetzt mit Sicherheit, bei Anna würde er die Ruhe finden, nach der er sich schon so lange gesehnt hatte.

Als Anna das Frühstücksgeschirr abgeräumt hatte, nahm er sie an seine Seite und erzählte ihr von seinem Vorhaben, ohne ihr aber den Grund genau zu erklären, warum er in seine Heimatstadt reisen wollte. Erst, wenn er wieder bei ihr ist, wollte er ihr den Heiratsantrag machen. Und dann wollte er nicht mehr von ihrer Seite weichen und im Falkenhorst bleiben.

Anna zeigte Verständnis für seine Abreise, dass er sie für ein paar Tage allein ließ, da er ja außer seinem Rucksack nichts bei sich hatte, als er so unverhofft zu ihr kam. Nachdem er ihr einen langen Abschiedskuss gegeben und ein paar Tränchen von ihren Wangen geküsst hatte, machte er sich mit raschen Schritten ins Dorf hinab. Von dort wollte er mit der Bahn in seine Heimat fahren.

Es fing leicht zu nieseln an, als er sich von der rußigen Ofenbank erhob. Das Romanheftchen entglitt seiner Hand und fiel zurück in die Asche, von wo er es aufgenommen hatte. Über die Trauer in seinem Herzen legte sich der Schleier tiefer Melancholie. So stumm, wie er die ganze Zeit über hier, in der Ruine seines zerstörten Glückes gesessen hatte, so schritt er auch wieder durch den nasskalten Regen von diesem grausamen Ort.

Dass für immer die Freude und Hoffnung aus seinem Herzen gewichen war und oben, zwischen den Trümmern und unter der Asche begraben lag, wusste er, denn ein Mensch muss nicht immer erst gestorben sein, um nicht mehr zu leben.

Auf dem Weg hinab in das Bergdorf, hörte er schon von der Ferne das hohe Bimmeln der Totenglocke vom Turm des Kirchleins, um das sich ein kleiner Gottesacker schmiegte. Diesen umschloss eine Mauer aus groben Felsgestein. Als er den Friedhof durch ein schmiedeeisernes Tor betreten hatte, sah er ein Stück weiter einen vollbärtigen alten Mann mit Filzhut, welcher eben mit Spitzhacke und Schaufel hantierend, ein Grab am Wege öffnete. Er ging zu ihm hin, in der Gewissheit, den Totengräber vor sich zu haben, fragte er nach der Grabstelle seiner geliebten Anna. Da zeigte dieser mit einer Hand auf die gegenüber liegende Seite zu Friedhofsmauer hin und sprach: „Da findest du sie!“

Er fand auch sogleich das frische Grab mit einem schlichten Kreuz, auf dem Annas Name stand.

Den Kopf gesenkt und ein Gebet sprechend, kniete er vor ihrem Grabhügel nieder. Bittere Tränen rollten über seine Wangen. Er griff in seine Jackentasche und holte jenes Schächtelchen, das noch vor so kurzer Zeit ihm der Juwelier übergab, welches die zwei goldenen Ringe barg, einen für ihn und einen für seine so geliebte Anna. Den kleineren nahm er heraus und grub mit bloßen Fingern ein tiefes Loch in die Graberde, versenkte ihn darin und glättete mit einigen fahrigen Handbewegungen die Oberfläche. Den anderen Ring steckte er sich an seinen Ringfinger der linken Hand und er wusste jetzt, wenn sich sein Herz je wieder für eine Liebe öffnen würde, dann nur für die kurze Zeit eines Traumes von der großen Liebe mit Anna. Ohne diese Liebe bleibt nur die Traurigkeit in seinem Herzen.


- ENDE -

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von Wossi van Kitzelmaus am 01.10.2018:

Schöne, herzerweichende Geschichte. Gern mehr. Leider wird hier dringend eine Buchstabenspende benötigt. Es fehlen nämlich etliche.

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