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geschrieben 2025 von Matthias Stilke (CaptainX).
Veröffentlicht: 24.10.2025. Rubrik: Fantastisches


Wie zerronnen so gewonnen!

Wie zerronnen so gewonnen!

Abenteuer in Anfharwqzo


Träge tauchte das kleine Transportschiff in die düstere Atmosphäre von Rrarrghkna ein. Bevor Benjamin vor knapp einem Jahr das Kommando auf der 'Prinz Narro' übernahm, hatte er auf diesem Planeten eine Weile gelebt.
Als Kommandant von Saetskhars' Streitkräften hatte er das Privileg, den Landeanflug von der Brücke aus zu verfolgen. Das alte Schiff verhielt sich sehr unruhig in der dünnen Atmosphäre. Benjamin hielt sich am Pilotensessel fest und musste lächeln. Als er damals mit einer kleinen Imperialen Kommandogruppe hier eintraf, war der Anflug ähnlich ruppig.
Bald schon konnte er in der Ferne den großen, geschlossenen Gebäudering des Raumhafens und die umgebene Stadt sehen. Gouverneur Sator war fleißig gewesen. Auch wenn von hier oben nicht viele Details zu erkennen waren, war das Gesamtbild etwas freundlicher als damals. Der Ort hatte glücklicherweise seinen Endzeitapokalypsen-Charme verloren.
Auch der Raumhafen machte einen besseren Eindruck. Fast der gesamte Schrott auf den Landebahnen war verschwunden. Einige Schiffe standen etwas abseits in Parkposition - ein kleiner Transporter wurde sogar gerade entladen. Überall brannten Positions- und Flutlichter.

Das Schiff landete problemlos auf einer der Parkmarkierungen und Ben verabschiedete sich von dem Skipper und der auf der Brücke anwesenden Besatzung. Draußen vor der Luftschleuse stand für ihn ein kleines Fahrzeug-Shuttle bereit, das ihn zum Terminalgebäude brachte. Entgegen dessen Gewohnheit stand Sator, der Gouverneur von Rrarrghkna, sein Freund und Mentor unten am Eingang.
Ben wurde wieder sehr freundlich aufgenommen und der alte Vargr zeigte ihm stolz die Fortschritte bei der Entwicklung des Raumhafens und Stadt. Erfreut und gleichzeitig etwas enttäuscht war er über den Zustand von Rrarrghkna's Luftstreitkräften. Ben war formal noch immer Kommandant des taktischen Geschwaders. Wider erwarten hatte sein Stellvertreter und Stab während seiner Abwesenheit gute Arbeit geleistet und die Dinge sich in seinem Sinne entwickelt. Ein Eingreifen war unnötig und hätten nur Komplikationen verursacht.
Benjamin hatte das 1077.Taktische Geschwader seinerzeit ins Leben gerufen. Diese Bezeichnung war etwas großspurig, handelte es sich um ein Dutzend Tragflächenflugzeuge mit keinerlei militärischen Wert, außer dass diese Fahrzeuge größere Mengen an Ladung schnell und zuverlässig von A nach B transportieren konnten. In dieser Funktion hatten sich die Staffeln bewährt und maßgeblich zur positiven Entwicklung des Planeten beigetragen.

Benjamin zog sich später in sein kleines Anwesen am Stadtrand zurück, dass immer noch genauso da lag wie damals, als er es verlassen hatte - ein vargr-typisches Haus mit vielen gleichgroßen Räumen, dass ihm eigentlich viel zu viel Platz bot. Einst muss hier mal ein wohlhabender Geschäftsmann mit seinem Rudel gewohnt haben. Als er damals einzog, waren ganze Räume mit Papierakten und Dokumentationen vollgestopft. Schlaf- und Wohnbereiche deuteten auf ein Rudel mit 30 bis 40 Individuen an. Wann das Anwesen final aufgegeben wurde, wusste Ben nicht. Gründe gab es in Rrarrghkna's Vergangenheit viele - vor allem durch Kriegsauswirkungen, aber die letzten Kampfhandlungen waren schon lange her.
Auch die Nachbarschaft hatte sich geändert. Früher trieben sich hier einige finstere Gesellen herum - Kriminelle und Ausgestoßene, vor denen man lieber einen großen Bogen machte. Mit Freude stellte Ben fest, dass er jetzt über eine feste Nachbarschaft verfügte - vielköpfige Familienrudel, die ihr Einkommen im Sammeln von Rohstoffen gefunden hatten. Geschäfte dieser Art liefen ganz gut, nachdem Rrarrghkna zur Provinz erhoben und nun von Saetskhars aus finanziell und materiell unterstützt wurde.

Viel zu tun hatte er nicht. Das war aber auch in Ordnung so, wollte er sich doch körperlich von seinen Verletzungen erholen, die er auf Berentin erlitten hatte und in der Folgezeit nicht wirklich auskurieren konnte. Außerdem wollte er seinen Kopf klar bekommen und sich Gedanken über seine Zukunft machen. Natürlich: Kommandant des Flaggschiffs von Saetskhars' Raumflotte zu sein war schon toll. Generaladmiral hatte ihn mit Rang und Ehren überschüttet. Eigentlich konnte er sich nicht beschweren. Allerdings hatte er damals die Imperiale Navy verlassen, um sein eigener Herr zu sein und sich nicht mehr irgendwelchen Institutionen zu unterwerfen. Aus diesem Grund war er jahrelang mit Thora auf der 'Tiefenraum' im freien Kurierdienst unterwegs gewesen. Leider hatte er nun nur wenige Optionen, als er aus einer Bauchentscheidung heraus, nach seiner Reaktivierung desertierte und in Abwesenheit zu einer langjährigen Gefängnisstrafe verurteilt wurde. Der Kommandantenjob bei den Vargr war interessant und vielseitig. Seine Missionen waren aber darauf ausgelegt, Macht zu demonstrieren und - wenn notwendig - auch anzuwenden, aus hochpolitischen Gründen. Und das lag Ben nun gar nicht.
So gammelte er einige Wochen vor sich hin, besuchte ab und zu den Stützpunkt und machte sein Heim wohnlich.

