Diese Geschichte jetzt als Hörspiel anhören!
geschrieben 2016 von Andreas Mettler (Metti).
Veröffentlicht: 08.12.2016. Rubrik: Satirisches
Das Imperium der Reichsbürger
Dem natürlichen Klimawandel sei Dank! Immer noch mehr als 20 Grad im November. Keine Wolke am Himmel. Und natürlich auch keine Chemtrails.
Sturmhorst stetzte zur Landung an und wirbelte die Herbstblätter auf. Aus seinem Cockpit klang Musik.
„Presley & Bowie?“, fragte ich ihn durch das geöffnete Fenster.
„Ja, die neue Schallplatte. Aufgenommen im Neuschwabenland-Versteck“, sagte er.
„Hm, die toten Künstler werden immer besser“, schmunzelte ich.
„Darauf kannst du einen lassen, Siegbald.“
Sturmhorst tätschelte liebevoll seine Cockpittür. „Was hältst du von meiner neuen Karre?“
„Du bist jetzt auch auf dem Retro-Trip?“
„Klar, warum nicht?“
„Ein echtes Nazi-UFO?“
„Nachbildung. Versteht sich.“
„Nicht schlecht“, staunte ich. „Da sind unsere Freunde von der Aera 51 wohl wieder fleißig am Produzieren.“
„War auch nicht billig, das Teil“, prahlte er. „Das war mal wieder ein ganzer Koffer voller Reichsmark.“
„Ach“, scherzte ich. „Die druckst du doch inzwischen selbst.“
Da stand er, der König. Ein mürrischer Blick auf uns gerichtet.
„Ich glaube, wir werden schon erwartet“, meinte ich.
„Jetzt schau dir nur diese Knarre an.“
Meine Augen wurden weit. „Du, das muss eine echte Heckler & Koch sein.“
„Na, dann müssen wir uns wenigstens keine Sorgen machen, dass wir heute noch erschossen werden“, schmunzelte Sturmhorst.
„Keinen Schritt weiter!“, brüllte der König. „Hier beginnt das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland!“
„Total Balla-Balla, der Mann“, flüsterte ich.
„Weich in der Birne“, bestätigte Sturmhorst. „Der lutscht bestimmt noch an der Flurzahnpasta.“
„Wir kommen in diplomatischer Mission“, brüllte ich zurück. „Im Auftrag des Kaisers von Duisburg.“
„Wir bitten um eine Audienz mit dem werten Herrn König von Wuppertal“, ergänzte Sturmhorst.
Abwehrend streckte der König die Hände von sich. „Ich bin kein König mehr. Ich bin ein Bürger der Bundesrepublik Deutschland!“
„Autsch“, meinte Sturmhorst mit verkniffenem Gesicht. „Ich glaube er meint die alte BRD GmbH.“
„Wenn die Herrn Diplomaten bereit sind, sich den Regeln des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland zu unterwerfen, dann sei ihnen Einlass gewährt.“
„Na komm“, sagte ich zu Sturmhorst. „Tun wir ihm den Gefallen.“
Der König drückte mir eine vergilbte Schrift in die Hand. Gottseidank, es war kein Barcode auf der Rückseite abgedruckt. Die Strahlung hätte ich jetzt wirklich nicht gebrauchen können.
„Soso“, meinte ich. „Das ist also das Grundgesetz Ihrer Bundesrepublik Deutschland?“
„Jo,“ antwortete er. „Nach diesen Gesetzen lebe ich jetzt.“
„Vom König von Wuppertal zum Bundesbürger“, provozierte ich ihn. „Schon ein kleiner Abstieg, meinen Sie nicht?“
„Ich war nie König“, widersprach er mir. „Und ein Deutsches Reich hat es seit 1945 nicht mehr gegeben.“
„Es ist bewiesen“, sagte ich belehrend. „Dass die BRD GmbH eine Erfindung der Vereinigten Staaten war. Die Bundesrepublik hat niemals existiert.“
„Das Deutsche Reich ist eine Erfindung“, gab er mir zurück.
„So kommen wir nicht weiter.“ Sturmhorst kam auf den Punkt. „Wir sind hier, um über Ihre Steuerschuld zu sprechen.“
„Steuern? Wem soll ich denn Steuern schulden?“, fragte er patzig.
