Veröffentlicht: 16.10.2025. Rubrik: Aktionen
Eine gute Partie
Schweigend saß Luise neben ihren Eltern am langen Mahagonitisch, der im sanften Schein der Petroleumlampe glänzte. Der Duft von Roggenbrot und frischer Butter stieg in die warme Stube, doch Luises Gedanken waren weit entfernt. Vor ihrem inneren Auge tanzten Lichter, Musik und rauschende Seidenröcke – Bilder des Debütantinnenballs, der erst letzte Woche ihr junges Leben aufgewirbelt hatte.
Bis dahin war ihr Herz in seltsamer Ruhe gewesen, fern aller Sehnsucht, die andere Mädchen bewegte. Doch der Ball hatte etwas in ihr geweckt. Es hatte sie überrascht, wie sehr sie von den Blicken und dem Flüstern der jungen Herren umschwärmt worden war. Ihre Tanzkarte, beinahe sofort gefüllt, war ein süßes Bekenntnis ihrer plötzlichen Anziehungskraft. Besonders ein Name tauchte immer wieder darauf auf: Viktor. Stets höflich und voller Witz, hatte er sie zum Lachen gebracht. Und ganz leise, zwischen Walzer und Wehmut, war in ihr das Gefühl gereift, das die Erwachsenen Liebe nannten.
Ein Poltern am anderen Tischende riss sie aus dem Traum. Ihr Vater, bleichen Blicks, räusperte sich und faltete die Hände. „Luise“, begann er, schwer, „heute habe ich von einem Herrn erfahren, der dich um deine Hand bitten möchte.“ Luises Herzschlag beschleunigte sich, Hoffnung blitzte auf. War es Viktor?
„Es ist Herr Albrecht von Stein. Seine liebe Frau verlor er vor zwei Jahren. Nun sucht er eine Gefährtin, fest im Charakter und klug – so wie du.“ Luise spürte, wie der Traum in sich zusammensank. Albrecht von Stein – ein angesehener Mann, ohne Zweifel, doch weit über vierzig, ernst, und durch sein Schicksal gezeichnet.
Die Mutter lächelte gequält, der Vater sprach vom Glück, das sie erwarten könne. Doch Luises Gedanken wurden stumm. Sie hörte die Stimmen wie durch einen Nebel, zwang sich, die Lippen zu einem Lächeln zu heben, wie es sich für die Tochter des Hauses gehörte. In ihrer Brust erstarrte jede Hoffnung.
Als das Gespräch verebbte, kullerte eine einzige Träne über ihre Wange, so leise und unscheinbar, dass sie fast niemand bemerkte – und doch verriet sie mehr über Luises Herz als tausend Worte.

