Veröffentlicht: 23.10.2025. Rubrik: Historisches
Das geflüsterte Versprechen Teil9
Dies ist der 9. Teil der Geschichte. Wer die ersten Teile noch nicht kennt, findet sie unter: Historisches - "Das geflüsterte Versprechen TeilX"
Kapitel 24
Der Sommer hatte sich längst in den Alltag eingeschlichen, und mit ihm die neuen Gewohnheiten, die das Leben von Clara, Johanna und Alexander bereicherten. In den letzten Wochen waren ihre Spaziergänge zur geliebten Routine geworden, aus etwas Neuem war schnell etwas Schönes, Vertrautes geworden.
Wenn der Himmel sich grau und trüb zeigte und die dunklen Wolken den Platz einnahmen, suchten sie Zuflucht im kleinen Bäcker nebenan. Dort fanden sie süße Stücke und kleine Geschichten, die zwischen frischem Gebäck lautlos erzählt wurden. An anderen Tagen saßen Alexander und Johanna einfach bei Clara im Laden, ließen die Zeit sanft verstreichen und fanden Ruhe im gemütlichen Zusammensein. Irgendwann war es Clara, die die Idee hatte, einen kleinen, romantischen Tisch mit zwei Stühlen im Laden aufzustellen – ein stiller Ort, der zum Verweilen und Träumen einlud.
In diesen Momenten öffneten sich Johanna und Alexander immer mehr. Clara erfuhr von ihrer Kindheit, von ihren Wurzeln und von dem Schmerz, der ihre Verbindung geprägt hatte. Alexander, der heitere muttersöhnische Mann, trug eine leise Scham in sich, die Johanna und Clara oft zum Lachen brachte, wenn sie ihn neckten und bestaunten, wie liebevoll er doch auf seine Mutter geprägt war. Johanna hingegen war mehr Vatertochter, hieß es, und so ergänzten sie sich aufs Zärtlichste.
Die Erinnerungen an ihre Kindheit waren von Sonnenschein ebenso geprägt wie von Schatten. Vor vier Jahren, erzählten sie, war ihre Mutter plötzlich gestorben – ein Verlust, der die Familie zerrüttete. Alexander und ihr Vater hatten in der Trauer auf eine Weise Abstand genommen, die kalt und abweisend wirkte. Es war diese Kälte, die sie schließlich dazu gebracht hatte, hierherzukommen, in dieses neue Leben, fernab von der Vergangenheit. Clara fühlte tiefes Mitgefühl, denn sie wusste nur zu gut, wie schmerzlich der Verlust eines Elternteils sein konnte.
Doch mit dem Sommer kamen auch neue Stunden der Vertrautheit. Johanna begann, öfter alleine zu Clara zu kommen. Die stillen Gespräche und zarten Bekenntnisse öffneten Räume, die Clara zuvor nicht gekannt hatte. Es waren Gespräche, die wie ein leiser Tanz zwischen zwei Freundinnen geschahen – ganz mütterlich und doch voller jugendlicher Unbeschwertheit.
Eines dieser Gespräche trug einen besonderen Zauber in sich, denn Johanna erzählte von ihrem Schatz, von dem aufregenden Moment, als sie ihn auf einem Debütantinnenball zum ersten Mal erblickte. Trotz der prunkvollen Umgebung und der glänzenden Paare hatte er sie zunächst übersehen, was den Ball für sie beinahe zu einem Schauplatz der Unsichtbarkeit werden ließ. Doch Johanna war zielstrebig, und ihr Herz ließ sich nicht übergehen.
Sie erzählte lächelnd, wie sie bei dem Versuch, seine Aufmerksamkeit zu gewinnen, aus Versehen eine Limonade über seine Jacke goss – ein Missgeschick, das mehr war als Zufall. Dieses kleine Malheur war wie ein zartes Band, das die beiden miteinander verband und den Anfang eines ganz neuen Kapitels markierte.
Clara lauschte gebannt und wusste in diesem Moment, dass diese Freundschaft ihr ein Fenster öffnete – zu neuen Gefühlen, neuen Hoffnungen und einem ungeschriebenen Morgen.
Kapitel 25
Es war wieder Herbst geworden. Ein besonders grauer und regnerischer Tag, an dem sich der Himmel schwer und tief über die Stadt legte. Doch anders als mancher anderer, störte der Nieselregen Clara kaum. Ihre Gedanken waren ganz bei Alexander, dessen Nähe ihr auch in der Ferne Wärme verlieh.