Eines morgens wurde er von seinem Kommunikator geweckt. Es war eine Sprachnotiz von seinen alten Mentor Gouverneur Sator: »Guten Morgen, Kommandant. Wir haben hohen Besuch erhalten und ich bitte sie zu mir.«
Das war Sator! Höflich, kurz und schlicht! Ben zog sich an und schwang sich auf seinen kleinen Dreiachser, ein petrochemisch angetriebenes Gefährt, dass Sator ihn für seinen Aufenthalt auf Rrarrghkna überlassen hatte. Das Ding war laut, schwer zu steuern und unkomfortabel wie ein Betonpfeiler - aber es machte einen Riesenspaß, durch die schmalen Straßen zu brettern und den unzähligen Fahrzeugwracks auszuweichen.
Auf den Weg zum Raumhafen musste er feststellen, dass irgendjemand bereits fleißig dabei war, die Straßen zu räumen, um die Infrastruktur für zukünftige Aufgaben vorzubereiten - eine Arbeit, mit der er letztes Jahr bereits angefangen hatte.
Am Raumhafen angekommen, durchquerte er gleich die große Empfangshalle und fuhr mit einem uralten und lautstarken Lastenaufzug zu der Aussichtslounge hoch, wo Sator seine Gäste zu empfangen pflegte.
Sein Mentor und ein Besucher saßen auf schlichten Plastiksesseln an einem kleinen Tisch. Als Ben eintrat, stand sein Gegenüber auf und zog seine faltigen Lefzen hoch. Es war Koenggkfuzengh, Vizekanzler von Saetskhars und ein enger Freund von ihm. »Benjamin. Ich grüße sie.«, sagte der alte Vargr gelöst.
»Schön sie zu sehen, Vizekanzler.«, antwortete er korrekt. Im Hintergrund sah er die beiden Leibwächter des Vargr. Mit ihren schwarzen Anzügen und Sonnenbrillen zeichneten sie sich kaum vom schummrigen Hintergrund der Lounge ab, aber Ben nahm an, dass sie auch heute wieder mit Umgebungssensoren und Waffen ausgerüstet waren. Er hob lächelnd seine Hand zum Gruß - wie erwartet reagierten die Beiden nicht.
»Was führt sie hierher, Vizekanzler. Ich dachte, nach dem diplomatischen Desaster auf Berentin hätten sie dort nun alle Pfoten voll zu tun?«
»Die diplomatischen Prozesse liegen immer noch auf Eis. Das Imperium bemüht sich redlich um Aufklärung - bis jetzt aber ohne Erfolg.«, sagte der Vargr und fügte hinzu: »Ich denke aber, dass es sich niemals wirklich aufklären lässt.«
Benjamin nickte. Er musste ihm recht geben. Der Anschlag war zu gut organisiert und durchgeführt worden. Die wenigen Spuren führten in alle Richtungen und doch nirgendwo hin.
»Da werden sie wohl recht haben.«, meinte Benjamin: »Also hat Generaladmiral sie mit einer anderen Mission betraut?«
Er hatte sich gewünscht, den alten Vargr mal zu einem weniger offiziellen Anlass zu sehen - dass Generaladmiral seinen Berater mal wenigstens eine Zeit lang etwas Ruhe gönnen würde. Vizekanzler war schon alt, als sie sich damals auf Jelohm kennen lernten. Heute waren seine Ohren und Lefzen noch länger, das Fell grauer und der Rücken gebeugter. Seine Augen waren aber immer noch klar und sprühten vor Intelligenz, Scharfsinn und Witz.
»Ja, Ben. Ich bin auf der Durchreise nach Athdong. Nach Generaladmiral's außenpolitischen Erfolgen widmet er sich jetzt handelspolitischen Aufgaben. Die positiven Entwicklungen hier auf Rrarrghkna erschließen uns neue Möglichkeiten kern- und rückwärts.
Das sah Ben auch so, nur dass er den Begriff 'außenpolitisch' eher mit Verhandlungen verband, als mit Durchsetzung militärischer Mittel. Generaladmiral hatte bestimmt kein Interesse an einen Krieg mit dem Imperium, wohl aber an einer gewaltsamen Annektion mehrerer neutraler Nachbarsysteme.
»Dann wünsche ich ihnen dabei viel Erfolg, Vizekanzler.«, sagte Benjamin höflich.
Einer der Leibwächter griff sich ans Ohr und flüsterte den alten Vargr etwas zu. Seine Lefzen zuckten.
»Leider stehe ich unter Zeitdruck, Ben.«, sagte Vizekanzler enttäuscht: »Der Tankvorgang meines Schiffes ist beendet und ich muss leider sofort wieder los.«
Ben war wirklich froh darüber, den alten Vargr wieder zu sehen und Vizekanzler schien es ebenso zu gehen. Allerdings hatte er auch den Verdacht, dass sein alter Freund für diesen kleinen Abstecher nach Rrarrghkna noch einen weiteren Grund hatte. Er wurde nicht enttäuscht.
Der Vargr zog aus einer Tasche einen Datenwafer hervor - einen transparenten Datenspeicher in Größe einer ID-Karte. Er warf diesen lässig Benjamin zu: »Und Ben! Das könnte sie interessieren.«

Ben begleitete Vizekanzler und seine beiden Leibwächter zu dem kleinen Kurierschiff. Sie verabschiedeten sich und der Vargr meinte, dass sie auf seinem Rückweg in acht Wochen vielleicht etwas mehr Zeit zum Reden hätten. Ben begrüßte das. Die meisten Vargr waren prima Kerle, die kulturellen Unterschiede zu den Menschen jedoch recht groß, dass ein engeres Zusammenleben mit diesem Volk anstrengend sein konnte - jedenfalls ging es Ben so. Vizekanzler war da anders, was vermutlich an seiner langjährigen Tätigkeit im diplomatischen Dienst von Saetskhars' Vertretung auf Harula lag.
Als das kleine Kurierschiff in den dunstigen Wolken verschwand, zog Ben den Datenwafer hervor und betrachtete ihn von allen Seiten, so als ob er dadurch den Inhalt erkennen konnte. Glücklicherweise hatte er ein kleines Lesepanel dabei. Noch auf dem Landefeld schob er den Wafer in den Eingabeslot. Das Gerät erkannte das Datenformat und zeigte den Inhalt an. Es waren unzählige Akten, Berichte, Grafiken. Ganz oben lag eine Liste, bei der eine Zeile besonders fett markiert war. Ben las es, schluckte und las es dann erneut. Kein Zweifel! Manchmal holen einem die alten Geister wieder ein!

