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geschrieben 1988 von Rautus Norvegicus (Rautus Norvegicus).
Veröffentlicht: 04.07.2025. Rubrik: Kinder und Jugend


Heilige Nacht

Bald war es wieder soweit. Man schrieb den 23. Dezember, morgen war Heilig Abend, ein geradezu magisches Datum.
Peter hatte das ganze Jahr darauf hin gearbeitet, hatte sogar in den letzten zwei Monaten der Katze nicht mehr am Schwanz gezogen . Er dachte daran, dass er mitten im Jahr, im August, zehn Jahre alt geworden war. Ein Klassenkamerad von ihm hatte am 19. Dezember Geburtstag und klagte ständig darüber, dass deshalb die Bescherung zu Weihnachten immer recht dürftig ausfiel. Er würde nämlich an seinem Geburtstag immer angeblich für Weihnachten mit beschenkt, was sich seiner Meinung nach aber nicht in einer erhöhten Anzahl seiner Geburtstags-Geschenke niederschlug.

Peter grinste schadenfroh, als er an ihn dachte. Er selber hatte sich für seine Ritterburg, die er letztes Jahr von Onkel Frank geschenkt bekommen hatte, ein umfangreiches Set Ritterfiguren gewünscht - es sollten diesmal schwarze sein,
die gegen die bereits vorhandenen weißen würden kämpfen können. Mit den Gedanken an seine schwarzen Ritter schlief er ein.

Geräusche weckten ihn. War das seine Mutter, die ihm seine Ritter brachte, während er schlief? Vorsichtig öffnete er seine Augen ein Spalt breit, um zu sehen, was um sein Bett herum vor sich ging. Erschreckt presste er sie wieder zu, als er erblickte, was sich da abspielte! Sein ganzes Zimmer wimmelte vor spielzeuggroßen Rittern, teils in silbrigen, zum anderen Teil in schwarzen Rüstungen. Die Ritter kämpften gegen einander um seine Plastik-Ritterburg, die in der Ecke des Raumes stand. Peter wurde stocksteif vor Schreck und wagte kaum, zu atmen!

Das Kampfgetümmel hatte an Lautstärke zugenommen, Peter vernahm deutlich das Gebrüll zuschlagender und das Gewinsel getroffener Kämpfer. Der Kampfeslärm wurde immer immer schlimmer. Peter sah, dass die weißen Ritter einen Ausfall aus der Burg gewagt hatten und die schwarzen langsam, aber sicher, vor sich her, auf sein Bett zu trieben. 'Um Gottes Willen', dachte Peter, wollte schreien, wollte seinen Vater zur Hilfe rufen! Doch sein Hals war wie zugeschnürt. Die flüchtenden schwarzen Ritter waren keine zwanzig Zentimeter mehr von seiner Matratze entfernt, die zu ebener Erde einfach auf dem Boden lag.

Er zuckte angeekelt zurück, als er von dem blutigen Arm eines schwarzen Ritters an der Stirn getroffen wurde. Ein weißer Ritter hatte ihn seinem Gegner mit einem gewaltigen Hieb von der Schulter getrennt! Das Blut spritzte aus der klaffenden Wunde und sickerte in den grauen Teppich, mit dem Peters Zimmer ausgelegt war. „Nein, das nicht auch noch“, jammerte Peter, als er sah, wie sich das große Haupttor der Burg öffnete. Im nächsten Augenblick galoppierten nämlich die zehn Miniatur-Araberhengste heraus, die er von Onkel Edgar geschenkt bekommen hatte.

Sie wurden geritten von weißen Rittern! Warum nur hörte seine Mutter den Lärm nicht, den die schnaubenden, laut stampfende Pferde machten? Peter riss sich zusammen und wollte wieder schreien, doch als er seinen Mund öffnete, drang nur ein leises, krächzendes Geräusch zwischen seinen Lippen hervor, die er sich mittlerweile vor Aufregung blutig gebissen hatte.

Ein untersetzter schwarzer Ritter, der gerade an seinem Gesicht vorüber galoppierte, starte ihn an. Seine Augen waren blutunterlaufen und Blut ran ihm von der Stirn, die von einer klaffenden Wunde entstellt wurde. Die übrigen Ritter hatten inzwischen ebenfalls sein Bett erreicht. Auf den Wellen
und Falten, die seine Bettdecke warf, lieferten sie sich wahnwitzige Verfolgungen und haarsträubende Kämpfe. Mancher Arm und manches Bein fiel dabei dem rasiermesserscharfen Schwert des Gegners zum Opfer.

