Veröffentlicht: 21.07.2025. Rubrik: Satirisches
Der Ministerpräsident und die Landstraße - Teil 1
Zwischen zwei, überwiegend von Wald und Feldern umgebenen Orten in den jeweils abgelegenen Ecken zweier benachbarter Bundesländer lag die Landstraße, deren Verlauf schon seit vielen Jahrzehnten unverändert war. Das sah man der Fahrbahn an. Immer wieder mehr oder weniger notdürftig geflickte Stellen wechselten sich mit kleinen Schlaglöchern ab.
Im Jahr 2026 riss bei einigen ortsansässigen Landmaschinenhändlern, Handwerkern und dem Sägewerksbesitzer der Geduldsfaden. Auf einer der Versammlungen ihrer Initiative herrschte dicke Luft. Lasst uns endlich was unternehmen, lautete der Tenor der Aussagen. Man war es gewohnt, seit vielen Jahren auf Beschwerden zum schlechten Straßenzustand hin nur hinhaltende Antworten zu bekommen. Der Leiter der Initiative konnte immerhin vermelden, dass es gelungen sei, den zuständigen Abteilungsleiter im Verkehrsministerium zu kontaktieren. In Kürze wolle der Ministerialbeamte sich die Verkehrsverhältnisse anschauen und nachher dem Minister Bericht erstatten. Mit etwas mehr Zuversicht als am Anfang ging die Versammlung auseinander.
Leif-Beat, ein Kind eines norwegischen Vaters und einer schweizerischen Mutter, hatte es mit Fleiß und nötiger Intrige schließlich bis zum Abteilungsleiter gebracht. Förderlich war dabei die Tatsache, dass er der „richtigen“ Partei angehörte, nämlich der des seinerzeitigen Ministerpräsidenten.
Das Treffen mit den örtlichen Honoratioren verlief wie so oft in solchen Fällen für ihn immer gleich. Beschwerden und Klagen über den bald bevorstehenden Untergang des Abendlandes oder wenigstens doch des örtlichen Handels und Gewerbes hatte Leif-Beat schon oft gehört und bei aufgesetztem Interesse-heucheln-Gesicht Nummer 5 mit den zugehörigen Floskeln geantwortet. Er erwähnte die Zuständigkeiten von Land und Bund, die vordringliche Bedarfsplanung, die Haushaltslage und die Notwendigkeit der Abstimmung mit dem Nachbarbundesland. Insgesamt konnte er bei seinem Abschied bei der Bevölkerung eine leichte Zuversicht bemerken. Sollen sie doch denken, was sie wollen, diese Dorftrottel, und ließ sich von seinem Chauffeur zurück in die Hauptstadt fahren.
Im Folgejahr besprach der Ministerpräsident mit dem Verkehrsminister aktuelle Entwicklungen auf dem Mobilitätssektor. Unter anderem wurde erwähnt, dass bei der grenzüberschreitenden Landstraße parallel eine kaum genutzte Bahnstrecke verlaufe, was bei der Planung für den Straßenausbau berücksichtigt werden müsse. Die derzeitige Bundesregierung bestehe auf dem Vorrang für den Schienentransport, was erschwerend wirke. Man kam überein, der Abteilungsleiter Leif-Beat solle als zuständiger Abteilungsleiter den Dorfbewohnern möglichst schonend beibringen, dass es nichts mit dem Straßenausbau werde. Er solle die üblichen Stichworte Haushaltslage, Bundesvorrang und Klimaschutz in seine Mitteilung einflechten. Nebenbei kam zur Sprache, dass Leif-Beat kürzlich zum Kreisvorsitzenden der Partei gewählt worden sei.
2029 kam es zum Knall: Die Bundesregierung wurde abgewählt. Die neue Regierung war Straßenbauprojekten zugeneigt und bevorzugte nun die bekannte Landstraße. Förderlich war sicherlich, dass Bundeskanzler und Ministerpräsident zusammen zur Jagd gingen, um einige Dinge auf dem kleinen Dienstweg zu klären. Der günstige Bescheid wurde den Dorfbewohnern umgehend öffentlichkeitswirksam mitgeteilt, denn bald standen Landtagswahlen an.
Die Dorfbewohner und die Gewerbetreibenden atmeten 2030 auf. Der alte und gleichzeitig neue Ministerpräsident wurde bei seiner Rundreise wegen der Zusage zum Straßenausbau mit Applaus begrüßt. Im Schlepptau befand sich neben dem Verkehrsminister auch Leif-Beat als neu ernannter Staatssekretär; dieser war zuvor in den Landesvorstand seiner Partei aufgenommen worden. Gespräch zwischen Ministerpräsident und Verkehrsminister: „Gut, dass wir damals Leif-Beat in die Jagdhaus-Connection aufgenommen haben. Er ist ein echtes politisches Talent, das wir fördern sollten!“ „Ja, das ist er. Pass' aber auf: Irgendwann will er auf deinem Thron sitzen!“ „Das ist wohl schon möglich. Aber ich bin ja gerade frisch gewählt und habe meine parteiinternen Truppen auf meiner Seite.“ Mit der Jagdhaus-Connection war eine informelle Gruppe gemeint, in der neben Parteimitgliedern, die dem Ministerpräsident nahestanden, auch hochrangige Vertreter des öffentlichen Lebens vertreten waren. Die Mitglieder trafen sich meist in einem Lokal in der Hauptstadt; der Name der Gruppe rührte von einem früheren gemeinsamen Jagdausflug.
