geschrieben 2025 von Rautus Norvegicus (Rautus Norvegicus).
Veröffentlicht: 19.12.2025. Rubrik: Aktionen
Aktion Dezember - Schon wieder pleite - Die Lebensretter
„Du, Frank...“. „Ja, du Rautus“. „Guck mal, da drüben, ich glaub, der will sich umbringen, aus dem Fenster springen!“ Ich deutete auf das Haus schräg gegenüber. Ein Typ stand da auf dem
Fensterbrett, Arme wie ans Kreuz genagelt nach rechts bzw. nach links ausgestreckt, rechte Wange gegen die Fensterscheibe gedrückt. Lange Haare, die von dem böigen Wind zerzaust wurden. Frank
wirkte etwas desinteressiert und zuckte mit seinen Schultern. „Na soll er doch, der wird schon seine Gründe haben. Vielleicht hat seine Freundin Mundgeruch und er weiß nicht, wie er ihr das sagen soll.“ Ich grinste; „Komm, wir fahren eben hin!“
Wir setzten uns ins Auto. Damals fuhr ich einen Opel Ascona, Frank sprang auf den Beifahrersitz und knallte die Tür hinter sich zu, schob sofort eine Kassette mit 'Yello' von neunzehnhundertfünfundachtzig ins Autoradio mit integriertem
Kassettenspieler. Ja, sowas gabs damals noch. Mit durchdrehenden Reifen jagte ich los, kam mit quietschenden Reifen nach nicht mal zehn Sekunden vor dem Haus zu stehen.
Perfekte Inszenierung! Meinen Führerschein hatte ich erst seit einer Woche, ich fand Autofahren noch so geil, ich fuhr sogar die kürzeste Strecke. Eine kleine Menschentraube hatte sich mittlerweile vor dem Haus, aus dem der Typ springen wollte, gebildet. „Notfall-Psychologen, lassen sie uns bitte durch. Mein Assistent!“ Frank deutete mit einer Kopfbewegung auf mich. Bereitwillig traten die Leute zur Seite. „Viel Glück“, sagte eine ältere Dame inbrünstig zu mir und begann, zaghaft zu klatschen.
Umstehende schlossen sich an und ein kleiner Applaus erhob sich. „Gott sei Dank sind sie und ihr Kollege da!“ Sie himmelte mich dankbar an.
Ich nickte lächelnd in ihre Richtung, mein Gesicht war inzwischen brennend heiß und gefühlt knallrot vor Scham! Von wegen Notfall-Psychologen! Warum hatte Frank nicht einfach den Mann auf dem Fenstersims gefragt, was los war? Immer
musste er so einen Zirkus machen, ich konnte die peinlichen Situationen, in die er mich bereits schon oft gerissen hatte, gar nicht mehr zählen! Wir standen jetzt direkt vor dem Haus. Der Typ stand nur mit den Fußballen auf dem schmalen Fensterbrett, immer wieder durchfuhr eine
krampfartige Zitterattacke seine Waden, die sich bei jedem Mal stärker verkrampften.
Frank sah mich jetzt ein wenig hilflos an: „Was sollen wir machen, Rautus?“, zischte er mir aus spaltbreit geöffneten Lippen zu. „Lass dir gefälligst selber etwas einfallen, Herr Psychologe“, ätzte ich leise zurück, dann, laut zu dem vermeintlichen Fenster-Springer: „Alles wird gut, bleiben sie ganz ruhig. Soll ich jemanden benachrichtigen, wenn sie gesprungen sind? Wo wohnen sie denn?“. Jetzt schien er mich das erste Mal richtig wahrzunehmen. Er wurschtelte an seinen Ohren herum und zog die
Ohrhörerstöpsel seines Walkmans heraus, seine Waden und Füße zitterten gefährlich auf der kleinen Standfläche. „Wie, wo ich wohne? Na hier. Ich repariere gerade die Rollläden, die rollen
nicht mehr ab.“
Triumphierend hielt er einen kleinen Stein in die Höhe. „Hier ist der Übeltäter, der
Stein hat alles blockiert! Gestern wollte ich schon einen Handwerker für die Reparatur bestellen, hab es aber gelassen, weil ich schon wieder pleite bin. Aber jetzt hat's auch so geklappt“. Er kraxelte vom Fenster auf den Boden. Etwas enttäuscht, weil niemand auf den Bürgersteig geknallt ist und zerschmettert wurde, zogen die Menschen vor dem Haus ab.
Frank und ich stiegen ins Auto und verließen unauffällig den Ort unserer gelungenen Rettungsmission.
Ende
9x




