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geschrieben von Codec Diva.
Veröffentlicht: 24.09.2025. Rubrik: Persönliches


Anlassmode 2

Mama, Baby und ich versammeln uns vor dem Eingang der Polizeiwachstube Göthegasse. Ärger mit meiner kleinen Schwester Coco. Das macht mich neugierig. Gleichzeitig ist mir bang beim Gedanken, dass ein Polizist meine roten Augen bemerken könnte. Ich bin komplett stoned.

"Also", sagt Mama im abscheulichen Bürokostüm. Blaue Jacke mit Schulterpölstern; zwischen den Revers quellen Rüschen hervor, dazu ein blauer, mittellanger Rock.

Mama spricht sehr zackig mit uns. "Baby geht zuerst hinein, weil er auf männliche Polizisten den besten Eindruck macht." Mein kleiner Bruder Baby ist ein Zoll größer als ich und hat bereits zwei Pokale im Bodybuilding gewonnen. Zum Glück bin ich noch immer schneller und brutaler als er.

"Baby, Du stellst dich vor und sagst, dass du dich um Coco kümmerst", entscheidet Mama.

Baby trägt aus polizeipsychologischen Gründen Uniform. Das olivgrüne Hemd ist Teil seines Kostüms für den Armeedienst und spannt sich am Brustkorb, dass man um die Knöpfe fürchten muss. Wär doch was, wenn er in der Verhandlung mit der Polizei herausplatzt. Ich muss kichern, dann lachen. Ich bin so stoned.

"Codec!" kreischt Mama. "Reiß dich zusammen! Das hier ist überhaupt nicht witzig!"

Baby öffnet die Tür zur Konstabulei Göthegasse. Ich kenne die Konstabulei gut. Wir treten ein.

"Guten Abend", sagt Baby. "Guten Abend", piepst Mama und versucht ein freundliches Gesicht.

Ich sage nichts, sondern blicke auf meine Schwester Coco, die am anderen Ende des Hauptraums der Konstabulei sitzt. Ihr Kostüm macht mich sprachlos. Gegen die augenblickliche Coco sieht Mama aus wie Anne Wintour, die neue Äbtissin der VOGUE. Ich habe ein Abo.

Der Polizist hinter dem Schalter morst auf einer Schreibmaschine. Er ist Tippse nach dem sogenannten "Ghadaffi-Terror-Verfahren": Zwei Anschläge pro Tag und immer triffts die Falschen. Als die Glocke für das nahende Zeilenende bimmelt, unterbricht er sein Werk und blickt uns grimmig an. Dann versucht er, in der Begrüßung zu verschleiern, dass er Mundartsprecher ist. Der Schutzmann hat einen dunklen Schnurrbart und braune Augen. Etwa dreißig. Nach den KEKSEN auf den Schultern ein geringer Bezirkler. Der Geringe sieht nicht gerade so aus, als wäre er in Gefahr gewesen, die zulässige Höchstintelligenz bei der Polizei zu überschreiten.

"Mein Name ist Baby Diva", sagt Baby. "Wir wollen zu Coco Diva. Wir sind in Sorge."

Coco beginnt in ihrem Sessel zu schluchzen. Coco ist merkwürdigerweise angezogen wie ein Mädchen, allerdings gründlich misslungen. Mit zwei Jahren, bevor Coco reden konnte, war sie einige Zeit lang Nudistin, sogar im Supermarkt. Dann stellte sich heraus, dass Coco nicht prinzipiell gegen Gewand war, bloß gegen Röckchen und Kleider.

Ein dicklicher, hochgewachsener Mann erscheint aus der Tür zu einem Nebenraum und sperrt ab. Glattrasiert, ohne Mütze, angegrautes Haar, wacher Blick... Dann erkenne ich ihn. Ingenieur Geppert!

Auch Baby erblickt den Mann und strahlt ihn an: "Herr Ingenieur!"

"Da schau her", sagt Ingenieur Geppert und in seinem Gesicht geht die Sonne auf. Bis zu diesem Momment habe ich den Geppert für MEINEN Ingenieur gehalten.

Ingenieur Geppert kommt auf uns zu und streckt Baby schon von Weitem die Hand entgegen. Das kann nicht wahr sein. "Frohe Weihnachten!"

Mama blickt skeptisch-verwundert auf Baby und Geppert. Das Händeschütteln nimmt kein Ende.

"Ja, frohe Weihnachten, Herr Ingenieur", ruft Baby. "Wie ich sehe, sind Sie jetzt Major. Das ging aber schnell..."

