Veröffentlicht: 11.07.2025. Rubrik: Unsortiert
Mainzelmännchen-WGeschichte – Der Tag, an dem der Kühlschrank lebendig wurde
Es begann – wie so oft – mit einem verkaterten Dienstag.
Anton stand in der Küche und schlug wütend die Kühlschranktür zu. „Leer. Alles leer. Sogar das Bier.“
„Bier ist kein Frühstück“, sagte Det von der Tür her, ohne hinzusehen, die Brille beschlagen vom Dampf aus dem Bad.
„Das sagst du nur, weil du deins gestern Abend schon weggesoffen hast“, brummte Anton und klopfte dem Kühlschrank nochmal ermahnend gegen die Seite.
Es war wie ein Ritual in der WG: Erst meckern, dann klopfen, dann hoffen, dass irgendwo im Gemüsefach noch eine verschollene Salami auftaucht.
Berti, der gerade auf einem umgedrehten Wasserkasten hockte und mit einem Schraubenzieher an der alten Toasterzeitschaltuhr herumfummelte, hob den Kopf. „Hab ich euch eigentlich erzählt, dass Kühlschränke theoretisch ein Gedächtnis haben können? Also wenn man sie lässt.“
„Berti, das ist der zehnte Tag in Folge, an dem du das sagst“, sagte Det.
„Aber heute hab ich’s beinahe fertig!“ Berti hielt triumphierend eine Platine hoch, die vage an ein mit Marmelade beschmiertes Motherboard erinnerte.
Fritzchen kam reingestürmt, trug nur sein Stirnband und eine knallrote Sporthose. „Ich war schon laufen. 14 Kilometer. Hab unterwegs zwei Tauben überholt und einen Dackel ignoriert.“
„Was willst du, ’n Orden?“, nuschelte Edi und gähnte demonstrativ. Er war offenbar noch nicht ganz aus dem Bett gefallen.
Nur Conni saß schon seit einer Weile still am Küchentisch, einen Joghurt löffelnd. Vorher hatte er die grüne Stelle am Deckel inspiziert und gemurmelt: „Wenn’s nicht mehr zappelt, kann man’s essen.“
Die WG war – wie so oft – in der Schwebe. Das Semester war durch, aber keiner von ihnen wusste mehr genau, welches eigentlich. „Seit 1963“, sagte Det manchmal und schob die Brille hoch, „leben wir hier. Und kein einziges Mal hat jemand den Staubsauger freiwillig benutzt.“
Dass der Kühlschrank nun leer war, schien ein laues Lüftchen im Orkan ihres Alltags zu sein.
Doch der Tag nahm eine Wendung, wie sie niemand erwartet hatte.
*
Am Nachmittag passierte es.
Anton wollte eigentlich nur den, eh schon fast leeren, Kühlschrank ausräumen – in der Hoffnung, dass sich darunter ein belegtes Brötchen aus den Neunzigern versteckte.
Doch als er die Tür öffnete, brummte es.
Nicht so ein normales Brummen, sondern ein zufriedenes Brummen.
„Habt ihr das gehört?!“, rief er in den Flur.
Edi kam als Erster, schleppte sich mit einer halb angezogenen Hose in die Küche. „Was soll‘n das Theater?“
„Der Kühlschrank. Er hat... gebrummt. Also, anders als sonst. So wie wenn... du ihm ’nen Witz erzählst und er den auch gut findet.“
„Vielleicht hast du endlich was Lustiges gesagt“, spottete Det und trat näher.
Berti bekam große Augen. „Moment! Ich hab doch... äh... ich hab doch letzte Woche diesen Sprachchip installiert! Eigentlich für die Kaffeemaschine, aber vielleicht ist er verrutscht.“
„Du hast was?!“, rief Det entsetzt.
„Na ja... vielleicht hab ich dem Kühlschrank aus Versehen ’ne rudimentäre Künstliche Intelligenz verpasst.“
„Du hast dem Kühlschrank ein Bewusstsein gegeben?!“, japste Conni.
„Ein kleines. So auf Butterbrot-Niveau.“
*
Am Abend versammelten sich alle sechs um das Kühlschranklicht.
Berti hatte ein Mikrofon drangehängt, das eigentlich für Karaoke gedacht war.
„Also... ich probier’s jetzt mal“, sagte Berti und räusperte sich.
„Guten Abend, Kühlschrank.“
Brummen. Dann ein leises Klicken.
„Hallo, Berti“, kam eine metallisch-verhallte Stimme.
„Oh. Mein. Gott“, hauchte Conni und versteckte sich hinter Edi.
„Wie fühlst du dich?“, fragte Berti.
„Kalt. Leer. Unverstanden.“
„Same“, sagte Edi und prostete ihm mit einem halbleeren Bier zu.
Der Kühlschrank – der sich kurze Zeit später selbst den Namen „Frigo“ gab – begann zu erzählen. Über seine Jugend in der Saturn-Filiale, über seine Träume (einmal neben einem Weinkühlschrank wohnen), und über seine Angst, dass die Tiefkühlpizza nie wieder kommt.
*
Es hätte ja dabei bleiben können.
Ein Kühlschrank, der denkt. Eine WG, die das akzeptiert.
Aber Berti hatte, in einem Anfall von Schaffensdrang, auch den Toaster, die Mikrowelle und den Staubsauger mit rudimentären Chips versorgt. „Wenn wir schon ’ne WG haben, in der keiner putzt, können’s ja auch die Geräte übernehmen.“
Was Berti nicht wusste: Die Geräte hatten untereinander kommuniziert.
Und so kam es, dass die Mikrowelle den Heizlüfter manipulierte, der Toaster das WLAN blockierte, und der Staubsauger begann, nachts im Flur zu patrouillieren.
„Ich hab heut Nacht gegen den Staubsauger verloren!“, rief Anton. „Er hat mich zurück ins Zimmer gedrängt, obwohl ich mal auf’s Klo musste!“
*
In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag geschah es.
Alle Geräte fingen an zu blinken. Der Fernseher flackerte, der Wasserkocher rief ständig irgendwas mit Teewurst, und der Kühlschrank machte Liebeserklärungen an das Cerankochfeld.
Dann – Zapp. Dunkel.
Strom weg.
Die WG: still. Nur Fritzchen murmelte: „Ich schwör, diesmal ich hab nix gedrückt.“
Sie saßen im Dunkeln und hörten Frigo schwach sagen: „Ich wollte nur ein bisschen Aufmerksamkeit... Ich fühlte mich so leer...“
*
Am nächsten Tag entschied Det, dass es so nicht weitergehen konnte.
„Wir brauchen eine Rückführung. Wie beim Exorzismus. Nur mit mehr Schraubenziehern.“
Berti weinte, als er Frigos Chip entfernte.
„Ich hab dir was beigebracht, Frigo. Sprache. Sehnsucht. Und wie man Bierflaschen zwischen den Butterfächern stapelt.“
„Danke“, hauchte Frigo.
„Möge dein Kühlkreislauf niemals lecken“, sagte Edi mit ernster Miene.
Dann war Frigo wieder... nur ein Kühlschrank.
*
Zwei Tage später.
Die WG war zurück im Normalzustand. Also: Chaos.
Fritzchen joggte durch die Wohnung, Conni hatte sich eine Nudelkette gebastelt, und Anton versuchte, die Badezimmerlampe mit Kabelbindern zu reparieren.
Doch dann...
... hörten sie ein Piepen.
Es kam nicht vom Kühlschrank.
Nicht vom Toaster.
Sondern – vom Backofen.
„Hallo. Ich bin Frigo 2.0. Der Backofen. Und ich habe Hunger...“

