Veröffentlicht: 04.10.2025. Rubrik: Unsortiert
Neues aus der Zoologie: Der langschwänzige Glimpf
Neulich sagte jemand: „Das . . . “ – was es war, weiß ich nicht mehr, aber irgend etwas muss es schon gewesen sein, sonst hätte ich es ja nicht gehört – „das ist Gott sei Dank glimpflich ausgegangen.“ Ich fragte diesen Jemand, was er denn mit glimpflich meine, ob er diesem Glimpf überhaupt schon begegnet sei – diese Person blickt mich verständnislos an, um nicht zu sagen reichlich blöde, und fragte, ob ich noch alle Tassen im Schrank hätte, eine derart bescheuerte Frage habe sie lange nicht mehr gehört.
Nun gibt es bekanntlich keine bescheuerten Fragen, sondern nur bescheuerte Antworten. Und diese Antwort war bescheuert im Sinne von völlig daneben, denn hinter dieser Frage steckt ein ernsthaftes Problem. Nämlich die vollständige Unwissenheit über Herkunft, Verhalten und Aussehen eines Glimpfs aufgrund der Tatsache, dass bisher anscheinend noch niemand einen lebenden Glimpf mit eigenen Augen gesehen hat. Aber existieren muss er. Schließlich sagt man ja auch herrlich, freundlich, dämlich, und dass es Herren, Freunde, und Damen gibt, will ja wohl niemand abstreiten. Wenn man also „glimpflich“ sagen kann, muss es auch einen Glimpf geben.
Auf diese Beweisführung kam als erster ein altgriechischer Philosoph. Der behauptete: Alles, was gedacht werden kann, existiert auch. Wenn ich also „Topf“ denke, dann kann ich das nur, weil es auch Töpfe gibt. Wenn ich den Begriff „Gott“ denken kann – na klar, der Alte suchte nach einem Gottesbeweis. War damals so eine Art Preisfrage. Wenn ich also das Wort Glimpf denken kann – und sogar aussprechen . . . alles okay? Das Problem ist nur, auch ich habe ihn noch nie gesehen, diesen Glimpf, dafür aber einen Haufen Herren (auf deren Bekanntschaft ich allerdings gerne verzichte); einige Freunde (bzw. solche, die sich so nennen), und auch an Damen, wirkliche oder eingebildete, soll es nicht mangeln. Sogar einen leibhaftigen Gott habe ich schon getroffen, nämlich diesen tschechischen Sänger. Aber einen Glimpf?
Wo die Realität versagt, hilft oft die Fantasie weiter. Wie könnte er aussehen?, fragte ich mich. Auf keinen Fall, das war mir von vornherein klar, wie ein Pimpf, dieses unscheinbare, schmächtige, männliche Wesen. Das liefe ja, um ein wenig zu kalauern, auf eine Verunglimpfung des Glimpfs hinaus. Ich stellte mir vor: Eine Mischung aus Gartenzwerg und Posaunenengel, mit rundlich-knubbeligen Babygliedern, großem Lockenkopf und einer knallgelben Zipfelmütze obendrauf, in der rechten Hand eine Miniposaune, in der linken eine winzige Mistforke. Könnte passen, wenn da nicht das bereits erwähnte Wort „verunglimpfen“ wäre. Was ist denn das nun schon wieder. Hat irgendwie einen negativen Nachklang, das Wort. Aber weder Gartenzwerge noch Posaunenengel empfinde ich als negativ, höchstens als kitschig. Also was bedeutet „verunglimpfen“ nun wirklich? Was im Duden steht, glaube ich nicht, denn mein Glimpf ist ein freundliches, nettes, kein verachtenswertes Wesen.
Ich nehme ein anderes Wort mit einer ähnlichen nebulösen Bedeutung zuhilfe: Verunzieren. Also das, was mal Zierde war, hässlich machen. Oder verunstalten. Das, was eine schöne Gestalt hat,
„ . . . mich reizt deine schöne Gestalt;
Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt . . .“,
zerstören. Danach hieße verunglimpfen: Einen Glimpf – – ja, zum Teufel, zu was machen? Dazu müsste man erst einmal wissen, wie ein Glimpf denn nun wirklich aussieht. Aber ich weiß es nicht, meine Frau weiß es nicht, und was bei Google in der KI-Box steht, glaub ich erst recht nicht. Doch
wie so oft, kommt die Lösung unverhofft.
In unserer Stadt gibt es, hinter Häuserzeilen versteckt, eine alte Klosterruine, in der sich Fledermäuse, Eulen und anderes scheues Getier eingenistet hat. Ein kleiner Teil des Gewölbes ist noch erhalten, ansonsten ragen nur noch die Außenmauern in den Himmel. Gestern nun bekam ich Besuch (von wem ist belanglos), und natürlich – der Besuch wollte unbedingt die Klosterruine besichtigen. Wir gingen also hin. Mein Besucher kaprizierte sich auf den Rest eines alten Fußbodenmosaiks; ich blickte mich im Gewölbe um. Und, verdammt nochmal!, da sah ich ihn endlich, den Glimpf, denn es konnte nur ein Glimpf sein, was da kopfunter und wie schwerelos von der Decke hing (keine Fledermaus, denn Fledermäuse haben keinen Pelz, auch keine Eule; Eulen sitzen aufrecht und hängen nicht mit dem Kopf nach unten): Ein kleines pelziges Tierchen mit einem langen Greifschwanz, einem süßen Mäulchen und zwei großen runden Augen, die mich interessiert musterten. Es sah so putzig aus, dass ich vor Freude laut auflachte und in die Hände klatschte – wohl etwas zu laut, denn auf einmal war das Tierchen verschwunden. Stattdessen grinste mich eine in Stein gehauene Fratze an, der Schlussstein des Gewölbes.
Aber immerhin weiß ich jetzt, dass es sich beim Glimpf um einen Vertreter der pelzigen Langschwanzaffen handelt, die sich in verfallenen Klostergewölben aufhalten und kopfunter hängend den Tag verdösen. Außerdem scheint er ziemlich empfindlich zu sein und laute Geräusche zu fürchten. Über Ernährung, Fortpflanzung und dergleichen konnte ich nichts erfahren, dafür war die Begegnung zu kurz. Auch nicht, leider, was verunglimpfen wirklich bedeutet. Wie soll denn das „Un -“ dieses putzigen Geschöpfs überhaupt aussehen? Etwa wie ein hässlicher, alter, nacktärschiger Pavian? Der mir sein hässliches, geschwollenes, rotes Hinterteil entgegen streckt und dabei in ein höllisches Gelächter ausbricht? Eine scheußliche Vorstellung. Werde deshalb das Wort „verunglimpfen“ aus meinem Wortschatz streichen.

