geschrieben 2020 von Andreas Mettler (Metti).
Veröffentlicht: 19.08.2020. Rubrik: Satirisches
Opa, was ist ein Rundfunk?
Opa zupfte das Unkraut aus seinem Garten. Ganz systematisch, ganz bestimmtes Unkraut. Aus einem Meer von anderem Unkraut.
„Das ist irgendwas von früher“, meinte er. „Nichts, worum du dich kümmern musst.“
Ich schüttelte etwas hilflos meinen Kopf. „Aber ich soll das bezahlen. Nein, ich habe das sogar schon bezahlt. Hier schau mal.“
Ich wedelte mit dem Kontoauszug.
„Wie soll ich das jetzt lesen? Dafür brauche ich meine Brille.“
Opa war in den letzten Jahren etwas wunderlich geworden. Ach was, eigentlich war er das immer schon gewesen. Ich zeigte auf die Brille auf seiner Nase.
„Nein“, protestierte er. „Nicht die Unkrautbrille. Meine Lesebrille.“
„Ach, ja. Der Rundfunkbeitrag. Den zahlen wir alle. Monat für Monat.“
„A-Aber“, stotterte ich. „Aber wieso denn? Ich habe da nie was bestellt.“
Opa aktivierte den Schaukelmodus seines digitalen Schaukelstuhls über das Smartphone.
„Das ist halt so. Irgendein Gesetz oder sowas.“
Hilflos fuchtelte ich mit meinen Armen. „Aber das dürfen die doch gar nicht. Ich meine… Ich meine, das wird einfach so abgebucht. Ich bekomme doch gar nichts dafür.“
„Oh doch, mein Junge“ Opas Augen öffneten sich weit. „Dafür bekommst du Fernsehen.“
„Fernsehen? Nie gehört.“
„Naja, theoretisch jedenfalls. Kein Mensch hat heute noch einen Fernseher.“
Opa musste ein paar Mal husten, während er in den staubigen Kisten auf dem Dachboden kramte. „Haha, da ist der ja!“
Eine klobige Plastikkiste mit einer Art Glasscheibe auf der Vorderseite.
„Da ist er. Der gute, alte Fernseher!“
Ein Flimmern auf der Glasscheibe. Ein Rauschen aus einem Lautsprecher.
„Nein, mein Junge. Da kommt kein Programm mehr. Hätte mich auch gewundert, wenn wir noch was empfangen.“
„Aber was ist denn nun dieser großartige Rundfunk? So mächtig, dass er einfach von meinem Konto abbuchen kann?“
„Naja, das war… Hm…“, Opa grübelte ein paar Sekunden. „Stell dir einfach YouTube vor. Aber jedes Video läuft nur zu einer bestimmten Uhrzeit.“
„So ein Quatsch!“
„Und du kannst keine Kommentare posten.“
„Hm, also das finde ich gut. Da wird sowieso nur Quatsch geschrieben.“
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„Soso, Sie sind also der junge Mann, der sich für unsere Rundfunkanstalt interessiert“, meinte der faltige Greis im grauen Anzug.
„Ich habe eine Wette gegen meinen Großvater gewonnen. Er war überzeugt davon, dass es keine Rundfunkanstalten mehr gibt.“
„Doch, doch. Es gibt uns schon noch. Vielleicht nicht mehr ganz so präsent wie früher, aber immer noch aktiv.“
„Sie drehen noch Videos?“
„So könnte man es nennen. Hier. In diesem Studio wird gerade die Tagesschau aufgenommen. Die geht direkt zum Astra-Satelliten. Oder das, was davon übrig ist.“
„Tagesschau? Hm“, murmelte ich.
„Und auf dieser Filmrolle ist der neue Tatort aufgezeichnet. Brandneu.“
„Filmrolle? Ähm, was?“
„Das Publikum wird begeistert sein. Also, wäre begeistert gewesen. Damals.“
Der Tee muss mindestens so alt gewesen sein, wie der Mann im grauen Anzug, der mir in der Besucherlounge gegenübersaß.
„Warum machen Sie das alles, wenn es doch niemand mehr sehen kann?“
„Wir produzieren eben immer noch ein ausgewogenes Programm. So steht es im Rundfunkstaatsvertrag.“
„Das ganze Geld für diese Videos? Moment mal. Was Sie von meinem Konto abgebucht haben. Multipliziert mit den ganzen Menschen, die eine eigene Wohnung haben. Also, mal geschätzt. Das müssen ja Milliarden sein. Für Videos, die niemand sehen kann?“
„Wir haben auch ein Korrespondenten-Netzwerk, einmal rund um den Erdball.“
„Korrespon… Und was machen die?“
„Die lernen die fernen Länder dieser Welt kennen!“
„Die machen also Urlaub.“
„Nein, das ist schon Arbeit. Wir nennen das Qualitätsjournalismus.“
Ich schüttelte ratlos meinen Kopf.
„Aber das meiste Geld investieren wir gar nicht in unser Programm. Da gibt es noch etwas wichtigeres.“
Jetzt wurde die Sache interessant.
„Das meiste Geld geht in die Rentenkassen. Wir sind ja alle nicht mehr die jüngsten. Schau mich an. Meine Rente ist seit 20 Jahren überfällig. Wir haben hier, ähm, ein kleines Nachwuchsproblem.“
„Hm“, dachte ich. Und dann sprach ich es offen aus: „Hm!“
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Mein Gehalt war gerade wieder erhöht worden. Das kam zur rechten Zeit, mein neues Häuschen wollte möglichst zeitnah abbezahlt sein. Die Milliarden an Rundfunkgebühren wurden doch recht ausgewogen verteilt, fand ich. Intendant einer Rundfunkanstalt. Klingt doch gar nicht so schlecht. Auch wenn heute niemand mehr so richtig weiß, was das bedeutet.
Natürlich hätte ich lieber Videos für echte Zuschauer produziert. Aber Fernsehen hat eben auch seine Vorteile. Hier werden keine blöden Kommentare unter die Videos gepostet.
Titelbild: pixabay.com (pixabay license)