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geschrieben 2019 von Christine Todsen.
Veröffentlicht: 02.12.2019. Rubrik: Grusel und Horror


Das Spukhaus

Das Haus am Ende der Fuchsstraße stand seit Jahren leer. Niemand wollte darin wohnen, denn es galt als Spukhaus. Angeblich waren frühere Bewohner verschwunden, ohne dass jemals ihre Leichen gefunden worden waren.

Als Rebecca eines Nachmittags auf dem Nachhauseweg vom Büro an dem Haus vorbeikam, stutzte sie. Eine Wohnung im ersten Stock schien bezogen worden zu sein. Rebecca sah, wie eine blonde Frau mit einer auffälligen Strubbelfrisur dort Gardinen aufhängte.

Am nächsten Tag erblickte Rebecca an einer Bushaltestelle unweit des Hauses ebendiese Frau, konnte ihre Neugierde nicht zügeln und sprach sie an. „Verzeihung, wohnen Sie jetzt in dem alten Haus am Ende der Fuchsstraße?“

Die Fremde bejahte dies. Rebecca hatte das Gefühl, dass sie einem kleinen Plausch nicht abgeneigt war, und fuhr fort: „Mir hat man immer gesagt, es würde dort spuken!“

„So ein Unsinn! Ich bin die Besitzerin des Hauses, Mathilde Meyer. Die Wohnungen sind in bestem Zustand. Möchten Sie eine mieten?“ Sie nannte einen lächerlich niedrigen Preis, und Rebecca kam ins Grübeln. Ihre eigene Wohnung gefiel ihr schon lange nicht mehr…

Wenige Wochen später hatte sie bei Mathilde – die beiden Frauen waren inzwischen per Vornamen und per Du – den Mietvertrag unterschrieben. Noch waren sie die einzigen Personen im Haus. Dazu kam ein Vierbeiner, nämlich Mathildes Kater Blacky.

Als Rebecca den bereits unterschriebenen Vertrag nochmals durchlas, runzelte sie plötzlich die Stirn. Er enthielt auch das Geburtsdatum ihrer Vermieterin, das ihr beim ersten Lesen nicht aufgefallen war: 30.04.1870!

Demnach war sie rund 150 Jahre alt! Geboren in der Walpurgisnacht! Besitzerin eines schwarzen Katers! Eine Hexe!

„Es ist ein Spukhaus! Wie konnte ich nur hier einziehen?! Was mache ich jetzt nur?!“

Ihr kam die Idee, nach Mathilde zu googeln. Da es unzählige Personen namens Mathilde Meyer gab, klickte sie auf „Bilder“ und fand schnell ein Foto der Gesuchten mit ihrer Strubbelfrisur. Mit steigender Verwirrung las sie den dazugehörigen Artikel. Ihm zufolge war Mathilde eine ganz normale Frau, geboren am 03.04.1970. Rebecca nahm erneut den Vertrag zur Hand: jetzt las sie hier ebenfalls das Datum aus dem Artikel.

Bestand der Spuk gar nicht in der Person Mathildes? Spukte es in ihrem, Rebeccas, Gehirn?

Ihr fiel ein, dass ihre frühere Schulkameradin Clara und deren Mann Max sich kritisch mit angeblich Übersinnlichem befassten. Kurzentschlossen rief sie Clara an: „Wollt ihr mich mal besuchen? Ich bin in das sogenannte Spukhaus an der Fuchsstraße gezogen, weil ich es für harmlos hielt. Aber jetzt…“ Sie schilderte ihr Erlebnis.

Schon am nächsten Tag kamen Clara und Max. „Das Haus ist ganz normal“, sagten sie. „Aber weil es als Spukhaus gilt, können allein durch die Erwartungshaltung Halluzinationen hervorgerufen werden, so wie dein Fehllesen von Mathildes Geburtsdatum. Man müsste herausfinden, woher der Spukhaus-Aberglaube stammt.“

Nach einigen Nachforschungen stießen die drei schließlich auf ein altes Gerücht. Angeblich hatte man in einem Schrank des Hauses ein Skelett gefunden und vermutet, es handele sich um den Liebhaber einer untreuen Ehefrau, die diesen bei der verfrühten Heimkehr ihres Mannes in den Schrank gesperrt und dort vergessen hatte.

„Eine Schauergeschichte, wie sie so oder ähnlich schon tausendmal auf der Welt erzählt wurde“, schmunzelte Max. „Aber auch wenn die Sache tatsächlich passiert sein sollte, würde es deswegen nicht spuken.“

Rebecca beschloss, in ihrer neuen Wohnung zu bleiben, zumal Mathilde und ihr wohlerzogener Kater ihr immer sympathischer wurden. Nächstens, so Mathilde, wolle sie sich zusätzlich eine Hündin anschaffen. Auf Rebeccas Frage, ob die beiden Tiere sich denn vertragen würden, meinte sie, das würde sie schon hinkriegen.

Bald darauf fand Rebecca in der Lokalzeitung einen Artikel über Spukhäuser in der Region. Sie wollte sich gerade zwingen, weiterzublättern, als ihr Blick auf den Namen Fuchsstraße fiel. Es war ihr nicht möglich, der Versuchung zu widerstehen. Der Abschnitt begann mit dem, was sie schon wusste: dass in dem alten Haus am Ende der Straße angeblich ein Skelett in einem Schrank gefunden worden war. Dann las sie weiter:

Der Sage zufolge war die untreue Gattin, Mathilde, zu diesem Zeitpunkt schon tot. Sie war von ihrem Mann wegen anderer Verfehlungen aus dem Haus gejagt worden und kurz darauf gestorben. Als Geist soll sie sich für die Vertreibung aus dem Haus gerächt haben, indem sie ihren Mann in einen Kater und alle späteren Bewohner ebenfalls in Tiere verwandelte.

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von Weißehex am 03.12.2019:

Einfach super - auf eine solche Idee am Schluss muss man erzähltechnisch mal erst kommen. Hat mir super gefallen! LG Weißehex




geschrieben von Christine Todsen am 04.12.2019:

Vielen lieben Dank! Ich freue mich immer, wenn mir eine gute Schlusspointe gelingt. Leider können nicht alle Leser Pointen oder versteckte Hinweise erkennen. Aber wir hier bei Kurzgeschichten-Stories sind ja Profis. LG Christine




geschrieben von Johann C. Rieger am 29.03.2020:

Eine sehr ansprechende Geschichte, mit einem überraschenden Ende. Ich hoffe nur, Rebecca hat noch rechtzeitig die Kurve gekriegt...




geschrieben von Christine Todsen am 30.03.2020:

Danke! Ja, das hoffe ich auch...

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