Veröffentlicht: 28.10.2025. Rubrik: Historisches
Das geflüsterte Versprechen Teil10
Dies ist der 10. Teil der Geschichte. Wer die ersten Teile noch nicht kennt, findet sie unter: Historisches - "Das geflüsterte Versprechen TeilX"
Kapitel 26
Der Tag verging in einem ruhigen, grauen Schleier, und es wollte einfach nicht aufhören zu regnen. Das stetige Trommeln der Tropfen gegen die Fensterscheiben schien sich mit Claras Herzschlag zu verbinden, unaufhörlich und gleichmäßig, zugleich beruhigend und doch beunruhigend. Lange saß sie am Fenster und beobachtete das Spiel der Regentropfen, die langsam an der Scheibe herunterrannen. Ihre Gedanken wirbelten durcheinander.
Sie dachte darüber nach, wie sie Johanna gegenüber auftreten sollte. Wie sie ihre Worte wählen musste, um Johanna behutsam dazu zu bewegen, für nur einen Tag die Rolle der Anstandsdame abzulegen, ohne dass diese sich verletzt oder gar verdächtigt fühlte. Dieses Gespräch erforderte zarte Vorsicht und ein großes Maß an Einfühlungsvermögen – ein Balanceakt, den Clara sich nicht leicht machte.
Doch das war nicht das einzige Anliegen, das ihr auf der Seele lag. Gleichzeitig trug sie eine ganz persönliche Bitte in sich, die sie bislang noch nicht zu äußern gewagt hatte. Ein Wunsch, der tief in ihrem Herzen schlummerte und ihr allein beim Gedanken daran die Wangen erröten ließ. Es war dieser eine Funke der Hoffnung, dieser leise Traum, der sich bisher hinter verschlossenen Türen verborgen gehalten hatte.
Clara seufzte leise. Wie sollte sie all das ansprechen, ohne Johanna zu überfordern? Die Angst vor einer möglichen Ablehnung und das Zögern, ihre Gefühle preiszugeben, lasteten schwer auf ihr.
Schließlich wurde ihr Blick klarer und sie wandte sich ihrem nächsten Schritt zu. Die alte Schneiderin musste noch eingeweiht werden. Clara hoffte inständig, dass der Regen bald pausieren würde, damit sie rasch zu der alten Frau gehen konnte. Denn ohne deren Unterstützung würde ihr Plan keinen Bestand haben.
Die Stunden zogen sich, doch als der späte Nachmittag kam, zeigte sich endlich eine Regenpause. Clara nutzte den Moment, schlüpfte in ihren Mantel und trat hinaus in die kühle Herbstluft. Der Wind brachte frische Kräuter- und Erde-Düfte mit sich – eine willkommene Abwechslung zur bedrückenden Schwere des Regens.
Mit schnellen Schritten erreichte sie das kleine Häuschen der Schneiderin. Das kurze Gespräch verlief vielversprechend: Die alte Frau zeigte Verständnis und Bereitschaft, mit Claras und Alexanders Plan mitzugehen. Ein erstes kleines Aufatmen breitete sich in Claras Brust aus.
Zurück im warmen Blumenladen setzte sie sich an ihren Tisch. Der Regen war verstummt, doch in ihrem Inneren braute sich das Gewitter der Unsicherheit zusammen. Morgen würde Johanna kommen – und Clara musste bereit sein. Sie fühlte sich hin- und hergerissen zwischen der Sorge um Johanna und dem Wunsch, ihre eigene Bitte anzugehen. Wie sollte sie beide Themen in Einklang bringen? Was würde Johanna sagen? Hätte sie Verständnis?
Noch wusste Clara keine Antwort. Doch für heute durfte sie die Unsicherheit beiseiteschieben. Morgen war ein neuer Tag, mit einer neuen Gelegenheit.
Kapitel 27
Das Wetter hielt sich an sein gewohntes Grau, ein fortwährendes Regen lag über den Straßen und füllte die Luft mit einem leisen, rastlosen Trommeln. Für Clara war dieser Tag wie viele vorher – nicht nur äußerlich schwer, sondern auch innerlich, denn die Unruhe in ihrem Herzen wollte nicht weichen. Sie wanderte gedanklich immer wieder zu dem Gespräch, das ihr mit Johanna bevorstand. Wie sollte sie beginnen, wie konnte sie ihr das Anliegen nahebringen, ohne sie zu verletzen oder unbeabsichtigte Fragen aufzuwerfen?
