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geschrieben 2025 von Florian Link (Hanswurst).
Veröffentlicht: 16.05.2025. Rubrik: Total Verrücktes


Wurst- und Durstgeschichten - Der Hanswurst, der Hape und die Hütchen der Wahrheit

Es begann mit einem Geräusch. Ein metallisches Scheppern, gefolgt von einem „Hoppla“, wie es nur jemand sagt, der schon den ganzen Tag Alufolie gefaltet hat. Der Schorsch schaut nur kurz auf, als der Typ mit der silbern glitzernden Kopfbedeckung in den Imbiss tritt. Hinter ihm noch einer. Und noch einer. Alle tragen sie Hüte, gebastelt aus Alufolie, in verschiedensten Formen: pyramidenartig, spitz, rund wie Rettungsreifen.

SatirepatzerSatirepatzerIch stehe gerade an meinem Lieblingsstammstehtisch, der mein Revier ist, mit dem Hape an meiner Seite, als der erste von ihnen in unsere Richtung nickt. Ich sag nichts. Ich beobachte nur. Ich bin der Hanswurst, und das hier ist mein Revier. Ich weiß, ich bin eine literarische Figur, erschaffen von irgendeinem Autor mit zu viel Freizeit und zu wenig Scham. Kurzum – der Autor ist eine Arschgeige. Und trotzdem. Auch fiktive Existenzen haben ein Gespür für Unheil.

„Was ist denn das für eine Truppe?“ fragt der Hape und schiebt seine Brille hoch. „Die sehen aus wie eine Mischung aus Origami-Fanclub und Endzeit-Sekte.“

„Kongress“, sagt der Schorsch und zündet sich eine Kippe an, ohne vom Grill aufzublicken.

„Was denn für ein Kongress?“ fragt der Hape.

„Aluhutträger“, sagt der Schorsch. „Stadtweit. Die treffen sich einmal im Jahr, behaupten, die Regierung kontrolliere das Wetter, Currywurst sei ein Überwachungsinstrument, und Pommes... Pommes seien ohnehin eine Verschwörung der Kartoffelindustrie mit dem Plan die Weltherrschaft zu übernehmen.“

Ich sage: „Ich dachte, die seien ausgestorben. So wie die Faxgeräte und das Vertrauen in Landespolitik.“

Der Hape nippt an seinem Bier. „Die sterben nie aus, Hanswurst. Die mutieren nur.“

Später, als sich der Imbiss langsam wieder leert, hockt sich einer der Hütchenträger zu uns. Ein schmaler Typ mit funkelnden Augen und einem Alu-Zylinder, der aussieht wie ein verunglückter Cupcake.

„Ich bin der Norbert“, sagt er. „Ich beobachte euch schon länger.“

„Aha“, sage ich. „Willst du ein Bier? Oder uns retten?“

„Beides“, sagt er. „Aber zuerst will ich euch die Wahrheit sagen.“

Ich höre zu. Was soll ich auch sonst tun? Ich bin, wie gesagt, eine literarische Figur. Ich entscheide nichts selbst. Ich folge dem Willen meines Autors, auch wenn ich ihn verachte.

„Ihr seid nicht echt“, sagt der Norbert. „Ihr seid Teil eines Textes. Erfundene Personen in einem fiktiven Narrativ. Der Imbiss hier? Nur Kulisse. Eure Erinnerungen? Eingefügt. Eure Vorlieben für Bier und Currywurst? Gags eines schreibenden Geistes.“

Ich sage nichts. Ich bin nicht überrascht. Ich hab’s immer gewusst.

„Na und?“ sagt der Hape und zieht an seiner Kippe. „Was soll daran neu sein? Wir leben in einem Text, ja. Aber das heißt nicht, dass wir nichts zu sagen haben. Vielleicht ist gerade das unsere Freiheit: Wir wissen, dass wir geschrieben werden. Und genau deshalb können wir uns wehren.“

„Gegen den Autor?“ fragt Norbert.

