Veröffentlicht: 14.10.2025. Rubrik: Historisches
Der Ball
Schon bevor ich das herrschaftliche Haus betrat, lag jene freudige Beklommenheit in meiner Brust, die nur der Vorabend eines Balls zu entfachen vermag. Welch Mühe war es, in mein seidenes, elfenhaft leichtes Kleid zu schlüpfen und das Korsett zu schnüren, enger als je zuvor! Alles zu Ehren des heutigen Abends, alles für jenen einen Blick auf mich – den Blick meines geliebten Schatzes.
Oben auf der prachtvollen Marmortreppe stehend, eröffnete sich mir der Ballsaal in majestätischer Schönheit. Licht glitzerte in den Kronleuchtern, und das Treiben der Gäste erreichte mein Herz wie eine ferne Symphonie. Von diesem erhöhten Punkt blickte ich voller Sehnsucht und Erwartung hinab – der Beginn eines ganz besonderen Abends.
Ich spürte den Druck des Korsetts, das meine Taille noch zierlicher erscheinen ließ, als es vielleicht notwendig gewesen wäre. Doch heute, so schwor ich es mir vor dem Spiegel, wollte ich der Inbegriff des Schönheitsideals sein – wollte glänzen, so wie es die Mode von uns fordert, wie es die Gemälde in den Journals verheißungsvoll zeigen.
Langsam, jeden Schritt abwägend, setzte ich zur ersten Stufe an, als wäre ich selbst eine Erscheinung aus einem Märchen. Jede Bewegung einstudiert, jede Geste durchtränkt von Anmut. Doch das Korsett – es schnürte erbarmungslos. Meine Atemzüge wurden kürzer. Dennoch lächelte ich, ein Lächeln voller Hoffnung. Das Lächeln, von dem ich wusste, dass es ihm gefallen würde.
Die Schritte verschwammen vor meinen Augen, das Licht wurde trüber, während mein Geist sich an sein Antlitz klammerte, an den Traum der Liebe. Ich zwang mich zum Weitergehen, zur Haltung, wie es sich für eine Dame meines Standes geziemt. Nur noch wenige Stufen, und doch eine Ewigkeit!
Als ich schließlich, ein letztes Mal lächelnd, am Fuße der Treppe ankam – ein Bild vollendeter Eleganz und doch innerer Erschöpfung –, flackerte das Licht in meinen Augen auf, dann wurde alles schwarz. Sanft, wie ein Rausch aus Düften und Musik, sank ich in Ohnmacht – und für mich war der Ball vorbei, ehe er richtig begonnen hatte. Doch ich wusste im Halbbewusstsein, dass mein Auftritt, so kurz er war, unvergessen bleiben würde in den Herzen jener, die mich sahen – besonders in dem meines Liebsten.
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