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geschrieben 2023 von Bjarne Pfennig (BjarneP).
Veröffentlicht: 12.02.2023. Rubrik: Fantastisches


Die Jadedrache

Dreizehn Schiffe schnitten durch das Wasser, wie heiße Messer durch einen Laib Käse. Vorne voraus war das größte von ihnen, die ›Jadedrache‹.
Die Ruderer sangen ein Seemannslied. Sie würden siegreich nachhause zurückkehren, da waren sie sich sicher. Ihr Herr würde siegen!
Ezrael öffnete die Tür des Kapitänshauses und trat auf das Deck. Seine Schritte hallten laut auf den Holzplanken wider. Er war breit gebaut und hatte einen dicken Wanst – auch wenn sich natürlich niemand gewagt hätte, das auszusprechen. Ezrael strahlte eine unumstößliche Autorität aus.
Er trug einen malachitgrünen Frack und ein Schal war um seinen Hals gewickelt.
Ezrael trat an den Bug vor und lehnte sich auf die Reling. Das Wasser war still und so klar, dass man bis auf den Grund hinabsehen konnte. Fische tummelten sich im Seegras. Über ihm schimmerte der schwarze Himmel seines Landes.
Ezrael kniff die Augen zusammen und starrte in die Ferne hinaus. Am Horizont sah er bereits den Feind. Ein Grinsen formte sich auf seinem Gesicht.
Die Zeit war gekommen, dass er in die Legenden eingehen sollte.
»Volle Fahrt voraus!« Seine Stimme war kräftig und laut. Jeder auf dem See würde ihn vernommen haben.
Ezrael sah ein weiteres Mal in die Ferne. Hatte sie wirklich nur ein einziges Schiff auftreiben können? Nahm sie ihn nicht ernst?
Sein Grinsen wurde breiter. Sie würde ja sehen, was sie davon hatte, ihn zu unterschätzen. Der See würde ihm gehören und dann …
Ein Geräusch riss ihn aus seinem Gedankengang heraus. Ein leises Knacken fuhr durch die Planken seines Schiffes.
»Was war das?«, murmelte Ezrael.
Er erwartete keine Antwort. Noch war er fast allein auf dem Deck. Seine Soldaten warteten im Bauch der Jadedrache auf ein Zeichen. Nur sein General, Abigar, stand an seiner Seite. Er trug eine Rüstung aus blauem Metall und eine herzförmige Brosche um den Hals.
»Ist alles in Ordnung, Herr?«, fragte er.
»Hmm? Ja, klar doch.«
»So wie es aussieht, war es wohl überhaupt nicht nötig gewesen, so einen Aufwand zu betreiben. Die Schlacht scheint schnell gewonnen zu sein.«
»Hast du etwa was anderes erwartet?«
»Ich bin mir nicht sicher, was ich erwartet habe.« Er lehnte sich ebenfalls auf die Reling vor. Gemeinsam blickten sie dem Feind entgegen.
»Es wird wohl noch ein paar Minuten dauern«, sagte Abigar. »Soll ich den Soldaten schon das Signal geben?«
»Warte noch. Ich will vorher ihr Gesicht sehen, bevor wir sie in den Boden stampfen.«
»Denkt Ihr wirklich, dass es so einfach wird, Herr? Ihr kennt sie doch. Ich meine, würde sie wirklich so einfach …«
»Sie hält sich für was Besseres, das ist alles.«
Der General nickte und senkte seinen Kopf. Ezrael sah ihn an. »Was ist los?«
»Es ist einfach nur seltsam. Findet Ihr nicht auch, dass es wärmer geworden ist?«
»Was? Hmm ... wo du’s sagst.«
»Dann … wa-was zum?!« Das Schiff wankte. Ezrael klammerte sich an die Reling, aber sein General hatte weniger Glück. Mit einem Ruck flog er über Bord und Ezrael konnte nur noch ein Platschen hören.
»Abigar!«, rief Ezrael. Er beugte sich vor und sah hinab. Weißer Schaum sammelte sich um den Bug der Jadedrache. Sein General war nirgendwo zu sehen.
»Bei Lucis, was ist das?« Ezrael ließ die Reling los – er vertraute darauf, dass ihn sein Gewicht vor demselben Schicksal bewahren würde. Mit breiten Beinen stapfte in Richtung des Kapitänshauses zurück. Abigar hatte recht gehabt. Es war wärmer geworden und Ezrael hatte das Gefühl, dass es jede Sekunde nur schlimmer wurde. Ein weiteres Knarzen fuhr durch das Holz, bis tief in seine Knochen.
Das Schiff wankte ein weiteres Mal und brachte Ezrael ins Stolpern. Er kippte zurück und wurde gegen die Reling gedrückt.
»Verdammter Mist!«
Ezrael zog sich rasch auf die Beine zurück und sah nach unten ins Wasser. Wellen schlugen gegen die Außenwand des Schiffes. Blasen stiegen auf und zerplatzten. Der Geruch von Schwefel hing in der Luft. Es wurde immer heißer. Ezrael riss sich den Schal vom Hals und warf ihn in die Tiefe. Etwas war im Wasser, da war er sich sicher. In den Wellen erhaschte er einen kurzen Blick auf einen schwarzen Körper. Ein Phantom von Feuer und Tod.