Er ging sofort wieder zurück in die Aussichtslounge, wo Sator immer noch auf seinem Plastiksitz saß und anscheinend meditierte.
»Sator? Darf ich kurz stören?«, fragte Benjamin leise.
Ohne die Augen zu öffnen, antwortete Gouverneur: »Aber natürlich, Junge.«
»Ich muss so schnell wie möglich nach Garrghkha.«
Jetzt öffnete der alte Vargr die Augen und sah Benjamin durchdringend an: »Nach Garrghkha? Der nächste Regelflug geht morgen.«
»Ich weiß, Sator.«, sagte Ben: »Aber der Flug geht über Saetskhars und da würde ich im Moment lieber einen Bogen machen.«
Sator's Augen wurden zu Schlitzen. »Geheimnisse hinter dem Rücken des Rudels?« fragte er spitz.
»Eigentlich nicht.«, antwortete Ben aufrichtig: »Das ist eine private Angelegenheit und es hat nichts mit dem Rudel zu tun.«
»Das ist sehr selbstsüchtig von dir.«, sagte Sator barsch: »Alles was du tust oder nicht tust, fällt auf das Rudel zurück.«
Als Mensch sah Benjamin es nicht so, aber es hatte überhaupt keinen Sinn, mit Sator darüber zu diskutieren.
Ben schwieg. Er wusste, dass Gouverneur ein Psi-Meister und Telepath war. Auch wenn es in seiner Schule ein ehernes Gesetz gab, den Geist anderer nur mit dessen Zustimmung zu erkunden, war er sich nicht sicher, ob die Versuchung nicht auch für disziplinierte Begabte manchmal zu groß sein könnte.
Sator schien auch so seine Gedanken gelesen zu haben. Er zog amüsiert die Lefzen hoch und sagte: »Auch ohne Psionik kann ich in deinem Gesicht lesen, wie in einem Panel. Nach einen Besuch von Vizekanzler trittst du mit einer solch ungewöhnlichen Bitte an mich heran. Zweifellos ein großes und wichtiges Anliegen auf einen Planeten des Gegners. Es ehrt dich, dass du mich da nicht mit hineinziehen willst.«
Er dachte kurz nach: »In fünfzehn Tagen erwarte ich ein Schiff meines Verbündeten. Ich glaube, ich kann ihn überreden, einen kleinen Abstecher nach Garrghkha zu machen.« Garrghkha liegt vier Parsecs von Rrarrghkna entfernt. Vermutlich handelte es sich um ein Militärschiff, denn diese haben hier in der Region die größten Antriebsleistungen. Sator sprach von 'seinem Verbündeten' - er konnte also nicht Saetskhars reguläre Flotte meinen und das wiederum bedeutete, dass es sich um einen paramilitärischen Freibeuter oder gar Korsaren handeln musste.
»Ich werde alles veranlassen.«, sagte der alte Vargr. Er stand etwas unbeholfen auf seinem klobigen Exoskelett, dass seine verkümmerten Beine unterstützte, auf. Gestützt auf Krücken zog er sich zurück.
Als Sator gegangen war, stand Benjamin noch eine Weile vor dem großen Panoramafenster und blickte hinunter auf das Landefeld. Dann aktivierte er erneut das Panel. Auf der obersten Seite war auf einer Liste ein Name fett markiert: Scott Menkaure!

Ben war mit Scott und Thora jahrelang im Expresskurierdienst unterwegs. Auf ihrer letzten gemeinsamen Reise hatten sie auf einem Vargr-Schiff angeheuert. Als ihre Mission immer schwieriger wurde, wollte Scott das Schiff übernehmen und Teile der Besatzung (einschließlich Ben) auf einem einsamen Planeten zurücklassen. Nach einem kurzen Kampf hatte sich das Kriegsglück gewendet und nun wurde Scott selber dort seinem Schicksal überlassen. Irgendwie konnte er fliehen und Thora's Schiff, die 'Tiefenraum', hier auf Rrarrghkna kapern, nachdem er Ben angeschossen hatte. Seitdem hatte er nichts mehr von ihm gehört - bis heute!
Ben durchstöberte die Dokumente. Alle bezogen sich auf ein Strafgefängnis auf Garrghkha - Grundriss, Personallisten, Tagesreports, Listen der Insassen. Sogar eine Satellitenkarte des Standorts in der Metropole war dabei. Und alles auf anglik! Er wusste nicht, dass Saetskhars über einen so effizienten Geheimdienst verfügte. Vizekanzler hatte vermutlich beim Zugriff auf diese Daten, den ihm bekannten Namen gefunden, das Material übersetzt und Ben zugespielt. Der Vargr wusste vom Verlust der 'Tiefenraum' und Thora's vergeblichen Bemühungen, das Schiff aufzuspüren.
Benjamin sah sich das Dokument mit Scott's Namen genauer an. Es war eine Zellenauflistung. In seiner Zeile stand:

Zelle 37 - Insasse 45288 - Bezeichnung Scott Menkaure - Besondere Kennzeichen: Mensch, männlich, keine Gesichtsbehaarung, Eingang: 162-1107

Scott hat sich also auf Garrghkha eines Verbrechens schuldig gemacht. Was genau und für wie lange er da eingesperrt wurde, stand da nicht.
Die 'Tiefenraum' war nicht wieder aufgetaucht. Als Kommandant von Saetskhars' Raumflotte hätte Ben davon bestimmt erfahren. Somit war Scott der einzige, der über das Schicksal des Schiffes etwas wissen konnte. Ihm war klar, er musste umgehend nach Garrghkha, um der Spur nachzugehen. Er schickte mit dem Schiff, dass morgen nach Saetskhars flog, Thora eine verschlüsselte Nachricht, ihn in drei Wochen auf Garrghkha zu treffen.

Der Kapitän des Korsarschiffs 'Reißzahn' - ein alter Vargr mit vielen Tätowierungen, die auf eine bewegte Vergangenheit hindeuteten - war nicht sonderlich glücklich über seinen menschlichen Passagier. Er riet Ben ... nein, er befahl ihm, während des Fluges in seiner Kabine zu bleiben. Der Kapitän kannte Benjamin und seinen Ruf als Kommandant der 'Prinz Narro' bei den Korsaren. An Bord waren bestimmt einige Heißsporne, die ihn zu einem rituellen Zweikampf herausfordern würden. Ben glaubte jedoch, dass ihm der Vargr nur ein Schauermärchen aufgetischt hatte, um ihn von seiner Brücke fern zuhalten. Aber wozu ein Risiko eingehen? Irgendwie freute er sich schon auf die einwöchige Auszeit im Hyperraum, wo er endlich mal wieder zum Lesen kam.

