geschrieben 2024 von Matthias Stilke (CaptainX).
Veröffentlicht: 10.08.2025. Rubrik: Fantastisches
DAS WRACK IM DSCHUNGEL
DAS WRACK IM DSCHUNGEL
Diese Story ist Teil einer längeren Geschichte.
1106 Imperiale Zeitrechnung: Ein Patrouillenkreuzer der Imperial Navy versucht unter anderem den Kapitän eines Korsarschiffs der Vargr zur Strecke zu bringen. Dieser Raumer ist in der Nähe einer Landeplattform aus ihnen unbekannten Gründen in den dichten Dschungel des Grenzplaneten Eathen abgestürzt. Das ist die Gelegenheit, diese Jagt endlich erfolgreich zu beenden.
*
Die große stählerne Landeplattform ragte deutlich über die Baumkronen hervor und war schon vom weiten aus deutlich erkennbar. Ein Stück abseits standen einige Bäume recht schief und eine schmale Rauchfahne stieg von dort auf.
»Das muss die Absturzstelle des Korsaren sein.«, meinte Mendez, die Kommandantin des Marine-Kontingents an Bord des Patrouillenkreuzers Firefly.
»Ja.«, sagte Kapitän Kinney trocken und fügte noch gedanklich hinzu 'Wirklich scharfsinnig, die Gute'. Die beiden Frauen konnten sich nicht ausstehen.
»Langsam jetzt. Nicht so dicht ran.«
Kinney rollte mit den Augen. 'Nicht so dicht ran! Etwas präziser, wenn es geht!' Sie verlangsamte das Schiff und stoppte einige Schiffslängen von dem Wrack entfernt. Sie ließ die Firefly gerade so hoch über die Baumgipfel schweben, dass man von der Brücke aus einen Teil des schief stehenden Hecks sehen konnte.
Anscheinend war Mendez mit der Position der Firefly zufrieden, denn sie äußerte sich dazu nicht weiter. Stattdessen wandte sie sich an Kloos, ihren bulligen und übelriechenden Sergeant: »Gruppe Eins und Zwei Gefechtsbereitschaft. Leichte Kampfausrüstung. Wir gehen mit dem Panzer runter.« Während Kloos ihre Befehle per Intercom weitergab, verließen beide die Brücke. Bevor die Irisblende sich hinter ihnen schloss, rief sie Kinney noch zu: »Position bis auf weiteres halten.«
Bislang hatte sich für den schweren Grav-Panzer in seinem Hangarmodul keine Einsatzmöglichkeit gefunden. Nun aber quetschten sich zwölf Marinesoldaten in Kampfausrüstung in das Gefährt, dass werksseitig nur für sechs Personen ausgelegt war. Ein Soldat nahm Platz auf dem Pilotensitz, ein weiterer übernahm die Kontrollen des Bordschützen. Mendez setzte sich neben den Piloten und rief die Operationskontrollen auf. Der Computer verband ihr Panel mit den Helmkameras ihrer Leute und den Kommunikationskanälen. Nach Vorschrift wollte sie den Entereinsatz vom Panzer aus leiten.
Das Hangartor öffnete sich und der Panzer glitt langsam aus dem Rumpf der Firefly. Auf Grund der Höhe zum Bodenniveau und der Überbelastung der Besatzung arbeiteten die Antigravmodule auf Hochtouren. Das unangenehme Summen und die starken Vibrationen gaben erst beim Abstieg zur Oberfläche langsam nach. Derweil war es für den Piloten nicht so einfach, den Panzer schadlos herunter zu bringen. Mächtige Bäume mit ihrem Geäst blockierten den Abstieg und je tiefer sie kamen, umso sperriger wurde das Unterholz. Bald blieb dem Piloten nur noch die Möglichkeit, mit dem schieren Gewicht des Panzers den Weg nach unten durchzubrechen. Schließlich erreichten sie den Boden. Es rieselte aber noch minutenlang Blätter und Äste auf die schweren Panzerplatten des Gefährts herab.