»W-Was?!«
Ezrael knirschte mit den Zähnen, als ihm die Schweißperlen über das Gesicht liefen. Sein Gehirn spielte verrückt und versuchte herauszufinden, was er tun könnte. Er hob den Kopf. Das Schiff in der Ferne. Der Feind. Er hatte angehalten.
»Wir brauchen Hil…« Er biss sich auf die Zunge. Sie würden nichts tun. Warum sollten sie auch?
»Was sollen wir jetzt machen?«
Ezrael wandte sich um. Einer seiner Rudermänner war aufs Deck hinausgetreten und sah ihn aus großen Augen an. Auch er schwitzte wie verrückt. Er hatte sein Hemd ausgezogen und um seine Stirn gewickelt.
»Wir …« – Ezrael drehte sich um und richtete seinen Finger auf den Feind – »… wir können jetzt nicht mehr umkehren, dafür ist es zu spät. Wir machen weiter.«
Ohne ein Gegenwort nickte der Mann. »Ja, mein Herr.« Er kehrte unter Deck zurück.
Ezrael stieß ein Seufzen aus.
Da war es wieder. Das Knarzen. Er sah zurück ins Wasser hinab. Es kochte. Unter Deck musste die Hitze unerträglich sein, doch noch immer schlugen die Ruder. Sie bewegten sich, trafen das Wasser und tauchten darin ein – platsch, platsch, platsch.
Ezrael sah auf. Sie kamen dem Feind langsam näher, kriechend. Vielleicht konnten sie es schaffen. Noch ein paar Minuten.
… als er das nächste Mal hinabsah, hingen die Ruder steif im Wasser.
Das Schiff des Feindes stand starr und unbewegt.
Ezrael ballte die Hände zur Faust. Am liebsten hätte er geschrien, als ...
… Platsch … platsch … platsch.
Er wandte sich um und sein Herz setzte für einen Moment aus. Als wären die Zeit und die ganze Welt eingefroren. Selbst die Hitze wich für einen Augenblick. Jemand stand mit ihm an Bord – seine Schritte platschten in den Pfützen auf dem Deck.
Der Tod.
Ezrael kniff die Augen zusammen und klammerte sich an die Reling, als würde sein Leben davon abhängen. Für einen Moment, einen Augenblick, vergaß er, wer er war – was er war.
Da war nur der Tod, welcher seine Arme ausstreckte und alles zu verschlingen drohte.
Nein. Da war noch etwas anderes. Er war da. Er war der Herr. Solange er da war, würde ihm niemand sein Schicksal streitig machen.
Ezrael riss die Augen auf und sprang auf die Beine. »Noch ist nicht alles vorbei!« Er krächzte und schrie.
Er rannte los, in Richtung des Hecks, die Treppe hinauf. Vielleicht war dieses Schiff verloren. Vielleicht hatte er sie unterschätzt. Aber sie hatte ihn ebenfalls nicht für voll genommen. IHN, den großen Herren Ezrael. Das war es, was sie voneinander unterschied. Sie war allein und er … und er …
Ezrael stand schnaufend am Heck. Der Sprint und die Hitze hatten ihm die letzte Kraft genommen, aber das war ihm egal. Es war egal!
Er sah in die Ferne, über den See. »Nein.« Er konnte nicht mehr schreien und so blieb ihm nur ein Flüstern. »Wo sind meine anderen Schiffe?«
Sie waren verschwunden. Von zwölf Schiffen war nichts weiter übrig als seine Erinnerungen. Da war nur noch die Jadedrache.
»Ich …« Ihm fehlten die Worte und so entschied er sich, nichts mehr zu sagen. Er hatte verloren. Er hatte alles verloren.
Die brodelnden Wellen schlugen gegen das Schiff.
Langsam machte sich Ezrael auf den Weg zurück an den Bug.
Er war allein.
Da war nur noch sie.
Und der Tod.
Er hatte ihn gesehen.
Ezrael lehnte sich auf die Reling. Vielleicht kam es ihm nur so vor, aber er glaubte, dass er ihrem Schiff näher war als zuvor. Vielleicht hatten die Wellen ihn näher gebracht. Vielleicht.
Er sah zu dem Schiff. Die Planken waren in goldenem Gelb, wie eine Sonne in einer Nacht, die kein Ende finden konnte. Sie, Aurifen, die Herrin, stand am Bug. Er sah ihr Gesicht.
Sie lächelte. Sie lächelte ihr leeres Lächeln.
Ezrael hörte das Knacken. Es war lauter als zuvor, aber sein Blick war weiter auf sie gerichtet.
Die Jadedrache brach und Ezrael fiel. Er spürte die brennende Hitze, vielleicht schrie er, vielleicht auch nicht. Sein Blick traf ihren, das war alles.
Ihr Lächeln.

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