Der Flug verlief ereignislos. Am liebsten hätte er den Landeanflug auf den Planeten auf der Brücke mitverfolgt, aber er glaubte nicht, dass Kapitän seine Meinung geändert hatte. Somit blieb ihm nur der Blick durch das kleine Bullauge seiner Kabine übrig, aber viel war nicht zu erkennen.
Nach der Landung erschien der alte Kapitän und deutete Ben, ihm zu folgen. Über einige Gänge, Niedergänge und zwei Fahrstühlen erreichten sie die Luftschleuse. Ben war noch nie auf einem Korsarschiff gewesen. Schon bei der Einschiffung vor einer Woche hatte er sich über die verwinkelten Deckverbindungen und langen Wegen auf diesem relativ kleinen Schiff gewundert. Er führte es auf die ständigen Umbauten für den eigentlichen Zwecks des Schiffes zurück - der Piraterie!
Ben zog eine Filtermaske über Mund und Nase. Die ungehemmte Industrialisierung der letzten Jahrhunderte hatte die dichte Luft, gerade hier in den dicht-urbanisierten Metropolen, stark kontaminiert. Trotz der vielen Atemwegserkrankungen hat sich das Gros der Bevölkerung an diese Luftverschmutzung gewöhnt. Außenweltlern wurde aber dringend das Tragen von Filtermasken empfohlen.
Der Kapitän verabschiedete sich von Ben, in dem er sich nach Korsarenart formvollendet mit der Faust auf die Brust schlug und die Schleusenblende hinter ihm schloss.
Benjamin war nicht weit vom Terminalgebäude entfernt. Er folgte einer Markierung auf dem Landefeld zu der Halle. Viel war nicht los. Zur Zeit lag hier nur das Korsarschiff, mit dem Ben angekommen war.
Auch das einfache Terminalgebäude berstete nicht gerade von Betriebsamkeit. Ein paar Soldaten drückten sich in einer Ecke herum und sahen ihn neugierig an; auf den vielen Plastiksitzen saßen ein paar Vargr und dösten vor sich hin - anscheinend warteten sie auf ihre Passage. Auch in Uniform wäre es unwahrscheinlich gewesen, dass jemand ihn erkannt hätte und zivil war er als Mensch nur ein Kuriosum unter Milliarden Vargr.
Der hintere Teil der Halle war etwas erhöht und beherbergte einen Bereich, den man auf Imperialen Raumhäfen eine Cafeteria genannt hätte - einige Getränke- und Imbissautomaten in einer Wolke von einfachen Sitzgelegenheiten. Erfreut sah er, dass im Zentrum dieses Arrangements Thora in Gesellschaft eines Vargr an einem Tisch saß. Sie hatte sich anscheinend gleich nach Erhalt seiner Botschaft auf den Weg gemacht. In ihrer Begleitung erkannte Ben Tzzerz, den Anführer der Marinekontingents an Bord der 'Prinz Narro'. Er hatte sich in der Vergangenheit schon mehrmals als guter und zuverlässiger Vargr gezeigt.
Ben ging auf die Cafeteriaebene und passierte gerade die Automaten, als Thora ihn wahrnahm.
Sie rief ihm zu: »Hallo, Ben. Nimm dir einen Kaffee. Ohne den, darfst du nicht hier sitzen. Aber trinke ihn nicht. Der ist schlimmer als er aussieht.«
Ben lachte auf und drückte ein Creditstück in das Gerät. Wenige Sekunden später präsentierte der Automat im Auswurfschacht einen Pappbecher mit einem lauwarmen und pechschwarzen Gebräu, das nun überhaupt nicht nach Kaffee aussah oder gar roch. Er nahm den Becher und setzte sich an Thora's Tisch.
»Hallo, Thora. Hallo Tzzerz.«, sagte er lächelnd. Tzzerz sagte, seiner Art nach, nichts. Auf Ben's fragenden Gesichtsausdruck sagte sie: »Ich bat Tzzerz, mich zu begleiten. So viel Glück wie beim letzten Mal werden wir wohl nicht haben.« Sie spielte auf ihren ersten Besuch auf diesen Planeten vor einigen Jahren an. Damals hatten sie dem Militär geholfen, mit einem Kampfroboter fertig zu werden. Sie hatten einen Offizier zugewiesen bekommen, der sehr gut anglik sprach.
»Stimmt.«, räumte Ben ein und setzte sich: »Daran hatte ich gar nicht gedacht.«