"Naja, schnell", sagt mein Geppert. "Es sind jetzt doch schon... wie lange kennen wir uns?"

"Ihr kennt einander", piepst Mama fragend.

"Herr Major, darf ich vorstellen", sagt Baby. "Dame zuerst. Das also ist Mama, Isabella Diva."

"Guten Tag", piepst Mama und ergreift kurz seine Hand.

"Sie sind wirklich gestraft mit Ihren werten Kindern", sagt Major Geppert.

"Kein Mensch kann sich vorstellen, was diese Frau mit meinen missratenen Geschwistern durchgemacht hat", sagt Baby. Ich verkneife mir den Impuls, ihm einen Tritt zu verpassen. Da redet der richtige!

"Und das ist mein Bruder Codec."

Ich bin leicht verstimmt. "Wir kennen uns, Herr Ingenieur Geppert. Oder haben Sie mich schon vergessen?"

"Jessas!" Der Major ist entzückt wie zu Weihnachten und beeilt sich, mir die Hand herzustrecken. "Mit Ihrer modischen Frisur habe ich Sie gar nicht erkannt. Ist das eine Perücke? Sie beide sind... Brüder? Das ist die nächste Überraschung!"

"Leider", sage ich. "Frohe Weihnachten. Haben Sie Nachtschicht oder so? Wenigstens morgen und übermorgen frei?"

Mama blickt stumm zwischen Baby und mir hin und her.

"Ich bin die ganzen Feiertage über eingeteilt, allerdings nicht hier. Ich bin nur mehr selten in der Göthe, weil mein Arbeitsplatz in der Zentrale ist. Mein Vize ist im Krankenstand, aber wenigstens kann ich mich gemütlich um die Zettelwirtschaft kümmern."

"Wieviel Prozent Zulage kriegen Sie für solche Überstunden", fragt Baby.

Inzwischen beobachtet auch Coco unsere Unterhaltung. Sie trägt eine rote Lapplandmütze, die ihre schwarzen Haare vollständig verdeckt, sowie grünen oder brauenen Lidschatten. Der Rest des Makeups hat sich unter Trännen aufgelöst. Der Liebreiz ihres Gesichts wird dadurch nicht im Geringsten beeinträchtigt, weil er ohnehin vollkommen fehlt. Unter ihrem knappen Pelzjäckchen ist ein lila oder pinkes Bikini-Oberteil sichtbar. An dieser Stelle muss ich meine Untersuchung unterbrechen, weil sich meine Augen geschändet anfühlen.

"Herr Ingenieur Geppert hat mich zum ersten Mal 1978 verhaftet", klärt Baby Mama auf.

Der Mann fasst meinem Babybruder an den Bizeps. "Sind Sie beim Heer in der Nahkampfschule oder so? Prächtig, die Mucki..."

"So ähnlich. Erst Garde, jetzt Kader."

"Na also, ist doch was. Wie lange noch?"

"Ich wurde schon 1976 zum ersten Mal verhaftet", werfe ich ein. Warum sagt Mama nichts? Ist ihr Coco egal? A propos. Coco trägt für die Beine einen längeren schwarzen Tellerrock mit weißen Tupfen, an den Füßen hochhackige rote Pumps oder so etwas. Warum zieht sich Coco auf einmal an wie ein Mädchen? Wegen Oma und Opa, die für das Theater mit dem Christbaum erwartet werden?

"Fast ein Jahr. Nach den Feiertagen haben wir einen Gefechtler in den Bergen."

"Und? Freuen Sie sich schon?"

"Ich hoffe, wir haben viel Schnee. Spart Putzen. Was hat Codec angestellt, dass Sie einander kennen? Verheimlicht er mir etwas?"

"Meistens Fassadenklettern am Schloss. Einmal hätte er fast eine Ente verletzt. Wäre eh keine Absicht gewesen, mehr ein Unfall beim Dynamtifischen im Schlossteich." Dann hätte es richtig Probleme gegeben mit dem Stadtgartenamt."

"Einer Ente würde Codec nie etwas zuleide tun", sagt Baby. "Obwohl... damals waren wir noch keine Vegetarier..."

"Ich liebe Enten", sage ich. "Supersüß, besonders Erpel. Die Weibchen sind total fad. Wie im wirklichen Leben."

Schwester Coco ist eindeutig besoffen. Auch das gab es noch nie.

"Ich verdanke Ihnen mein Leben", sagt Baby.

"Ich kann mich genau erinnern." Geppert starrt sinnend in sein Gedächtnis. "Wie Sie mal fast vom Palmenhaus abgestürzt wären."