Behutsam begann Clara mit den Arbeiten im Laden. Das eintönige Licht, der feuchte Luftzug beim Öffnen der Fensterläden, der Duft von Erde und frischen Blumen – all das begleitete sie wie vertraute Melodien aus Kindertagen. Ihre Hände glitten über die gläsernen Vasen, ordneten das zarte Grün, banden kleine Sträußchen, die sie sorgfältig in die Auslage legte. Doch heute schien jedes Band schwerer, jede Bewegung unsicherer, und ihre Gedanken flirrten wie die Tropfen an den Scheiben, unruhig und nicht zu fassen.
Der Morgen verstrich langsam. Als endlich Johannas leise Schritte im Laden zu hören waren, versuchte Clara die letzten Zweifel beiseite zu schieben und sich auf das zu besinnen, was am ehrlichsten war: die Wahrheit. Sie trat zu Johanna, fast schüchtern, und sprach sie an.
„Johanna, Schwester... morgen wäre es mir lieb, wenn du nicht als Anstandsdame bei uns wärst. Alexander und ich möchten eine kleine Überraschung vorbereiten, und die alte Schneiderin wird dich für einen Tag vertreten.“
Clara hielt inne, bemerkte das leichte Erröten auf ihren Wangen und spürte zugleich einen Funken Mut. Zum ersten Mal sprach sie Johanna bewusst mit „du“ und „Schwester“ an. Vielleicht war es gerade diese vertrauliche und offene Ansprache, die Johanna überzeugte, dass Claras Wunsch aus wahrhaftiger Sorge und freundschaftlicher Verbundenheit entsprang.
Johanna stand für einen Moment still, überwältigt von der ungewohnten Offenheit, die Clara zeigte. Dieses ehrliche, vertrauensvolle Wort, das ihr wie eine Zuflucht vorkam, rührte sie tief. Sie sah Clara mit einem warmen Blick an, der mehr sagte als tausend Worte. „Ich verstehe, Clara“, flüsterte sie, „und wenn das dein Wunsch ist, dann will ich dir folgen.“
In Gedanken sann Johanna darüber nach, wie sie es am besten erledigen konnte. Ihr schien es einfacher, Alexander selbst mitzuteilen, dass sie morgen nicht als Anstandsdame zur Verfügung stehen würde. So würde alles glatt laufen, ohne Verwirrung oder Misstrauen zu wecken. Ein Gefühl der Erleichterung durchflutete sie, denn auch für sie war diese neue Nähe zu Clara eine stille Befreiung.
Aber Clara hatte noch ein Anliegen, das ihr schwer auf der Seele lag. Sie wurde rot und schämte sich fast, es offen auszusprechen. Doch Johanna, feinfühlig und aufmerksam, spürte die Zurückhaltung und drängte sie nicht. Die Minuten dehnten sich, während Clara mit sich rang, Worte suchte, die ihr Mut abverlangten.
Endlich, mit zittriger Stimme und gesenktem Blick, vertraute sie sich Johanna an. „Ich... ich liebe Alexander,“ flüsterte sie. „Und ich sehne mich nach seiner Berührung. Nach jener Berührung, die uns damals verbunden hat. Es gibt nichts, was ich mir mehr wünsche, als dass du mich bei nächster Gelegenheit kurz mit ihm allein lässt.“
Johanna blickte sie lange an, ihr warmer Blick verriet Mitgefühl und Verständnis. Doch zugleich sah sie die leise Besorgnis in Claras Augen. „Clara,“ sagte sie behutsam, „ich fürchte, eine neue Berührung könnte deine Sehnsucht nur noch steigern, dich verletzlicher machen. Bist du sicher, dass du diesem Verlangen nachgeben willst?“
Clara nickte zaghaft, nicht ohne Zweifel, doch auch mit einem Funken Hoffnung. Sie wusste, dass Johanna ihre Sorge teilte, und war dankbar für ihre Umsicht. So nahm Johanna sich einen Moment, um die Schwere dieses Wunsches zu bedenken, während die plätschernden Regentropfen weiter an die Scheiben schlugen und eine leise Melodie der Ungewissheit in den Raum webten.
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