Sie redeten noch über das eine und andere, bis Thora auf ihre Uhr sah.
»Es ist Neun Uhr, Ben. Wenn wir ein Visum für die Metropole haben wollen, sollten wir jetzt in die Immigrationslounge gehen.« Diese Lounge war ein eingegrenzter Bereich des Terminals, wo Einreisen beantragt werden konnten und mussten.
Ben, Thora und Tzzerz mussten dort nicht lange warten. Nach einigen Minuten erschien ein Soldat - dem Emblem auf seiner Brust nach ein Lieutenant. Vargr waren eher etwas kleiner als Menschen. Selbst Tzzerz, der als groß galt, überragte Ben nur unwesentlich. Dieser Offizier konnte aber auf ihn hinabblicken. Er hatte einen riesigen Schädel mit zentimeterlangen Hauern und war gebaut wie ein Werkzeugschrank. Seine braune Uniform war ein wenig zu kurz und mit der hohen, obligatorischen Kopfbedeckung sah er etwas lächerlich aus. Allerdings - jemand mit einer so eindrucksvollen Figur musste diesbezüglich keine Kritik befürchten. Immerhin war er durch seine Uniformfarbe als Angehöriger der Militärischen Führungseinheit zu erkennen und gehörte dadurch nicht zum regulärem Militär, dass sich oft träge und einfallslos verhielt. Mit diesem Vargr konnten sie arbeiten.
So brüllte der Offizier auch gleich los. Vermutlich war es sein üblicher Konversationston, aber für Menschen hörte es sich an, als ob er sie, ihre Eltern und Geschwister bis ins siebte Glied mit üblen Flüchen belegte. Er spuckte bei jeder Silbe, die mit 'K' und 'R' (und davon gab es in vargr viele) anfing, aber auch über diese Unsitte (wie bei den Menschen galt es auch bei den Vargr als widerlich) war er erhaben.
Tzzerz übersetzte: »Das ist Lieutenant Zathu von der Militärischen Führungseinheit. Sie fragt, was wir wollen.«
»Ich grüße sie, Lieutenant. Wir haben erfahren, dass hier im örtlichen Gefängnis ein Mensch einsitzt.« Während er das sagte, fiel ihm siedend heiß ein, dass er das Gespräch falsch begonnen hatte. Garrghkha hatte einen hohen Justizgrad und alle Institutionen waren auf Geheimhaltung ausgelegt, die schon an Paranoia grenzte. Ein Außenweltler konnte eigentlich über derlei Informationen nicht verfügen. Prompt grölte sie los - Ben meinte Misstrauen in ihrer Artikulation zu erkennen.
Tzzerz: »Davon können sie unmöglich wissen. Von woher haben sie diese Information?«
Es stand auf Messer's Schneide. Ben konnte der Offizieren schlecht die Wahrheit sagen, dass Vizekanzler über ganze Ordner über Garrghkha's Militärinterna verfügte. Eine Notlüge musste her.
»Ich habe vor einigen Monaten mit einen Vargr-Händler auf Ekzeptor gesprochen. Er sagte mir, dass hier ein Mensch im Gefängnis sitzt, der einem Bruder von mir sehr ähnlich sieht.«
Nachdem Tzzerz übersetzt hatte, sah Zathu nicht überzeugt aus. Ben beschloss gleich nachzulegen, bevor sie sich positionieren konnte: »Er ist bereits vor Jahren verschwunden und wenn es eine geringe Chance gibt, sein Schicksal zu klären, würde ich diese nutzen - meinen Eltern zuliebe.«
Thora rollte mit den Augen. Ben hoffte, dass die Vargr diese Geste nicht geläufig war. Er hatte der Offizierin die Hucke voll gelogen - wie es so schön hieß. Aber für Vargr waren Familie bzw. Rudel sehr wichtig und indem er diese Karte ausspielte, stiegen seine Chancen - auch bei dieser harten Soldatin.
Ben konnte an ihrer Mimik nicht erkennen, was sie dachte. Als sie los brüllte, dachte Benjamin bereits, dass das Spiel verloren war. Tzzerz übersetzte aber: »Ich stimme ihrem Anliegen zu. Ich werde sie zu dem Gefängnis bringen und alles in die Wege leiten. Ob der Händler jedoch recht hatte, werden wir erst dort erfahren. Sie müssen eine Gebühr in Höhe von 100 Imperiale Credits entrichten.« Das war zu erwarten. Wie auf vielen autoritär regierten Welten grassiert auch hier die Korruption. Es galt die Viererregel, nach der die Gebühr vervierfacht werden musste - ein Viertel an den Offizier, seinen Vorgesetzten, die betroffene Behörde und die eigentliche Gebühr an die Verwaltung. Das war üblich, aber auch ärgerlich - jedoch die einzige Möglichkeit, überhaupt etwas zu erreichen.
Ben schob der Offizierin acht 50-Credit-Barnoten rüber. Sorgfältig zählte sie nach und prüfte die Scheine auf Echtheit. Sie zog drei Blanko-Passierscheine aus der Tasche, füllte diese mit den Namen und ID's der Menschen und des Vargr aus und verteilte sie. Dann stand sie auf und deutete ihnen, ihr zu folgen.
Sie führte sie durch die Halle an den Wachsoldaten und einer Sicherheitsschleuse vorbei aus dem Gebäude hinaus. Draußen herrschte geschäftiges Treiben, die Straßen waren voller Vargr, die kreuz und quer durch die Straßen latschten. Neugierig wurden Thora und Ben beäugt - obwohl Garrghkha gute Handelsbeziehungen zum Imperium unterhielt, waren Menschen hier auf der Straße immer noch ein seltener Anblick.
Ihr Dampfradler stand nicht weit entfernt. Als sie näher kamen, startete ihr Pilot lautstark den Motor. Ben und Thora kannten diese Fahrzeuge von ihrem letzten Besuch von vor ein paar Jahren. Sie kletterten auf die offene Ladefläche, die Offizierin zu dem Piloten ins Cockpit.
Die Fahrt dauerte mehrere Stunden. Sie kamen zwischen den unzähligen Vargr auf den schmalen Straßen zwischen vielstöckigen Häusern trotz aggressiver Fahrweise des Piloten nur langsam voran.

Am Ende einer besonders engen Straße erschien vor ihnen ein großes Gebäude. Die meisten Häuser auf Garrghkha sind mit dreißig oder vierzig Jahren jüngeren Datums und es wurden in der Vergangenheit häufig um- und angebaut, so dass die Grundstrukturen kaum noch zu erkennen waren. Dieses Gebäude war über einhundert Jahre alt. Damals baute man hier noch mit anderen, schwereren Materialien, was nachträgliche Veränderung sehr aufwendig machte. Es glich mehr einem wuchtigen und vielstöckigen Betonbunker ohne Anbauten, umgeben von einer schmalen Straße. Und der Bunker war schmutzig-orange - daher auch sein Name 'Orange One'. Die Fenster der unteren Etagen wurden einst grob zugemauert, die oberen zu schmalen Schlitzen verengt. Auf eine Bemalung in der Außenfarbe wurde verzichtet, was dem einheitlichen Erscheinungsbild recht abträglich war.
Der Dampfradler hielt vor einem groben Metalltor. An den Wänden lungerte ein halbes Dutzend Soldaten herum, die das Fahrzeug misstrauisch beobachteten und nur langsam Haltung annahmen. Erst als Offizierin ausstieg bewegten sie sich schneller. Einen der Soldaten, einem Sergeant und vermutlich der Wachhabende, blaffte sie an. Er ließ umgehend das Metalltor öffnen und Pilot steuerte das monströse Gefährt passgenau in die dunkle Öffnung. Sie fanden sich im Dämmerlicht einiger Glühbirnen in einer verrußten kleinen Halle wieder. Der Sergeant war mit hineingekommen und führte Offizierin und die drei Außenweltler durch einige schmale Gänge und Treppenfluchten hinauf in einen kleinen Raum mit einigen Plastikhockern. Tzzerz übersetzte noch ein »Warten sie hier.«, bevor Offizierin mit dem Sergeant durch eine andere Tür verschwand.
Sie setzten sich auf die klapprigen Sitzgelegenheiten und sahen sich um. Nackte Betonwände, ein vergammelter Holzboden, sechs schmuddelige Hocker und zwei schwere Metalltüren. Eine Glühbirne hing einsam in der Mitte des Raumes an einer Stromleitung von der Decke hinunter. Ben fragte sich, wie die Gefängniszellen wohl aussehen werden, wenn schon der Warteraum das Ambiente eines Kerkers hatte.
Nach einigen Minuten erschien Offizierin mit zwei Soldaten. Sie wies die drei Besucher an, ihr zu folgen. Weiter ging es einige Treppenhäuser aufwärts. Gänge und Räume deuteten auf den Grundriss eines ehemaligen Wohnhauses. Hier und da waren Türen zugemauert und Wände durchbrochen, um das Gebäude für seine derzeitige Nutzung geeignet zu machen.
Der Weg endete in einen kleinen Raum. Erst als der 'Raum' sich unter lautem Getöse aufwärts bewegte, erkannte Benjamin, dass es sich um einen Fahrstuhl handelte.