Ein unerwartetes Geräusch ließ die alte Ladentür aufspringen, und der Postbote betrat den Raum, die Nässe des Wetters mit sich hereinbringend. In seiner Hand hielt er einen Umschlag, der Claras Aufmerksamkeit sofort fesselte — ein Brief von Alexander.
Neugierig und mit leicht bebenden Fingern öffnete Clara den Brief und begann zu lesen.
Meine liebste Clara,
an diesem trüben Herbsttage, an welchem der Regen unaufhörlich gegen meine Fenster schlägt, sende ich Dir diese Zeilen, wohl wissend, daß sie Dich erreichen mögen inmitten der Düfte und Stimmen Deines geschätzten Ladens.
Es ist mir ein inniges Anliegen, Dich einzuweihen in ein Vorhaben von bedeutsamer Natur. Ich beabsichtige, unseren gemeinsamen Schatz Johanna zu einem besonderen Treffen einzuladen, dessen Verlauf sorgsam bedacht sein will. Die öffentliche Szene fordert von uns hohe Rücksicht, und es gilt jegliches peinliche Missgeschick zu vermeiden, welches unser Verhältnis trüben könnte.
Darum wende ich mich an Dich, meine Vertraute, in der Hoffnung, daß Du Johanna behutsam vorbereiten mögest; Deine zarte Hand und all Dein Feingefühl sollen ihr die nötige Sicherheit geben, damit sie sich ohne Furcht und mit Anmut fügen kann. Doch zuvor müssen wir Johannas Weg kurzzeitig begleiten und sie sanft aus unserer Gesellschaft entlassen, ohne Argwohn zu erwecken.
Freilich hält die Zeit ihre Gebote; um jenen gesellschaftlichen Normen zu entsprechen, unter deren Schirm wir stehen, wird unsere Zusammenkunft von der wachsamen und weisen Aufsicht der alten Schneiderin begleitet. Ihre Gegenwart wird uns Schutz und Gewissheit zugleich gewähren.
Ich vertraue fest auf Deine Diskretion und Dein Verständnis und verbleibe in ergebener Freundschaft,
Dein Alexander
Clara saß an ihrem kleinen Arbeitstisch und blickte durch das leicht beschlagene Fenster hinaus auf die regennassen Straßen. Draußen war der Herbst in vollem Gange, die Bäume hatten ihr buntes Laub abgelegt, und der graue Himmel schien die Welt in einen stillen Schleier zu hüllen. Doch all das berührte sie kaum; ihr Herz war erfüllt von Aufregung und einer leisen Erwartung.
Der Brief von Alexander lag noch immer vor ihr, und immer wieder kehrten ihre Gedanken zu den Worten zurück, die er mit solcher Sorgfalt gewählt hatte. Es erfüllte sie mit Stolz, dass Alexander ihr so sehr vertraute, dass er sie in seine Pläne einweihen wollte. Tief in ihr wuchs das Gefühl, Teil von etwas Bedeutendem zu sein — eine stille Anerkennung, die ihre Seele wärmte.
Doch zugleich erwachten in ihr Gedanken an die praktische Umsetzung: Wie sollte sie Johanna am besten „behutsam entlassen“, ohne ihr wehzutun oder verdächtig zu machen? Die Überlegung beschäftigte sie lange, während draußen der Regen gegen die Scheibe trommelte. Mehrfach spielte sie verschiedene Szenarien in ihrem Geist durch, suchte die weichste Herangehensweise, jene, die Johanna den Abschied erleichtern und zugleich die gesellschaftlichen Erwartungen erfüllen konnte.
Während diese Überlegungen sie beschäftigten, regte sich tief in Clara eine andere, unerwartete Idee — ein Gedanke, der sie erröten ließ und der einen zarten Funken Hoffnung in ihr entfachte. Doch sofort wies sie ihn zurück, wollte ihn nicht zulassen, noch nicht, nicht in diesem Moment, in dem die Pflicht und Verantwortung vorrang hatten.
So saß sie da, gefangen zwischen der Verantwortung, die auf ihren Schultern lastete, und dem leisen Flüstern einer noch verborgenen Sehnsucht, die das Herz zum Pochen brachte und ihre Wangen erwärmte.
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