Veröffentlicht: 19.12.2025. Rubrik: Satirisches
Heile kleine Welt
Prolog
Gregor war sechzehn.
An diesem Freitag ging er nicht zur Schule.

Er stand auf einem Platz zwischen Pappschildern und Transparenten, fror, filmte sich selbst und sprach in sein Telefon. Über Klimaziele. Über Verantwortung. Über Systeme, die man beenden müsse, wenn man die Zukunft retten wolle.
Seine Beiträge wurden geteilt. Geliked. Kommentiert.
Er wusste, wogegen er war. Das reichte.
Am Abend sprach eine Stimme zu ihm.
„Ein Wunsch. Nur einer.“
Gregor zögerte nicht. Die Bilder der letzten Tage waren noch frisch, der Auslöser klar, die Lösung scheinbar elegant.
„Ich wünsche mir“, sagte er, „dass es kein Erdöl mehr gibt.“
Ohne Erdöl
Gregor erwachte an einem klaren Wintermorgen an einem abgelegenen Ort in Deutschland. Die Welt war still. Rein. Gerettet.
Er schlug die Baumwollbettwäsche zurück, ließ die Wolldecke zu Boden gleiten und trat barfuß auf etwas Ungewohntes.
„Was ist das?“
„Pulverisierte Weidenrinde“, sagte die gute Fee.
Der Teppich fehlte.
„Und der?“
„Nylon. Erdöl.“
Gregor nickte. Anpassung war der Preis der Rettung.
Im Bad griff er nach seiner Zahnbürste – oder dem, was davon übrig war: ein Zweig, an einem Ende zerfasert.
„Deine alte Bürste war auch Nylon“, sagte die Fee, fast beiläufig.
„Wo ist das Wasser?“
„Im Kanal. Zwei Straßen weiter. Meide das mit Cholera.“
„Warum gibt es kein fließendes Wasser?“
Die gute Fee seufzte. Sie unterrichtete nebenbei Ingenieurwesen am MIT.
Sie sprach von Elastomeren, von Schmierung, von Kupfer, von Isolierungen.
Von Systemen, die nicht verschwinden, nur weil man sie moralisch verurteilt.
Gregor hörte zu. Weniger aufmerksam als sonst.
„Was gibt es zum Frühstück?“
„Eier. Freilaufend. Roh.“
Die Erklärung folgte. Pfannen. Metalle. Energie.
Feuer wäre möglich. Wenn man Opfer brachte.
Tante Tilda war tot.
Bakterielle Lungenentzündung.
„Wir haben doch Penicillin.“
„Nicht mehr.“
Isobutylacetat. Erdöl. Produktionsketten.
Die Toten häuften sich.
Die Städte wurden leiser.
Der Planet begann sich zu erholen.
Dies war nur ein Teil von Gregors Tag.
Ein Tag ohne Mikrofone.
Ein Tag ohne Reichweite.
Ein Tag, der in keiner Timeline mehr stattfand.
Nachklang
Gregor fragt sich am Abend, was passieren wird, wenn er eine Wurzelbehandlung braucht.
Und jemand beginnt zu erklären, wie Novocain synthetisiert wird.
Anmerkung
Diese Geschichte ist kein Plädoyer gegen Klimaschutz …
Basierend auf Kommentar(en) von HanaLores, hier noch ein paar weitere Anmerkungen. Während meiner Recherche für eines meiner Buchprojekte musste ich feststellen, wie stark wir von Erdöl abhängig sind. Ich habe zu diesem Zeitpunkt selber erst festgestellt, wie fatal es wäre, nie Erdöl gehabt zu haben oder es jetzt schlagartig zu verbieten. Ich bin der Meinung, dass man es in Form dieser satirischen Darstellung ausdrücken kann, wie wenig wir die Dinge hinterfragen und meist nicht wissen wie tief eine Forderung reichen würde.
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