Der Panzer setzte sich in Richtung Absturzstelle in Bewegung. So langsam ging es Mendez auf, dass es keine gute Idee war. Das Unterholz war so dicht, dass sie kaum zehn Meter weit sehen konnte und der Panzer musste permanent größere Ausweichmanöver fahren. Schließlich schüttelte sie den Kopf: »Das wird so nichts. Gruppe Eins klar machen zum Aussteigen. In Schützenlinie zum Ziel vorrücken. Gruppe Zwei Reservestellung zehn Meter hinter Eins. Flankenschutz. Los jetzt!«
Die Frauen und Männer rückten ihre Helme zurecht und nahmen ihre Kurzlaufkarabiner in Vorhalte. Gruppe Eins unter Führung von Sergeant Kloos verließ als erster den Panzer durch die schwere Heckluke. Ein Schwall heißer und feuchter Luft strömte in das Fahrzeug. Er orientierte sich kurz, positionierte seine Leute und ging vorsichtig Richtung Absturzstelle. Wenig später folgte Gruppe Zwei. Mendez schloss die Luke und schaltete sich auf das Operationspanel. Sie sah auf der taktischen Karte die blauen Punkte, die die Gardisten der Gruppe Eins repräsentierten. »Richtung stimmt.«, sprach sie ins Mikro. »Noch etwa sechzig Meter zum Ziel.« Kloos bestätigte durch zweimaliges Drücken der Sendetaste. Durch die Helmkameras der Marines sah sie nur das dichte Grünbraun des hiesigen Dschungels; deshalb konzentrierte sie sich zunächst nur auf das taktische Operationspanel.
Gruppe Zwei schloss zu dicht auf, was sicherlich an den schwierigen Sichtverhältnissen lag: »Gruppe Zwei etwas zurückbleiben.« Zufrieden beobachtete sie, dass Corporal Coan zügig die befohlene Marschordnung wieder herstellte.
Nach einigen Minuten meldete Kloos: »Sichtkontakt zum Ziel.« Alle blauen Punkte stoppten und ein kleines Symbol zeigte an, dass die Gardisten sich im Ambush-Modus befanden - also maximale Deckung und Aufmerksamkeit. Mendez blickte auf das Bild von Kloos' Helmkamera. Erst nach einer Ausschnittsvergrößerung konnte sie zwischen dem Grünbraun des Dschungels die blasse orangefarbene Außenhaut des Korsars erkennen. Jetzt wo Kloos einen Orientierungspunkt hatte, fächerte er die Formation etwas auf. Sie ließ ihn gewähren. Kloos war zwar ein unsympathischer Grobian, aber auch ein erfahrener Taktiker und Truppenführer.
Die fünf blauen Punkte bewegten sich nun langsamer vorwärts. Vermutlich hatte Kloos seinen Leuten entsprechende Handzeichen gegeben.
Auf ihrer taktischen Karte tauchte jetzt auch der Rumpf des Korsars auf. Plötzlich rief Kloos: »Kontakt!« Zeitgleich setzte der Computer zwei gelbe Punkte an den Rumpf des abgestürzten Schiffes, die unidentifizierte Personen markierten. Kloos fokussierte seine Kamera auf diesen Bereich. Tatsächlich! Zwei Vargr! Der eine hielt eine Waffe und half den anderen durch eine Luke nach draußen. Vermutlich war er beim Absturz verletzt worden. Mendez betätigte einen Schalter und die beiden gelben Punkte wurden, für alle Mitglieder des Einsatzteams sichtbar, rot und somit als feindlich identifiziert. Das war angemessen, denn immerhin handelte es sich um ein Piratenschiff.