„Der Kaiser von Duisburg fordert seinen Tribut.“
„Hören Sie mir mal zu“, er stämmte seine Hände auf den alten Dekor-Esstisch. „Jeder Idiot nennt sich jetzt Kaiser oder König. In diesem neuen deutschen Reich. Und jeder fordert irgendwelche Steuern und Tribute.“
„Also wir nicht“, klärte ich ihn auf. „Wir sind Botschafter.“
„Und dann diese ganzen Verschwörungstheorien. Das kann doch alles nicht wahr sein.“
„Naja“, Sturmhorst zog seinen Aluhut zurecht. „Immerhin bin ich mit einem Nazi-UFO hier hergeflogen.“
„So ein Quatsch!“ Der König wurde wieder lauter. „Wo soll das alles nur hinführen?“
„Ach“, widersprach ich. „Ich finde, wir machen große Fortschritte. Bald schon wird der erste Mann auf dem Mond spazieren gehen. Das sag ich Ihnen!“
„Unsinn. Das war 1969.“
„Und der Weihnachtsmann bringt die Geschenke, äh?“, spottete ich.
„So!“, sagte der König entschieden. „Jetzt bekommen Sie mal was von mir.“
Er kritzelte ein paar Zahlen auf einen alten Collegeblock.
„Da will ich mal in die Offensive gehen.“ Er trennte das Blatt. „Das hier ist jetzt Ihre Steuerschuld an die Bundesrepublik Deutschland. Auf der Grundlage einer großzügigen Schätzung, versteht sich.“
„Sie glauben doch wohl nicht, dass wir Ihnen jetzt...“
„Sie befinden sich auf meinem Gebiet. Sie zahlen meine Steuern.“
„Naja.“ Ich zeigte Sturmhorst die schlecht gekritzelten Zahlen. „Wir könnten ihm den Spaß auch gönnen. Schau dir nur die Summe an.“
„Das sind Euro“, sagte der König entschieden. „Und keine selbst gedruckte Reichsmark!“
„Ham wir nicht“, patzte ich zurück. „Vergessen Sie´s“
„Na dann“, er entsicherte sein Sturmgewehr. „Dann haben Sie zehn Sekunden Zeit, das Territorium der Bundesrepublik Deutschland zu verlassen.“
„Ein G36-Sturmgewehr. Das trifft uns nicht.“
„10“
„Ja, und wenn doch?“
„9“
„Bekommst du Zweifel?“
„8“
„Hm, vielleicht.“
„7“
„Was das Gewehr betrifft?“
„6‘“
„Ja“
„5“
„Oder generell?“
„4“
„Wie? Was meinst du?“
„3“
„Naja. Was wäre, wenn das alles doch wahr ist.“
„2“
„Was der olle König behauptet?“
„1“
„Kann nicht sein.“
„0“
„Aber, wenn doch?“
„Ok! OK!“, brüllte ich. „Ein Friedensangebot. Wir geben jetzt erstmal an den Kaiser von Duisburg weiter, was wir hier von Ihnen gehört haben. Und gehen ein bisschen in uns. Ist ja auch vieles neu für uns.“
„Hm“, machte der König. „Hört sich gut an.“
„Kann aber sein, dass wir dann wiederkommen müssen. Sie verstehen schon? Wär vielleicht ganz praktisch, wenn Sie dann nicht zu Hause sind. Ok?“
„Das lässt sich machen. Dann verschwinde ich nach Bielefeld.“
„Wohin?“
„Bielefeld. Das werden Sie auf Ihren Karten nicht finden.“
„Ach so.“
Nachdenklichen Blickes stand der ehemalige König von Wuppertal an seinem Fenster. Das Nazi-UFO war am Horizont verschwunden, einen dicken Kondensstreifen zurücklassend.
„Diese Reichsbürger“, dachte er. „Welch ein Glück, dass ich das alles hinter mir habe.“
Er schloss das Fenster und zog die Gardine zurecht.
„Aber was wäre...“ Er runzelte die Stirn. „Was wäre, wenn das alles stimmt, woran die glauben? Man kann ja nie wissen.“
Titelbild: Couleur / pixabay.com (public domain)