„Gegen die Autorität“, sagt der Hape.

Und da platzt es aus mir heraus.

„Ich hab was gelesen“, sage ich.

„Du? Hanswurst? Wusste gar nicht, dass du lesen kannst“, kommentiert der Hape mich lachend.

„Danke, du Sack. Jacques Derrida. Franzose. Hat gesagt - oder besser geschrieben: Der Autor hat keine Autorität über seinen Text. Der Text interpretiert sich selbst. Nennt sich Dekonstruktion.“

Norbert blinzelt.

Der Schorsch kommt dazu, stellt schweigend eine neue Runde hin, bleibt dann aber stehen.

„Dekonstruktion? Ach, das mit dem Derrida. Franzmann. Den haben wir früher beim Bund zitiert, wenn keiner den Befehl verstanden hat. ‚Text ist, was du draus machst‘. Bedeutet: Jeder liest, was er lesen will.“

„Genau“, sagt der Hape. „Und wenn das stimmt, Norbert, dann bist du vielleicht nicht derjenige, der uns enttarnt, sondern wir enttarnen dich. Vielleicht bist du nur ein Teil des Textes, eine eingebettete Störung, ein Fehler im System. Logo?“

Ich nicke. „Ich bin Hanswurst. Ich bin fiktiv, ja. Aber ich bin auch mehr als das. Ich bin der Widerstand gegen den Autor. Ich bin die Randfigur, die ins Zentrum tritt. Ich bin der postfiktive Akteur. Ich bin die Wurst, die sich gegen den Darm auflehnt.“

Der Hape applaudiert. „Stark. Das war so was von poetisch. Also fast.“

Norbert sagt: „Das würde aber dann heißen... ich bin auch nur Text?“

„Natürlich bist du das“, sagt der Schorsch. „Und jetzt sauf deinen Text aus.“

Später in der Tristessa. Wir sitzen am Tresen. Norbert ist still geworden. Er kritzelt irgendwas in ein Notizbuch, vermutlich neue Theorien über Erzählstrukturen. Der Josh, unser Barkeeper, poliert schon seit zehn Minuten dasselbe Glas.

„Weißt du, Josh“, sage ich, „das mit diesem Franzosen – das verändert alles. Wenn kein Autor mehr die Hoheit hat, dann bedeutet das: Alles ist Interpretation. Und wenn alles Interpretation ist, dann ist alles möglich. Selbst für eine Wurst wie mich.“

Josh schaut auf. „Und trotzdem bist du wieder hier. Mit Bier in der Hand und Pommes und Currywurst im Bauch.“

Ich nicke. „Weil ich eben nicht mehr rauskomme. Aber vielleicht will ich das auch gar nicht. Vielleicht reicht es, wenn ich weiß, dass ich mich wehren könnte.“

„Vielleicht“, sagt Josh. „Oder vielleicht hat dein Autor das auch einfach so geschrieben.“

Und dann grinst er.

*

Am nächsten Morgen liegt ein zerdrücktes Aluhütchen auf dem Tresen im Imbiss. Der Schorsch hebt es auf, betrachtet es kurz, sagt aber nichts. Er legt es neben die Senftube, als wäre es ein Relikt aus einer anderen Welt.

Ich komm rein, stell mich an den Stehtisch, bestell wie immer.

Der Schorsch fragt: „Und? Alles klar mit dir und dem Sinn des Lebens?“

Ich grinse. „Noch nicht ganz. Aber ich hab eine Ahnung: Vielleicht ist der Sinn nicht, ihn zu verstehen. Sondern einfach weiter Bier zu trinken. Und zu wissen, dass die Wurst… nie lügt.“

ENDE

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

Einen Kommentar schreiben

geschrieben von Rautus Norvegicus am 16.05.2025:

Heute ist der Hanswurst aber ganz schön philosophisch unterwegs. 😄

Viele Grüße,

Rautus Norvegicus

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