geschrieben 2025 von Rautus Norvegicus (Rautus Norvegicus).
Veröffentlicht: 29.07.2025. Rubrik: Spannung
In letzter Minute 2 - Die Rettung
Nach unten scrollen, um zum neuen Ende (zur Rettung) zu gelangen! Aber nicht zu weit. Sonst verschwindet ihr!
----- ------ ------ ----- ----- ----- ---- ----- ----- ----- -----
„Ha, ha, guckt mal die Bohnenstange da vorn!“ Ein kleiner Junge auf dem Schulhof hatte es mit schriller Stimme gerufen und dabei mit seinem schmutzigen Zeigefinger auf auf ihn gedeutet. Karl wurde feuerrot, als er die Blicke der anderen Schulkinder auf sich gerichtet fühlte. Heute war sein erster Schultag und er hatte geahnt, dass so etwas passieren würde. Schon im Kindergarten hatte seine Körpergröße von 1,85 Meter hämische Kommentare nicht nur unter den
Winzlingen hervorgerufen, nein, auch deren Eltern waren immer zu einem neckischem Spruch bereit gewesen, wenn er mit seinen leuchtend roten Haaren in der Masse der Pimpfe auftauchte.
Er sah aber auch wirklich komisch aus! Im zarten Alter von 4 Jahren hatte er schon eine Körpergröße von 1,74 erreicht, dabei konnte man seine Schultern mit 2 Händen umfassen, manche Frau wäre glücklich über eine solche Wespentaille gewesen. Seine Arme waren unnatürlich lang, wenn er sie in die Höhe hob, konnte er damit die Zimmerdecke eines Altbaus erreichen, die gut 2,5 hoch war. In diesem Haus wohnte er mit seiner Familie, die von normalen Körperwuchs war. Bei ihm hatten einige Hormonschübe, während seine Mutter mit ihm schwanger war, zu seinem überdimensionalen
Körperwuchs geführt. Schon im dritten Schwangerschaftsmonat hatte man ihn durch einen
Kaiserschnitt von seiner Frau Mama entbinden müssen. Sein Vater, ein kleiner, gutmütiger Mann, hatte sie eines Morgens mit allen Anzeichen des Entsetzens im Gesicht ins Krankenhaus gebracht und nur noch röcheln können: „Sie platzt, sie platzt!“
Die Ärzte setzten ohne Zögern eine Notoperation an. In dem furchtbar aufgeblähten Bauch hatten sich bereits feine Risse gebildet, aus denen Blut sickerte. Schnell wurde sie narkotisiert und der Chirurg brauchte nur noch das Skalpell daran zu setzen und leicht zu drücken, da riss die Haut auch
schon mit einem leisen Seufzer auf. Ein riesiges Baby reckte brüllend seine Arme in die sterile Weiße des Saals. Durch eine dramatische Operation gelang es den Ärzten, die Frau und das Baby am Leben zu erhalten. Das Riesenbaby wurde zum Aufmacher jedes einschlägigen Fachmagazins. Für die Eltern des Kindes, das sie Karl genannt hatten, begann mit seiner Geburt ein wahrer Kreuzweg. Immer und überall veranlasste die hochaufgeschossene Gestalt ihre Mitmenschen zu
ironischen, spöttischen, ja, sogar zu offen höhnischen Bemerkungen. Solange er wohlbehütet zu Hause bleiben konnte, spürte er die Abnormität seines Körperwuchses kaum.
Es begann erst richtig mit voller Wucht , als Karl in den Kindergarten ging und schließlich in die Schule. Dort bekam er die Verachtung seiner Mitschüler mit aller Macht zu spüren. Morgens, wenn er mit dem Bus den Weg zur Schule zurücklegte, musste er sich während des gesamten Weges
abfällige Bemerkungen und bissigen Spott gefallen lassen. Zwei bis drei Mal pro Monat wurde er sogar verprügelt!
Außerdem hatte er keine Freunde, sogar Katzen machten einen Buckel und fauchten ihn an, die friedlichsten Schoßhündchen fletschten ihre Zähne und schnappten nach ihm, sollte er versuchen, sie zu streicheln. So quälte er sich durchs Leben, doch dann entdeckte er, wie er seine Einsamkeit lindern konnte.
Dieser Entdeckung ging eine Begegnung mit dem jungen Geistlichen seines Pfarrbezirks voraus, mit dem er sich sonntags nach dem Gottesdienst oft stundenlang unterhalten hatte. Der Pfarrer
musste ihm erklären, dass seine Körpergröße keine Strafe Gottes war und hatte ihm zu Gebeten
geraten. Karl griff nach diesen Vorschlag wie ein Ertrinkender nach dem sprichwörtlichen
Strohhalm, doch alle Gebete hatten nichts genutzt. Mittlerweile hatte er die imposante Höhe von
2,64 erreicht, wog dabei aber nur 50 Kilo.