Mendez rief den Standarddeckplan eines Korsars auf. Die Luke, an denen die beiden sich befanden, war der einzige Zugang zum Schiff auf Bodenniveau und somit ein wichtiges, taktisches Ziel. Anscheinend hatte Kloos die gleichen Gedanken, denn er fächerte seine Formation noch weiter auf, so dass er aus einen 160-Grad-Winkel den Lukenbereich angreifen konnte. Seine rechte Flanke ging einige Schritte vor und sprach die beiden Vargrs an. Diese erschraken sich, nahmen aber schnell Deckung und eröffneten das Feuer. Von Kloos' linken Flanke aus waren die beiden allerdings völlig ungedeckt. Mit vier schnellen Treffern schossen die beiden Marinesoldaten von dort aus die beiden Vargr nieder. 'Alle Achtung!', dachte Mendez so bei sich. Da es sich um eine Enteraktion handelte, waren ihre Leute mit Kurzlaufkarabinern ausgerüstet, die im offenen Distanzgefecht nicht sehr treffsicher waren. Aber: Vier Schuss, vier Treffer, soweit sie sehen konnte. Der Überraschungseffekt war allerdings dahin. Kloos erkannte das auch und ließ seine Leute jetzt schnell vorrücken, um den Zugang und wenigstens ein paar Decks zu sichern, bevor die Vargr Widerstand koordinieren konnten. Er schoss eine Stunner-Granate durch die Luke und stürmte mit seinen Leuten in das Schiff. Während Gruppe Zwei aufschloss und die Außensicherung übernahm, brach der Kontakt zur Gruppe Eins teilweise zusammen. Vermutlich lag das an der absorbierenden Legierung der Außenhaut des Korsarsschiffes. Mendez hörte nur Teile von Kommandos und Schüsse. Die Kamerabilder der Gruppe Eins waren eingefroren und/oder zerhackt. Coan hatte ihre Leute halbkreisförmig um die Luke nach außen hin platziert, blickte aber selbst zum Eingang. Durch ihre Kamera sah Mendez nach ein oder zwei Minuten Kloos und einen Marine das Schiff verlassen - zwischen ihnen im Schlepptau drei weitere Vargr, die Hände auf den Rücken fixiert. Kloos übergab seine Gefangene Coan und machte Mendez Meldung: »Deck Eins und Zwei gesichert. Drei Gefangene, zwei weitere Vargr im Schiff neutralisiert. Gehe wieder rein.«
»Okay. Bei Standardbesatzung könnten noch weitere drei oder vier Vargr an Bord sein.« Kloos salutierte in Coan's Kamera und ging wieder ins Schiff. Danach passierte zwanzig Minuten lang nichts. Mendez wurde ungeduldig und wollte sich schon in die Operation einmischen, da erschien Kloos wieder an der Luke: »Sie geben auf.« Fünf weitere Vargr verließen an den Händen fixiert und niedergeschlagen das Schiff und gesellten sich zu ihren drei Kameraden in Coan's Gewahrsam: »Zwei weitere Vargr neutralisiert.«
»Gut gemacht, Sergeant. Filzen sie die Burschen und das Schiff. Nehmen sie alles Brauchbare mit. Überprüfen sie die Computerdatenbank. Vielleicht lohnt es sich diese auszulesen. Dann Sprengladungen. Wir jagen das Scheißding in die Luft. Ich komme jetzt zu ihnen.«
Kloos grüßte wieder in Coans Kamera und kehrte ins Schiff zurück.
Es war zwar einen Versuch wert, die gegnerischen Datenbestände zu sichern, aber vermutlich zum scheitern verurteilt. Das erste, was bei einer feindlichen Übernahme vernichtet wird, war der Schiffscomputer und seine Datenbanken. Vargr sind zwar etwas träge, aber nicht dumm!
Mendez verließ den Panzer und sagte dem verbliebenen Marine überflüssiger Weise, er solle warten. Nach der wochenlangen Klimaanlage an Bord der Firefly, war das schwere Tropenklima eine Herausforderung für ihren Organismus. Schweiß drang ihr aus allen Poren und ihr wurde schwindelig. Sie riss sich aber zusammen, ging grob den eingeschlagenen Weg der beiden Gruppen hinterher und erkannte auch schon bald das riesige Schiffswrack in einem Meer umgeknickter Bäume, Kleinholz und Blätter. An der Unterseite des Schiffs sah sie am Eingang Coan's Leute postiert. Die sieben Vargr saßen auf dem nackten Waldboden und blickten trübsinnig vor sich hin. Mendez musterte sie aufmerksam. Alle Vargr trugen wie erwartet eine nichtssagende grell-blaue Bordkombi ohne Rang- oder Positionsabzeichen. Zwei schienen leicht verletzt zu sein. Der Kommandant war anscheinend nicht unter ihnen. Nach allem, was sie von Vargr wusste, kleiden sich führende Vargr immer auffällig, um sich von der Masse ihrer Untergebenen abzuheben. Ihrer Erfahrung nach würden sich Vargr-Anführer sowieso nie gefangen nehmen lassen. Vermutlich lag der Kommandant an Bord seines Schiffes - durchsiebt von Karabinerkugeln ihrer Soldaten.
Mendez ging an Bord des Wracks. Ihre Augen mussten sich zunächst an das dämmerige Licht der Notbeleuchtung gewöhnen. Sie stieg über einige Vargrleichen hinweg und traf auf dem dritten Deck Sergeant Kloos.