Nach zwei Minuten langsamer Fahrt durchbrach die Fahrkabine die Decke des Gebäudes und diese wurde nun zum Boden. Sie standen auf dem fußballfeldgroßen Dach. Der Ausblick von diesem sechsstöckigen Haus über die Metropole war sicherlich beeindruckend, wurde aber von einer drei Meter hohen, von Stacheldraht gekrönten Mauer blockiert, die das Dach komplett einschloss.
Die Vargr führten die drei Besucher zur Mitte der Fläche, wo ihnen drei einfache Plastikhocker eine Sitzgelegenheit bot. Die beiden Soldaten flankierten die Sitzenden. Ihre riesige Offizierin stellte sich etwas abseits, um das Arrangement komplett überblicken zu können.
Ein Motor brummte. Auf der anderen Seite des Dachs tauchte eine weitere Fahrkabine aus dem Boden auf. Zwischen zwei Vargr-Soldaten stand ein etwas verwahrloster Mensch. Thora und Ben waren einige Jahre mit Scott unterwegs und konnten ihn schon auf dieser Distanz an Körperhaltung und Proportionen erkennen. Er trug immer noch seine, jetzt ziemlich zerschlissene grüne Bordkombi des IISS. Die Haare lang, das Gesicht verhärmt. Durch den Sieben-Tage-Bart wirkte er älter, als er war. Nur sein widerliches, arrogantes Grinsen war immer noch so wie damals.
Die Soldaten führten ihn zu den Plastikhocker, der einige Meter vor ihnen stand. Scott setzte sich schwer und lächelte die Drei überheblich an. Einige Sekunden sagte niemand etwas, dann brach Scott das Schweigen.
»Thora. Ben. Wer ist denn der da?« Er nickte in Richtung Tzzerz.
»Das ist Tzzerz. Ein Freund. Er hilf uns beim Übersetzen. Hallo, Scott.«, sagte Benjamin: »Ist lange her.«
Scott verzog das Gesicht und kratzte sich am Hals: »Ja. Ich glaube etwa zwei Jahre.«
»Du siehst schlimm aus.«, meinte Ben.
»Yeah. Als ihr mich damals auf dieser Ozeanwelt ausgesetzt habt ...«
»Du wolltest das Schiff übernehmen und einige von uns dort zurücklassen.«, platzte es aus Thora hinaus - so unvermittelt und heftig, dass die Soldaten erschrocken ihre Waffen auf sie richteten.
»Du hast verdammtes Glück gehabt.«, fügte sie noch hinzu: »Die Vargr wollten dich wegen Meuterei exekutieren.«
»Wäre ich nicht in der Unterzahl und ihr vernünftiger gewesen, hätte ich euch alle mitgenommen.«, brauste nun Scott ebenfalls auf. Dann machte er es sich wieder bequem und seufzte: »Das ist lange her, Leute. Weshalb seid ihr hier? Sicherlich nicht, um einen alten Freund zu besuchen.«
Ben wollte etwas sagen, aber Thora kam ihm zuvor. »Wo ist mein Schiff?«, schnauzte sie.
»Aber, aber, Thora. Soweit ich weiß war es eine Leihgabe vom IISS. Wie ich gesehen habe, von der Navy aufgerüstet und zuletzt unter dem Kommando der Raumflotte.«, sagte Scott sanft.
So kamen sie nicht weiter. Ben versuchte das Gespräch in eine andere Bahn zu lenken: »Wieso sitzt du hier ein, Scott? Was ist passiert?«
»Tja. Die Korsaren hatten mir alles weggenommen. Ich ernährte mich wochenlang von uralten, verdorbenen Notrationen. Großer Gott, selbst das Regenwasser dort war salzig! Ich habe durchgehend gefroren und bin krank geworden.«
Er schwieg einen Moment. Er erinnerte sich nur ungern an diese Zeit. »Schließlich tauchte ein Vargr-Händler auf und nahm mich mit nach Garrghkha. Als wir dort ankamen, war ich wieder so einigermaßen hergestellt, aber der Kapitän stellte mir wochenlange Verpflegung, Unterkunft und medizinische Versorgung in Rechnung. Ohne Mittel musste ich es abarbeiten, ansonsten hätte er mich aus der Luftschleuse geworfen.«
Er lachte bitter: »Als Mensch hier auf Garrghkha gibt es nicht viele Möglichkeiten legal zu arbeiten.«
»Aber wie bist du dann nach Rrarrghkna gekommen?«, fragte Ben.
»Nachdem ich mich freigearbeitet habe, wurde es für mich langsam zu heiß auf diesem Planeten. Glücklicherweise landete in dieser Zeit ein Söldnerkreuzer hier auf einem dieser mickrigen Raumhäfen. Ich heuerte mit einigen Kumpels an und verließ diese Müllkippe.«
Benjamin blickte unauffällig zu den nahestehenden Soldaten. »Verstehen die uns?«, fragte er Scott vorsichtig.
»Nee.«, meinte Scott: »Vielleicht kennen sie das eine oder andere Wort anglik, aber einer Konversation können diese Affenköpfe bestimmt nicht folgen. Und das gilt wohl auch für euren riesigen Wachhund da.« Er meinte ihren begleitende Offizierin vom Raumhafen. Das war natürlich ein Test! Vargr-Gestiken sind für Menschen schwierig wahrzunehmen und noch schwerer zu entschlüsseln. Aber Ben hatte bereits jahrelange Erfahrung mit diesem Volk, konnte aber keine Reaktion erkennen.
»Okay. Und dann?«, fragte Benjamin weiter.
»Unser Söldnerkommando wurde nach Eathen geschickt, zur Unterstützung der Kfue-Offensive. Das war kurz vor dem Krieg. Auf den Weg kamen wir an Rrarrghkna vorbei. Da sah ich dann die 'Tiefenraum' im Raumhafen stehen. Ich desertierte mit ein paar Leuten und übernahm das Schiff.«
Ben griff sich unbewusst an seine Schulter, wo Scott ihn damals angeschossen hatte. Die war zwar schon längst ausgeheilt, nur bei hoher Luftfeuchtigkeit schmerzte sie noch.
»Und dann?«
»Wir machten eine Weile auf eigene Rechnung Krieg. Allerdings hatten wir bald schon die Kfue-Flotte im Nacken und wir wurden immer öfter Gejagte als Jäger. Schließlich stellten sie uns hier im System. Wir mussten das Schiff in einer Felsspalte verstecken und die Suche der Kfue nach uns aussitzen.«
»Wo ist das Schiff?«, platzte Thora wieder dazwischen.
Scott grinste sie arrogant an: »Garrghkha ist groß und zerklüftet. Ihr werdet die 'Tiefenraum' nie finden, meine Liebe.«
»Aber wie bist du hierher gekommen?«, fragte Ben schnell nach, bevor Thora nachlegen konnte. Er meinte das Gefängnis.
»Wir deckten uns hier im Untergrund mit Verpflegung und Ausrüstung ein. Einer aus unserer Truppe hatte uns aber verpfiffen. Die Soldaten stellten uns einen Hinterhalt. Wir wurden auf Grund unserer damaligen ... Aktivitäten zu zwei Jahren verurteilt.«
»Standardjahre?«, hakte Ben nach.
»Ne. Garrghkha-Jahre.«
Das war übel. Ein Garrghkha-Jahr entsprach 3,28 Standardjahren - also über 6,5 Jahre Knast.
»Keine Revision. Und die Kaution ist astronomisch hoch.«, ergänzte Scott.
»Jedenfalls bin ich schon ein Weilchen hier. Ist nicht so übel. Das Essen ist genießbar. Als Mensch werde ich in Ruhe gelassen. Ich glaube, die Vargr haben Angst, sich mit irgendwas bei mir anzustecken. Trotzdem ...« Er beugte sich verschwörerisch vor: »Vielleicht könnt ihr mich hier rausholen.«
Bevor Benjamin antworten konnte, schimpfte Thora los: »Warum sollten wir das tun?«
Scott lehnte sich wieder zurück: »Weil ich weiß, wo das Schiff ist.« Sein arrogantes Grinsen war zum an die Wände hoch laufen.
Ben blickte misstrauisch zu den Soldaten: »Und du meinst wirklich, dass die uns wirklich nicht verstehen?«
»Tja, Benjamin.«, sagte Scott: »Jetzt ist der Zeitpunkt, die versteckten Waffen zu ziehen und die Bande hier über den Haufen zu schießen.« Auch das war wieder ein Test. Kein Soldat reagierte irgendwie auf das Gesagte.
»Na schön, Scott ...«, begann Ben, wurde aber durch ein Brüllen der Offizierin unterbrochen.
Tzzerz sagt: »Offizierin sagt, die Zeit läuft ab.«
»Okay, Scott. Also deine Freiheit für das Schiff?«
»Genau.«
Ben sah zu Thora. Sie nickte kaum erkennbar.
»Wie soll das gehen? Hast du einen Plan?«, fragte Ben.
»Natürlich. Wir bekommen dreimal die Woche zwei Stunden Freigang hier oben auf dem Dach. ihr braucht nur in zwei Tagen um 12 Uhr Ortszeit mit einem Gleiter oder Raumboot hier landen. Meine Jungs beschäftigen die Aufseher, ich steige ein und ab geht's zum Schiff. Ihr setzt mich dann auf Saetskhars ab. Von da komme ich alleine klar.«
Offizierin gab ein Zeichen. Der Besuch war zuende. Die beiden Soldaten bei Scott hoben ihn auf die Beine und stießen ihn in Richtung Fahrkabine.
»Also: Was ist jetzt?«, rief er über die Schulter den Beiden zu. Ben sah zu Thora, konnte aber in ihren Gesicht keine Ablehnung erkennen.
»Geht klar, Scott.«, rief er ihm hinterher: »12 Uhr in zwei Tagen.«