Auch privat lief es gut für Leif-Beat. Auf einer Wohltätigkeitsgala lernte er Gislinde-Francesca kennen. Schon bei der ersten Begegnung dachte er sich, dass sie mit ihrer attraktiven Erscheinung eine ideale Partnerin zum Vorzeigen und für seine weitere politische Karriere darstelle. Auch sie dachte sich, Leif-Beat hat noch eine Karriere vor sich, also nichts wie ran an ihn.
2033 kam es zur routinemäßigen Neuwahl im Nachbarbundesland. Bezüglich Verkehr hatte die frisch gewählte Landesregierung andere Prioritäten als die heimische Regierung. So eine Überraschung! Die parteipolitische Ausrichtung war nämlich eine andere, weswegen man sich im anderen Bundesland nicht für einen beschleunigten Ausbau einsetzte.
Frisch war auch die Ehe von Leif-Beat mit Gislinde-Francesca. Verschiedene Medien berichteten, wie von Leif-Beat heimlich bestellt, ausführlich über die „Fürstenhochzeit“, wie sie alsbald im Volksmund genannt wurde.
Mangelnde Fortschritte beim Straßenneubau ließen den Kragen bei der Initiative von Handwerk und Gewerbe platzen. Der Vorschlag einer Protestfahrt zur Hauptstadt fand allgemeinen Anklang. Mit einer interessierten und im Landtag vertretenen Partei wurde das weitere Vorgehen besprochen.
In der Hauptstadt angekommen fuhr man zum Landtag, wo gerade der Verkehrsausschuss tagte. Die Angelegenheit der Landstraße stand auf der Tagesordnung. Die Sitzung wurde unterbrochen und der Verkehrsminister äußerte sich vor der versammelten Menge: „... mit Blick auf das wichtige Thema des Ausbaus der bedeutenden Landstraße kann ich Ihnen zusagen, dass wir am Ende des Tages eine Lösung anstreben werden, die Ihren Bedürfnissen vor Ort ein Stück weit entspricht, damit Sie im Bereich Ihres Bereiches eine Perspektive für Ihre wichtige Arbeit und Ihren großen Beitrag für die Gesellschaft haben....“ - „Was hat er jetzt gesagt?“, fragte ein Zuhörer den anderen. „Heiße Luft!“
2035 kam es zu einer Regierungskrise im Nachbarbundesland. Die neu zustande gekommene Koalition nahm wegen Protesten von dortigen Anrainern der Landstraße eine Neubewertung der Situation vor und setzte sich nun doch für den Ausbau der Landstraße ein. Dieser Auffassung schloss sich die Landesregierung auf dieser Seite der Grenze an; kein Wunder, denn beide Regierungen wurden von der gleichen Partei gestellt. In einer gemeinsamen Sitzung der Ministerpräsidenten und der Verkehrsminister nebst Staatssekretären wurde vor den versammelten Pressevertretern die Dringlichkeit des Ausbaus hervorgehoben und der Beginn der Planungen angekündigt. Am Rande wurde erwähnt, dass der bisherige Verkehrsminister die Bauarbeiten nicht mehr bis zu deren Ende begleiten könne, da er mit Ablauf des Jahres in den Ruhestand treten werde. Leif-Beat rieb sich bei diesen Worten innerlich die Hände, denn er war von der Jagdhaus-Connection als Nachfolger für den scheidenden Minister und als neuer stellvertretender Parteichef ausersehen worden.
Jetzt, im Jahr 2037, lief im Verborgenen eine Aktion von Umweltschützern ab. Man hatte seitens der Gruppe ein Unternehmen namens Rent-a-Bug ausfindig gemacht. Dieses hatte sich aus Sicht militanter Umweltschützern bei der Realisierung von größeren Bauprojekten beziehungsweise bei deren Verhinderung Verdienste erworben. Die Bürgerinitiative gegen den Straßenausbau besprach mögliche Gegenmaßnahmen mit dem Geschäftsführer von Rent-a-Bug. „Kein Problem, meine Damen und Herren, wir haben einige Erfahrungen bei der Auswahl geeigneter Fauna und Flora gesammelt, um sie optimal beim Torpedieren von Bauprojekten einsetzen zu können“, meinte dieser. „Lassen Sie uns nur machen!“
Wie es der Zufall wollte, lud eine Gruppe von Mitgliedern der Bürgerinitiative einige Wochen später Bürger und Journalisten zu einer Wanderung durch den Wald ein, durch den die Landstraße führte. Eine Häufung von Zufällen: „Seht her! Ich habe einen besonderen Käfer gefunden! Was ist denn das für einer?“ „Mensch! Wahnsinn! Das ist ja ein veilchenblauer Wurzelhalsschnellkäfer!“, rief ein bekannter Naturjournalist aus. Schnell machte die Entdeckung dieses seltenen Käfers die Runde und fand wundersamerweise Eingang in die überregionale Berichterstattung. Ebenso zufällig war, dass daraufhin juristischer Einspruch gegen den Straßenbau erhoben wurde.
Fortsetzung folgt