Eines Abends, es war im Hochsommer und noch angenehm warm, ging er in den nahen Park, legte
sich hinter ein Gebüsch auf den Rasen und schaute in den sternenklaren Himmel. Zwei bis drei
Stunden mochte er so dagelegen haben und wollte sich gerade erheben und gehen, als sich ein
junges Pärchen auf die Bank setzte, die unmittelbar vor dem Gebüsch stand, das ihn vor seinen
Augen verbarg. Karl wollte die beiden jungen Leute nicht stören, außerdem hatte er wegen seines
einzigartigen Aussehens etwas Angst vor fremden Menschen. So blieb er still liegen und wurde
unfreiwillig Zeuge des Gesprächs der beiden.
„Ach Gerda“, sagte der junge Mann, „ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich dich liebe. Dazu
fehlen mir einfach die Worte!“ „ Ja, ja, Wilfried,“ entgegnete darauf die als Gerda Angesprochene,
„auch mir stockt der Atem, wenn ich an unser beider wunderbares Liebesglück denke!“ Noch drei
Stunden blieben die beiden sitzen und übertrafen sich dabei gegenseitig in der Beteuerung ihrer
Liebe zueinander.
Karl rannen derweil die Tränen über die Wangen und weichten den Rasenboden unter seinem Kopf
auf. Wohl niemals würde er einer Frau begegnen, die ihn so sehr lieben würde! Dann endlich
verließen die beiden die Bank und den Park.
Auch Karl erhob sich mit wackeligen Beinen. Hängenden Kopfes, wankend vor Trauer und
halbblind vor Tränen, schleppte er sich den Heimweg entlang. Er sah den offenen Gully gar nicht,
der im Asphalt vor ihm in der Straßendecke gähnte und kam erst wieder zu Sinnen, als er bis zur
Brust im Wasser in dem engen Gully-Schacht steckte. Angeekelt hielt er den Atem an, als er den
Gestank wahrnahm, der um ihn herum herrschte und begann, laut um Hilfe zu rufen.
Seine Stimme hallte in dem engen Schacht wieder und dröhnte ihm in den Ohren. Nach einer
halben Stunde glaubte er zu bemerken, dass das stinkende Wasser um ihn herum immer höher stieg.
Jedoch die Logik machte ihm zugleich grausam klar, dass nicht das Wasser stieg, sondern er sank in
den Schlamm ein , der sich im Laufe der Zeit meterhoch am Grunde des Siels gesammelt hatte.
Wenn Karl aus seiner hilflosen Position nach oben sah, erblickte er wieder den Nachthimmel, der
aber keinen romantischen Gedanken mehr zuließ. Mittlerweile war er bis zu den Brustwarzen in den
Schlamm eingesunken und das Wasser gluckste um sein Kinn.
Er glaubte nicht mehr daran, den Grund mit den Füßen zu erreichen, bevor ihm das Wasser in Mund
und Nase drang.
Doch plötzlich hatte sein Sinken ein Ende. Er stand mit den Füßen fest auf dem Boden des zylindrischen Abwasser-Schachtes! Um sein Glück vollkommen zu machen, entdeckte ein zufällig vorbei gehender Passant seine
missliche Situation und versprach, sofort Hilfe zu holen. Karl wusste, dass er gerettet war! Minuten
später ließen einige Männer und Frauen, die aus einem nahen Wirtshaus zur Hilfe geeilt waren, ein
dickes Seil in den Gully hinab, an dem er sich bis zum Eintreffen der Feuerwehr fest halten konnte.
Karl griff nach dem Tau, das wie durch ein Wunder plötzlich vor seinem Gesicht erschien. Er hatte
mittlerweile kaum noch Kraft in seinen Händen, die geschwollen und Gefühl los waren. Zwei Mal
versuchte er, sich empor zu ziehen, zwei Mal rutschte er ab und tauchte tiefer als zuvor in die eklige Brühe! Er spürte, das hatte alles keinen Sinn, er war mittlerweile zu Tode erschöpft.
Dann wurde ihm,
mit einem wilden Ruck, auch noch das Seil vollends aus den Händen gerissen! 'Sie haben dich
aufgegeben!' Dieser Satz durchzuckte wie ein Blitz seinen pochenden Kopf! Doch gleichzeitig spürte
er, wie sich ein neues Seil neben ihn senkte. In dieses Seil waren gottlob in kurzen Abständen dicke
Knoten eingeknüpft. Karl fand endlich Halt und wurde aus dem Gully gezogen! An der Gully-Öffnung
klatschten die vielen Schaulustigen, die sich eingefunden hatten, Beifall. Karl war glücklich. Aber sein Glück wurde perfektioniert, als er von seiner geliebten Gerda umarmt wurde, die sich natürlich auch eingefunden hatte. Um Gullys, zu gedeckelt oder offen, würde Karl in Zukunft jedenfalls einen großen Bogen machen!
Ende

