
geschrieben 2025 von Florian Link (Hanswurst).
Veröffentlicht: 02.05.2025. Rubrik: Grusel und Horror
Wurst- und Durstgeschichten – Der Hanswurst und der Spuk
Ich lese also diesen John-Sinclair-Groschenroman, weil, warum nicht? Der Hape sagt immer, Groschenromane sind die wahre Literatur der Straße. Und da hat er nicht unrecht. Es ist schon was dran an diesem ganzen Geisterjäger-Kram, vor allem, wenn man zu viel Currywurst gegessen hat und der Schorsch wieder mal am Frittierfett gespart hat. Also, ich lese. Und irgendwann schlafe ich ein. Vermutlich. Und dann – dann passiert es.
Ich bin mitten in der Geschichte. Oder einer Geschichte. Und nicht nur so ein bisschen, sondern so richtig mittendrin. Und ich bin nicht mehr ich, sondern John Sinclair. Schlimmer noch: Der Hape ist jetzt Suko, mein asiatischer Geisterjäger-Kumpel. Und wir stehen in einer engen, nebligen Gasse, irgendwo in London, aber irgendwie fühlt es sich auch an wie die Straße vorm ‚Imbiss ums Eck‘, nur dunkler und mit mehr Spuk.
Moment mal. Ich bin John Sinclair? Das kann doch nicht sein. Ich bin doch schon eine erfundene Figur! Also eine fiktive Figur in einer Geschichte. Und jetzt bin ich eine fiktive Figur verkörpert in einer weiteren fiktiven Figur? Ist das hier sowas wie literarischer Inception? Ich kann den Autor quasi kichern hören, während er das hier tippt.
„Hanswurst, ich glaub, das ist jetzt wirklich ein Problem“, sagt der Hape – pardon, Suko – und schaut skeptisch in den Nebel.
„Du sagst es, mein treuer Geisterjäger-Kollege“, antworte ich, während ich in meinem Mantel nach der Beretta mit den Silberkugeln suche, die ich als John Sinclair eigentlich haben müsste. Stattdessen finde ich – eine verkohlte Pommes.
Der Hape grinst. „Na, das wird helfen.“
Und dann kommt der erste Zombie. Oder Vampir. Oder was auch immer. Jedenfalls stöhnt es gruselig, bewegt sich ungelenk auf uns zu und riecht wie ein altes Zwiebelmettbrötchen, das seit zwei Wochen ungekühlt im Spind vom Getränke-Manni liegt. Ich will schießen – aber, wie gesagt: Pommes. Also tue ich, was ein Hanswurst eben tut. Ich werfe sie.
Treffer! Das Ding faucht, hält sich die Stirn und stolpert zurück in den Nebel.
„Das war… effektiver als gedacht“, sagt der Hape und kratzt sich am Kopf.
Bevor ich mir überlegen kann, ob ich nun ein revolutionäres Abwehrmittel gegen untote Kreaturen entdeckt habe, hört man ein böses Lachen aus dem Dunkel. Ein Lachen, das mich an den Brezel-Peter erinnert, wenn er weiß, dass er irgendwo ein Schnäppchen gemacht hat, von dem er uns erst nach der dritten Runde Bier erzählt.
„John Sinclair“, sagt eine Stimme, die so klingt, als hätte jemand in eine Blechdose gesprochen und sie dann auf den Plattenspieler gelegt. „Du bist zu spät!“
Natürlich bin ich das. Ich bin immer zu spät. Sogar in meinen eigenen Träumen.
Und dann sehe ich sie: Eine schattenhafte Gestalt in einem langen Mantel, mit rotglühenden Augen und einer Kettensäge. Ja, richtig. Eine Kettensäge. Ich hätte die Gestalt fast mit dem Schorsch verwechselt, wenn der mal wieder einen seiner schlechten Tage hat.
„Das ist der Metzger von Blackchapel“, raunt der Hape – also Suko – neben mir. „Ein alter Feind! Du weißt schon. Wenn der dich erwischt, macht er Hackfleisch aus dir!“
„Na, dann hoffe ich mal, dass ich wenigstens gut gewürzt bin“, murmle ich und weiche einen Schritt zurück. Doch da ist kein Zurück mehr. Nur mehr Nebel.
Ich taste in meiner Manteltasche herum. Wenn ich John Sinclair bin, dann muss ich doch… Ja! Meine Finger schließen sich um kaltes Metall. Das Kreuz! Ich ziehe es hervor und halte es dem Metzger entgegen.
„Lass ab, dunkle Kreatur! Weiche zurück in die Schatten der Unbekannten Wurstwelt!“
Der Metzger hält kurz inne. Dann lacht er. „Ein Kreuz? Ernsthaft? Ich hab Kettensäge, du hast Kreuz. Rate mal, wer gewinnt?“
Ich schlucke. „Äh… das Kreuz?“
Der Metzger setzt zum Schlag an. Oder zum Sägen. Doch dann brüllt der Hape – also Suko – plötzlich: „Sag die Formel! Los!“
„Äh, ja, stimmt! Die Kreuzformel!“ Ich reiße das Kreuz hoch und rufe: „Im Namen der Heiligen Currywurst, des ewigen Bieres und der unantastbaren Fritten – weiche, du untotes Gemüse… äh, Grauen!“
Der Metzger zuckt zusammen. Seine Kettensäge stottert und sprüht Funken. Der Nebel beginnt sich zu kräuseln. Irgendwo jault jemand wie eine überfahrene Katze.
„Es funktioniert!“, ruft der Hape.
„Natürlich funktioniert es! Ich bin schließlich John Sinclair! Oder Hanswurst. Oder beides. Oder… ach, keine Ahnung mehr.“ Ich setze nach: „Verschwinde in die Sonnenblumenölpfützen der Verdammnis, Kreatur des Gehackten!“
Der Metzger windet sich, seine rotglühenden Augen flackern – und dann explodiert er in einer Wolke aus Mehlstaub und Senfresten.
Ich blinzele. Der Nebel lichtet sich. Der Hape starrt mich an. „Alter… das war beeindruckend.“
„Ja“, sage ich. „Aber ich hab jetzt richtig Lust auf eine Wurst.“
Und dann –
„Hanswurst, wach auf! Dein Bier wird warm!“
Ich reiße die Augen auf. Ich bin wieder im Imbiss ums Eck. Der Hape grinst mich an, eine halb aufgegessene Currywurst vor sich liegend. Der Schorsch lehnt am Tresen, zieht an seiner Kippe und brummt: „Schon wieder komische Träume?“
Ich nicke langsam. Dann schaue ich in das innere meiner zur Faust geballten Hand. Da ist eine verkohlte Pommes. Ich runzle die Stirn. Dann sehe ich den Schorsch an.
„Sag mal, hast du hier in letzter Zeit einen Azubi angestellt? Einen mit einer Kettensäge?“
Der Schorsch hebt eine Augenbraue. Dann zuckt er mit den Schultern. „Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Du kennst ja mein Motto: Wer zu viel fragt, kriegt keine Extraportion.“
Der Hape lacht. Ich seufze. Vielleicht sollte ich mal ein bisschen weniger Groschenromane lesen. Oder mehr Bier trinken. Oder beides…
ENDE

