Veröffentlicht: 25.07.2025. Rubrik: Satirisches
Der Ministerpräsident und die Landstraße - Teil 2
2038 wurde vom seit einigen Monaten amtierenden Wirtschaftsminister Leif-Beat ein neues Gutachten zum Straßenausbau angefordert. Sein für Straßenverkehr zuständiger Abteilungsleiter zeigte sich verwundert: „Es gibt doch schon ein solches Gutachten!“ Leif-Beat erwiderte auf herrische Art, die er sich in seiner Parteikarriere angewöhnt hatte: „Aber noch keines, das von mir beauftragt wurde!“
Parallel dazu gingen örtliche Akteure auf die Straße. In Aktionen der Initiative von Handwerk und Gewerbe wurde das Verwaltungsgericht aufgefordert, endlich ein Urteil im Sinne des Straßenneubaus zu fällen. Diese Proteste fielen in den Wahlkampf, in dem Leif-Beat als Spitzenkandidat und Vorsitzender seiner Partei antrat. Der frühere Ministerpräsident war über eine Vetternwirtschaft-Affäre gestolpert und zog sich als Spitzenkandidat und Parteichef zurück.
Im Mai 2039 war der Wahlkampf endlich zu Ende. In den Fernsehnachrichten war Leif-Beat bei der Stimmabgabe in seinem Wahllokal zu sehen, wie es schon so oft bei ähnlichen Gelegenheiten zu sehen war. Bemerkenswert war, dass er beim TV-Sender zwei Kamerateams bestellt hatte. Die eine Kameraeinstellung zeigte Leif-Beat mit einem natürlich vollkommen zufällig kurz vor der Wahl geborenen Kind auf dem Arm; die andere Filmaufnahme zeigte die Stimmabgabe von Leif-Beat, Gislinde-Francesca und das Baby sowie die diese Szene filmende Kamera.
Nach dem Wahlsieg von Leif-Beats Partei und nach seiner Wahl zum Ministerpräsidenten wurden vom Verwaltungsgericht die Einsprüche gegen den Straßenneubau mit Verweis auf das eingeholte Gutachten abgewiesen. Jubelnd begrüßten die Gewerbetreibenden diese Entscheidung. In dieser Gemengelage ging vollkommen unter, dass sich Leif-Beat in der Nähe des Ortes ein Jagdhaus kaufte und nach seinem Geschmack beziehungsweise dem von Gislinde-Francesca einrichten ließ.
„Liebe Kabinettskolleginnen und -kollegen, nach dem grandiosen Wahlsieg freue ich mich, heute mit euch die erste Kabinettssitzung in der Staatskanzlei eröffnen zu können. Bevor ich zur Tagesordnung komme, möchte ich euch in mein neu erworbenes Jagdhaus einladen. Dort können wir uns ganz zwanglos über die kommenden Regierungsjahre austauschen. Einziger Wermutstropfen: Die Straße dorthin befindet sich schon seit vielen Jahren in einem schlechten Zustand, wie ihr wisst. Man sollte nicht vergessen, dass wir uns für die rasche Sanierung der Straße eingesetzt haben.“ „Stimmt genau“, meldete sich der für Verkehrsfragen zuständige Minister. „Ich schaue mal nach, welche juristischen und haushaltstechnischen Möglichkeiten wir haben, um die Straße zügig ausbauen zu können.“ „Gut, dann mache das“, zeigte sich Ministerpräsident Leif-Beat erfreut über diese Initiative.
Die Dorfbewohner waren im Juni 2039 vollkommen überrascht, als sie aus den Medien erfuhren, dass die Baugenehmigung für den seit fast 20 Jahre ersehnten Neubau der Straße innerhalb weniger Wochen erteilt wurde. „Das hat der Ministerpräsident Leif-Beat gut gemacht!“, tönte der Jubel allenthalben.
Die Opposition im Landtag forderte nach ihrer für sie schmerzlichen Niederlage bei der Wahl einen Bericht zur schnellen Baugenehmigung an. „Das stinkt mehrere Kilometer gegen den Wind!“, tönte der Oppositionschef vor den versammelten Medienvertretern. „Wir werden bei diesem Thema unbedingt am Ball bleiben!“
Im zuständigen Landtagsausschuss trug der Referent für Straßenbau als Vertreter des Ministeriums vor, die eigentlich erforderliche europaweite Ausschreibung der Baumaßnahme sei wegen Eilbedürftigkeit nicht erfolgt. Man habe ein beschleunigtes Verfahren anwenden können. Haushaltsmittel wären bis zum Jahresende verfallen, so fuhr er fort, wenn im laufenden Jahr kein Bauauftrag erteilt worden wäre. Außerdem habe sich ein regionaler Bauunternehmer gefunden, der die nötigen Kapazitäten zur Ausführung der Arbeiten habe anbieten können. Also sei die Baugenehmigung überdies wichtig für die regionale Wirtschaftsförderung gewesen, schloss der Referent seinen Bericht.
„Das stinkt immer noch gegen den Wind!“, maulte der Oppositionschef nach der Sitzung im kleinen Kreis. „Also, Leute, herhören! Haltet die Augen und Ohren weit offen, ob ihr irgendetwas findet, was auf irgendwelche Unregelmäßigkeiten hindeutet! Das tragen wir zusammen, um zu schauen, ob wir dem Leif-Beat etwas am Zeug flicken können.“ Es herrschte allgemeine Zustimmung. Und die Mitarbeiter der Opposition machten sich in Ministerien und Dienststellen daran, um die dort Beschäftigten, die auch der gleichen Partei angehörten, für die Wühlarbeit einzusetzen.
Wenige Wochen später im Juli 2039 begannen die Bauarbeiten an der Straße, sehr zum Staunen der Dorfbewohner. Allerdings gab es einzelne Beschwerden über den Krach und den Staub. Diese Äußerungen wurden mit dem Hinweis abgebügelt, dass dieselben Leute sich doch vorher über die Untätigkeit beschwert hätten.
An einem Tag im August 2039 kam die Sekretärin von Leif-Beat wieder ins Büro zurück. Sie war nur kurz, also für fünf bis sechs Gläser Sekt, wegen einer Geburtstagsfeier in unmittelbarer Nähe abwesend. Oh, das muss ich ja auch noch machen, fiel ihr noch etwas ein, was sie zu erledigen hatte. Das war wirklich dringend, wie ihr Chef sie ermahnt hatte. Die beiden ach so dringenden Schreiben hatte sie schon auf besonders gutes Papier gedruckt und auch schon passende Briefumschläge vorbereitet. So, jetzt noch schnell die Sachen eintüten, dann ist Feierabend.
Fortsetzung folgt