Zurück im Raumhafen schlenderten Ben und Thora in Gedanken versunken durch die Empfangshalle, während Tzzerz sich auf die Suche nach einem kleinen Imbiss machte. Ihnen war nicht ganz wohl bei ihrem Vorhaben, aber wenn alles gut ging würde niemand etwas über die wahren Hintergründe erfahren - vorausgesetzt, sie könnten sich ein entsprechendes Fahrzeug organisieren. Das war ein Problem! Beim Lufttransport verfügte Garrghkha nur über große Ballonschiffe und die wurden - wie sollte es auch anders sein - vom Militär kontrolliert. Und falls es noch geeignete Fahrzeuge auf diesem Planeten gab, waren diese bestimmt im Besitz der herrschenden Lords.
Die Beiden wollten sich gerade wieder im Kantinenbereich des Raumhafens hinsetzen, da sah Ben durch ein großes Panoramafenster ein neues Schiff auf dem Landefeld. Es war ein kleines Imperiales Fernhandelsschiff. Der Name kam ihm bekannt vor.

Kurz darauf lief er zusammen mit Thora über einen gelb markierten Weg auf das Schiff zu. Tatsächlich: Es war die 'Katharina' - das Schiff von Kapitän Johannson. Vor zwei, drei Jahren hatten sie sich auf Jelohm getroffen und mitten in der Wüste Ladung übernommen.
Am Schiff standen ein paar Personen und begutachteten einen Schaden an der Außenhülle. Aus dieser Entfernung sah es wie Laserbeschuss aus.