»Untersuchung fast abgeschlossen. Bislang nichts von Wert entdeckt. Datenspeicher wurden gelöscht. Private Prime positioniert gerade die Sprengladungen. Der Maschinenraum sah wüst aus. Anscheinend ist der Konverter explodiert, was dann zum Absturz führte.«
»Sehr gut, Sergeant.«, lobte sie. »Eigene Verluste?«
»Negativ.«, sagte Kloos:» Das Beiboot fehlt. So wie das Schiff jetzt liegt, muss es den Hangar schon vor dem Absturz verlassen haben.«
Sie nickte. »Okay. Die toten Vargr in Leichensäcke und ab in die Kühlung.« Damit meinte sie die Kühl- und Kälteschlafkammern der Firefly. »Den Kommandanten haben wir noch nicht erwischt?«
Die Glatze nahm sich den Helm ab und kratzte sich an der selben: »An Bord sind nur noch vier tote Vargr. Bei den meisten scheint es sich aber um niedere Crew zu handeln. Techniker und so was. Drei waren schwer bewaffnet und gepanzert. Allerdings sind alle Kabinen mit insgesamt 18 Kojen belegt. Es sind uns also sechs Vargr entwischt. Darunter vermutlich auch der Kommandant.«
»Shit!«
***
Später entdeckten sie noch zwei, seltsamerweise waffenlose, aber gepanzerte Vargrleichen hoch oben auf der Plattform. Das, das fehlende Beiboot, der explodierte Energiekonverter und vier vermisste Besatzungsmitglieder machten den Absturz zu einem großen Rätsel, dass Kinney und Mendez dazu veranlasste, die Sensorenlogbücher penibel zu analysieren. Bei Anflug auf der Plattform blitzten ganz kurz einige sehr schwache Energieemmissionen am Rande der Sensorreichweite auf. Der Computer hatte diese Daten als Störung weggefiltert. In seltener Harmonie kamen Mendez und Kinney überein, dass es sich vermutlich um das Beiboot handelte. Wie dem auch sei - jetzt war die Spur kalt. Das hielt Mendez aber nicht davon ab, die Suche fortzusetzen. Schließlich war der Korsarkapitän immer noch flüchtig, konnte aber mit dem Kutter nicht aus dem System entkommen. Sie bezweifelte, dass diese Kriminellen auf Eathan irgendwo Unterstützung erhalten würden. So war es nur eine Frage der Zeit, bis sie auffällig wurden.
Nach zehn Tagen Suche spürten sie tatsächlich ein 50-Tonnen-Raumboot auf einer Lichtung auf - etliche hundert Kilometer von der Absturzstelle des Korsarschiffs entfernt - ein Modularkutter, Vargr-Bauart, mit dem Namen Gangoo, ihr alter Bekannter von Jelohm. Die Besatzung, zwei Vargr, ließen sich widerstandslos festnehmen, vermutlich einfache Plünderer, keine Führungspersönlichkeiten. Sie gehörten zur Scout-Flottille des Korsarschiffs. Ihr Schiff wurde von der Gangoo durch eine gemischten Vargr-Mensch-Besatzung geentert und man ließ sie hier zurück. Die beiden Vargr erzählten weiter in etwa das gleiche, wie ihre Kollegen von Berentin. Allerdings waren sie mit dem Auftrag unterwegs, gezielt nach einem Princess-Gunnhilde-Transporter mit Namen Sieglinde Ausschau zu halten. Sie hatten das Schiff einmal auf Eathen tatsächlich im Sensor, wurden aber durch Aktivitäten der Firefly und Befehle ihres eigenen Kommandanten von einer Verfolgung abgehalten.
Mendez konnte sich aus ihrer Geschichte nicht so recht einen Reim machen. Sie vermutete, dass es sich bei dieser Crew um Teile der Besatzung der Sieglinde handelte, aber wie passte da der Vargr ins Bild, den sie auf Jelohm befreit hatten? Und wer flog das Schiff jetzt?
Die beiden Vargr wurden in Kälteschlafkammern gesteckt und der Kutter fachgerecht gesprengt.
Und jetzt? Während sie düster auf das brennende Wrack des Kutters blickte, dachte sie nach: Worum auch immer es den Vargr-Korsaren ging - mit der Vernichtung ihres Schiffes hatten sie ausgespielt, auch wenn ihr Kommandant noch irgendwo da draußen herumlief. Die Sieglinde war aber anscheinend immer noch unterwegs - vermutlich sogar wieder mit ihrer Ladung und womöglich mit einer neuen Crew. Aber unterwegs nach wohin?
Autor: Matthias Stilke
Geschrieben: Februar 2024