Am Palmenhaus war ich auch oft. Einmal, um am First unsere Flagge vom "Verein für städtisches Unwesen" zu hissen. Meine Freunde wurden sofort verhaftet; ich konnte entkommen.

"Können wir vielleicht einmal über meine Tochter sprechen", fragt Mama sanft. Mama ist sehr autoritätsgläubig. "Was werfen Sie ihr vor?"

"Ach, genau!" Major Geppert reißt sich aus seinen Erinnerungen und breitet einen Arm in Richtung Coco am Sessel aus. Wir gehen hin. "Jetzt ist also auch Ihre werte Tochter bei uns gelandet. Es liegt nichts vor, aber sie weigert sich zu gehen."

Als wir uns um Coco versammeln, wird sie von Mama umarmt. "Coco, was ist mit dir? Warum weinst du?"

"Wir sind kein Hotel", sagt der Major zu Baby. "Ihre Schwester will Weihnachten bei uns in der Ausnüchterungszelle verbringen. Ausnüchterungszellen haben wir schon lange nicht mehr. Macht heute alles die Psychiatrie."

"Verstehe", sagt Baby. "Wenn man sich so leicht in den Knast setzen könnte, wäre Codec jeden Tag im Gefängnis und würde den Zigarettenumsatz ankurbeln."

"Was", fragt der Major.

"Wie Sie sehen, ist er weibisch homosexuell", lacht Baby. Dieses Mal kann ich mir den Tritt nicht verkneifen.

Jetzt lacht auch der Major. "Ihr Bruder steht jetzt auf andere Raketen als damals im Schlosspark, oder wie? UND ist Nationalsozialist? Köstlich!" Geppert hat auf meinem T-Shirt das verwitterte Hakenkreuz bemerkt, das unter der offenen Motorradjacke kaum sichtbar ist. Endlich, aber es scheint mich bei diesem Polizisten nicht aufzuwerten.

Sie gackern blöde. Mein Ingenieur Geppert ist eine Riesenenttäuschung.

"Wenn Ihre Tochter nicht freiwillig geht, müssen wir die Kollegen von der Psychiatrie zu Hilfe rufen", sagt der Major.

Dann sehe ich etwas. Nicht zu fassen. Coco trägt meinen Kaschmir-Graffiti-Schal. Das ist ja wohl das letzte.

"Darf ich mal telefonieren", fragt Baby. "Ich rufe eine gemeinsame Freundin an. Vielleicht kann Coco bei ihr übernachten."

"Wenn Sie das einfädeln könnten, würde uns das eine Menge Zettelwirtschaft ersparen", strahlt der Major. "Bitte verwenden Sie diesen Apparat. Ich hoffe, es ist ein Ortsgespräch.",

Mama tritt mir zu nahe und raunt mir ins Ohr: "Liebeskummer."

Coco? Verliebt? Ich blicke auf meine Hände, in die ich "0xC0FFEE" geschrieben habe. Die Lebenslinien zeichnen sich messerscharf und in vertrauter Weise ab. Und ich kann lesen. So kann man sich angewöhnen, auf Realität oder Klartraum zu prüfen, bis man anfängt, es auch im Traum zu tun. Dann steht einem die Wunderwelt des inneren Hyperillusionskinos offen. Für den Moment ergibt das Verfahren: Kein Klartraum, sondern Realität. In Klarträumen gibt es weniger Details zu sehen und das Unterbewusstsein kann nicht lesen. Wäre auch zu schön gewesen, um wahr zu sein. Aber eine verliebte Coco ist vollkommen unplausibel.

Egal. "Hey, das ist mein Schal", plärre ich in ehrlicher Entrüstung und beginne, an einem Ende zu ziehen. Der Schal löst sich nicht, engt stattdessen Cocos Hals ein. Sie beginnt zu röcheln. Das ist MEIN Schal.

"Sofort aufhören!" Mama hält natürlich wieder zu Coco und greift ein. Ich bin das schwarze Schaf der Familie. Ich verliere trotz Marijuana die Nerven. "SPERRT SIE IN DIE KLAPSE", gröle ich.

Coco beginnt wieder zu heulen.

Baby telefoniert vermutlich mit Claudia, eines von Mamas Lehrmädchen im Büro, die auch mit Coco befreundet ist. Warum weiß er Claudias Nummer auswendig?

"Hallo Claudia, Baby hier", sagt Baby. "Du, komische Geschichte..."

Mama hockt sich vor Coco hin. "Cocolein, warum willst du nicht mit uns feiern? Ist er das wert? Was ändert das?"