Als direkt vor seinem Gesicht ein weißer Ritter, den zwei schwarze fest hielten, enthauptet wurde, brach sein Entsetzen in Form eines gellenden Schreis aus ihm hinaus. In diesem Augenblick flammte die Deckenleuchte in seinem Zimmer auf, seine Eltern standen strahlend in der Tür. „Schau mal, Peter, was das Christkind heute Nacht für dich gebracht hat“, sagte sein Vater augenzwinkernd zu ihm. Seine Mutter streckte ihm lächelnd einen großen Karton mit den heißersehnten schwarzen Rittern entgegen.

Peter heulte laut auf, als er sie sah. „Ich will keine schwarzen Ritter“, brüllte er, „die machen mir das ganze Zimmer blutig! Ich will lieber die Puppe, die ihr für Simone gekauft habt!“ Schluchzend fiel er seiner Mutter in die Arme, die völlig überrascht war und ratlos ihren Mann anschaute.
„Aber warum denn das,“ fragte sie irritiert, „aus diesem Alter bist du doch wohl schon lange heraus, oder irre ich mich da?“ Sie lies ihren Blick durch den Raum schweifen, der unaufgeräumt war wie immer. Aber das war ihr heute egal, schließlich war Weihnachten und da wollte sie nicht mit ihrem
Sohn schimpfen.

Sie legte ein Arm um seine Schultern und schob ihn mit sanfter Gewalt in den Raum, wo der festlich geschmückte Christbaum stand. Simone saß vor dem Baum und spielte schon mit ihrer neuen Puppe, die sie kurzerhand 'Babsi' genannt hatte.

Sie sah, wie glücklich Simone war. Sie sah, wie festlich der Weihnachtsbaum aussah. Und sie sah, wie gemütlich das Feuer im offenen Kamin loderte. Aber sie sah nicht den verletzten schwarzen Ritter, der in Peters Zimmer auf die Plastikburg zu kroch.

Ende

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von lüdel am 04.07.2025:
Kommentar gern gelesen.
Rautus, das ging glatt auch als Abenteuerkrimi – gemischt mit Horror- und Gruselgeschichte – durch!




geschrieben von Jens Richter am 04.07.2025:
Kommentar gern gelesen.
Hallo Rautus, was für eine gruselige Geschichte!
Da bin ich richtig froh, dass meine Ritter relativ entspannt miteinander umgegangen sind. Sie fochten maximal gegen böse Drachen.
Ich habe mal gehört, dass die mittelalterlichen Langschwerter gar nicht so scharf waren. Die Gegner wurden eher durch Stiche tödlich verletzt, als durch Haue.
Deswegen war der Einsatz von Armbrüsten auch effektiver. Sie konnte die Panzerung der Ritter durchschlagen und galten als Präzisionswaffen.
Sehr gern gelesen.
Viele Grüße von Jens





geschrieben von Rautus Norvegicus am 04.07.2025:

Liebe Lydel,

du hast völlig recht. Ich wählte die Kategorie Kinder & Jugend auch eher als Spaß. Jugend ist ja völlig ok, aber Kinder eher nicht. Als ich die Geschichte ausdachte, vor langer Zeit, war ich auch irgendwie in einer völlig anderen Welt, es ergab sich alles wie von selbst. Nur für den Schluss wollte ich mir etwas Besonderes einfallen lassen und in aller Bescheidenheit denke ich doch, dass ich das hinbekommen habe.

Ich freue mich immer sehr, wenn meine Geschichten dir Spaß machen 😄

Liebe Grüße

Rautus




geschrieben von Babuschka am 04.07.2025:
Kommentar gern gelesen.
Lieber Rautus,
eigentlich bin ich jetzt gespannt, wie die Geschichte weitergeht, ob sich Peters Ritter weitere blutige Gefechte liefern. Aber das werden wir nie erfahren.
LG Babuschka




geschrieben von Rautus Norvegicus am 04.07.2025:

Hallo Jens,

da wird so viel dran rum geforscht, welche Waffen waren schärfer, härter, fieser! Darüber gibt es immer wieder Dokumentationen im Fernsehen. Meiner Schlussfolgerung nach waren z. B. die Hunnen-Schwerter sauscharf und gut in der Handhabung.

Die schweren, auch bequem mit beiden Händen zu führenden Langschwerter der Franzosen, Engländer, Deutschen waren aber aufgrund der (europäischen) Schmiedekunst wahrscheinlich nicht viel weniger scharf, massiver und damit konnte man seine Gegner der Länge nach durchhacken.

Viele Grüße und bis zur nächsten Story!

Viele Grüße
😁
Rautus




geschrieben von Rautus Norvegicus am 04.07.2025:

Liebe Babuschka,

erst vorgestern gab es auch plötzlich so etwas wie eine Fortsetzung der Geschichte: Der Vampir. Also wer weiß, was Peter noch in seinem Zimmer erleben wird...

Liebe Grüße
🙂
Rautus

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