"Dein Kostüm ist das Schlimmste, was ich dieses Jahr gesehen habe", berichte ich Coco. "Und ich war im Herbst auf der OFF BROADWAY." Die OFF BROADWAY-Modeschau ist ein großer Fehler gewesen. Der Name hätte mich warnen müssen.

"Okay, machen wir das so", höre ich Baby. "Dann kannst du gleich meinen neuen alten Volvo bewundern, von dem ich erzählt habe."

Er legt auf und kehrt in die Runde um Coco zurück. Mama macht wieder ihr strengstes Gesicht. "Warum weißt du Claudias Nummer auswendig, wenn ich fragen darf?"

"Leicht zu merken", sagt Baby.

Mama blickt skeptisch. "Habe ich dir nicht verboten, dir mit meinen Lehrmädchen etwas anzufangen?" Nun blickt Mama finster drein. "Was sollen denn da die Kollegen denken?"

"Claudia hat sich mit MIR etwas angefangen. Ehrlich, Mamsch."

Der Major lacht und wendet sich an Mama. "Tut es Ihnen manchmal leid, dass Sie sich vermehrt haben?"

"Manchmal ist gut", klagt Mama. "Jeden Tag."

"Ich mag Ihre Kinder", sagt der Major. "Alle hochintelligent und vollkommen ehrlich. Ihre Buben haben immer kooperiert."

"Weil ihnen jede Einsicht fehlt", ruft Mama. "Ich habe sie bis zur Erschöpfung gezüchtigt. Mit dem Handfeger, weil ich immer Alleinerzieherin war." Alleinerzieherin, weil Mama als Frau versagt hat. Papas Lieblingshürchen Yvona wurde seine zweite Frau Gemahlin.

Der Major legt Mama die Hand auf einen Schulterpolster. "Ich habe mich mehr als Sportsfreund und Erzieher gesehen. Wenn ich gewusst hätte, dass die beiden Brüder sind... Ich war als Kind auch nicht ganz normal. Wenn mir solche Hundsbuben unterkommen, glaube ich automatisch, dass sie mal Polizisten werden."

Ich finde diese Äußerung beleidigend, sage jedoch nichts.

"Coco, du pennst bei Claudia", trällert Baby. "Außer du willst nach Hause und Oma und Opa unter dem Christbaum lauschen, wenn sie vom neuen Camping-Klo erzählen."

Coco schweigt und schluckt.

"Camping-Klo oder Volvo", fragt Baby. "Ich würde dich abholen kommen. Der Volvo steht bei uns um die Ecke."

"Fahren wir zu Claudia", rotzt Coco.

Major Geppert klatscht in die Hände. "Passt! Wieder was erledigt! Frohes Fest!"

Der Rest des Heiligen Abends war langweilig, aber es gab Mamas Kressesuppe, Krabbenkipferl, Forellen mit Rosmarinkartoffeln, Babys weiße Schokoladetorte mit Marillenmarmelade und eine größere Menge Fruchteis gemischt, von mir erworben in der Innenstadt-Gelateria. Babys Prophezeihung mit dem Camping-Klo stellte sich als richtig heraus.

Ich bekam Boxershorts und Socken geschenkt, sowie einen neuen schwarzen Rollkragenpullover, natürlich nicht aus Kaschmir. Baby bekam von mir ein Luftdruckgewehr, das wir sehr bald an der Krippe mit Josef, Maria und den heiligen drei Königen ausprobierten, während Mama am Klo war.

Wie Baby erläuterte, würde sich Coco nicht besonders freuen über ihren Springer, denn an unserer Schule hatten nur Mädchen Messer gehabt. Das war mir beim Weihnachtseinkauf bewusst gewesen, aber das männlichen Gegenstück, die eisernen Nothämmer zum Scheibeneinschlagen, waren leider in jedem Autobus gratis zu stehlen, daher als Geschenk ungeeignet.

Was Cocos Darbietung anbelangt: Die kleine Schwester hatte am Nachmittag eine Verabredung zum Punschtrinken am Weihnachtsmarkt gehabt, mit ihrer Schulfreundin Julia und mit einem Türken namens Ali, laut Bericht ein sehr attraktiver Radrennfahrer. Coco hatte nichts Passendes anzuziehen und wurde von Julia beraten und mit geborgten Sachen eingekleidet. Julia, nicht Coco, verließ
mit Ali den Weihnachtsmarkt. Mama fand das überhaupt nicht witzig, aber ich. Und Oma und Opa auch. Ha, ha, ha!

"Coco hätte Ali sagen sollen, dass sie drunter Codecs Reizwäsche trägt", lachte Baby nach Mamas Bericht. Dann lachten alle.

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