»Hey, Skipper.«, rief Ben: »Sie haben ihre Rostlaube falsch herum geparkt.«
Einer der Männer drehte sich um. Es war tatsächlich Kapitän Alexander Johannson. Er sah noch immer so aus wie damals. Die langen schwarzen Haare, durchsetzt von grauen Strähnen nach hinten zu einem Zopf zusammen gebunden. Das kantige Gesicht faltig und etwas blass.
»Hey, Crane.«, brüllte er zurück und ging lächelnd ihnen entgegen: »Lange nicht gesehen.«
Ein paar Meter vor den Beiden blieb er stehen und verbeugte sich übertrieben galant vor Thora: »Und natürlich Madame Gashuggi. Ich bitte um Vergebung.«
»Schon gut, Kapitän.«, lächelte sie: »Einfach nur Thora.«
»Probleme?«, fragte Ben und deutete auf den Schaden.
»Bah.«, machte Johannson: »Hatte etwas Ärger mit einem Korsar. Und ihr? Was treibt ihr hier so? Habe gehört, dass du Kommandant einer von Saetskhars' Fregatten geworden bist, Ben. Sollst bei der Enterung 20 Kfue-Soldaten eigenhändig den Hals umgedreht haben.«
»Das habe ich auch gehört.«, schmunzelte Ben: »Vor ein paar Wochen waren es noch zehn. Tatsächlich war ich aber bei der Enterung nicht dabei. Ich habe gehört, dass das Schiff kampflos aufgegeben wurde.«
»Ach, Quatsch.«, sagte Johannson: »Ich bleibe bei der anderen Version. Hört sich spannender an. Aber wo ist deine Uniform?«
»Ich bin inkognito hier, Sir. Als Kommandant der 'Prinz Narro' habe ich mir hier nicht viele Freunde gemacht.«
Der Kapitän nickte wissend: »Und Konfuzius? Ist ja neuerdings Kanzler von Lugkongnaerz's Gnaden geworden. Hatte auf Berentin viel Glück gehabt.«
»Ja.«, sagte Ben knapp: »Ich war auch dort. Bei dem Anschlag sind eine Menge Menschen und Vargr gestorben.«
Kapitän Johannson's Gesicht trübte sich: »Schlimm, schlimm. Und wofür das alles? Für nichts!«
Ben war sich da nicht so sicher. Für alles gibt es einen Grund, nur manchmal ist dieser nicht klar zu erkennen.
»Jetzt ist er aber wieder fit. Er ist gerade in Ouzvothon, um neue Handelsrouten auszuhandeln.«
»Subventionierte?«, fragte Johannson und rieb sich sein Kinn.
»Soweit ich weiß, ja.«
»Sehr interessant, Crane.«, meinte der Kapitän nachdenklich.
»Auf der Suche nach einen neuen Job?«, fragte Ben vorsichtig.
»Vielleicht, vielleicht. Nach diesem kleinen, dreckigen Krieg hat sich der Handel immer noch nicht erholt. Kaum Ware oder Aufträge zu bekommen. Um überhaupt fliegen zu können, bin ich zur Zeit unter Vertrag von ATC. Im Moment habe ich laut Frachtbrief 'Maschinenteile' geladen. Wer's glaubt wird selig!« Er spuckte aus: »Aber ATC zahlt gut. Immerhin, aber auf Dauer nichts für mich. Mein Vertrag läuft in ein paar Monaten aus. Wird Zeit sich umzusehen.«
»Kapitän Johannson ...«, begann Ben und wurde gleich unterbrochen
»Lass doch diesen Kapitänskram. Nenn' mich Alex.«
»Danke, Alex. Ich wollte sie um einen Gefallen bitten. Würden sie mir ihren Gleiter für ein oder zwei Tage ausleihen?«
»Na klar, Crane. Kein Problem. Wofür denn?«, fragte der Kapitän.
Jetzt wurde es etwas heikel. Ben musste ihm natürlich einige Details erzählen, aber nicht so viel, um ihn oder die Aktion selbst zu gefährden.
Thora sprang ein: »Alex. Erinnern sie sich noch an Jelohm? Ich hatte dort noch weitere Crewmitglieder.«
»Ja, ja, Thora. Diese kleine, steinharte Söldnerin ... wie hieß sie noch ... Tracy oder so, ja genau. Und so 'n Typen mit Blockflötengesicht. An den Namen kann ich mich aber nicht erinnern.«
»Scott war sein Name.«, half Thora aus: »Er sitzt hier in der Nähe im Gefängnis.«
»Im Orange-One?«, rief Alex verblüfft. 'Orange-One' war der inoffizielle Name des örtlichen Langzeitgefängnisses, in der auch Außenweltler einsaßen. »Dann hat er ja so einiges auf den Kerbholz. Aber was wollt ihr tun? Ihn raus schießen?« Er schoss einige Male mit einer imaginären Maschinenpistole.
»Nein, nein.«, sagte Ben schnell, bevor sich der Gedanke verfestigen konnte: »Wir landen mit den Gleiter auf dem Dach, nehmen ihn auf und starten wieder. Ganz einfach.«
Johannson machte große Augen: »Landen, aufnehmen und wieder starten.« Er rieb sich wieder seinen Stoppelbart: »Ja, warum auch nicht? Und bekomme ich meinen Gleiter in einem Stück wieder?«
»Ich würde nicht fragen, wenn ein Risiko bestehen würde. Und falls doch, stehe ich für den Schaden ein.«, sagte Benjamin. Das war leichter gesagt als getan. So ein Gleiter kostet auch gebraucht schon etliche zehntausende Credits - weit außerhalb von Ben's Soldgruppe. Er müsste viele Gefallen einfordern, um es wieder gut machen zu können.
»Außerdem ...«, sagte Thora: »... würden wir nicht fragen, wenn es nicht wirklich wichtig wäre.«
Kapitän Johannson schürzte die Lippen und schien nachzudenken. Aber jeder, der ihn näher kannte, wusste, dass er sich bereits entschieden hatte.
»Okay, ihr Beiden. Abgemacht. Mi planeador es tu planeador. Wann geht's los?«
»Übermorgen Mittag.«, sagte Benjamin.
»Das trifft sich gut. Wenn alles klappt, starte ich morgen Abend. Wir landen auf der Grünen Wiese und ihr zieht euer Ding durch.« 'Grüne Wiesen' gibt es auf Garrghkha nicht. Er meinte damit eine illegale Landung weit ab vom Schuss.
»Abgemacht. Und danke, Alex.«
»Vielleicht kannst du für mich bei Konfuzius ein gutes Wort einlegen.«, sagte der Kapitän.

Freundlicherweise bot Kapitän Johannson den Dreien für die Zeit eine Kabine auf seinem Schiff an. So brauchten sie nicht die rustikalen (und überteuerten) Zimmer des Space Port Hostels nutzen. Die waren zwar sauber und ausreichend ausgestattet, das Mobiliar aber natürlich auf Vargr zugeschnitten und für Menschen etwas zu klein.
Einige Probleme gab es aber dann doch noch. Das Zielgebäude lag irgendwo in dem Häusermeer der Metropole und Garrghkha verfügte über keine satellitengestützte Positionsbestimmung. Es gab nur (bestenfalls) uralte Papierkarten. Es war fraglich, ob das Gefängnis von oben aus eindeutig identifizierbar war. Zum Glück verfügte Johannson vom Landeanflug auf die Metropole über recht detaillierte Karten im Navigationssystem seines Schiffes. Mit Hilfe des Bordcomputers konnte Ben die Position des Gefängnisses nach Digitalisierung von Vizekanzlers Karten genau bestimmen und einen Kurs berechnen.
Ein weiteres Problem war der hohe Landeanflug. Um nicht vorzeitig entdeckt zu werden, mussten sie sich mit dem Gleiter ihrem Ziel auf 1000 Meter Höhe nähern und erst dann zügig absteigen. Der Gleiter war offen; dem Fahrzeug machte es nichts, aber die Insassen waren Wind, Wetter und Temperatur ausgesetzt. Aber auch hier konnte der Kapitän der 'Katharina' aushelfen, indem er Ben und Thora mit Schutzanzügen versorgte. Außerdem drückte er ihnen zwei Karabinergewehre in die Hand - nur für den Fall! Thora und Ben lehnten aber dankend ab; sie glaubten, dass die Mission eh gescheitert wäre, wenn ein Waffeneinsatz notwendig würde. Stattdessen bat Benjamin für sich und Tzzerz um eine Pistole, für den Fall, dass Scott später Schwierigkeiten machen sollte.

Johannson konnte planmäßig am Folgetag seine 'Waren' löschen und die Anschlussladung übernehmen. Abends starteten sie. Das Schiff flog eine hohe Parabel und landete einige hundert Kilometer von der Stadtgrenze der Metropole entfernt in einem spärlich bewachsenen Hochland. Es war sehr unwahrscheinlich, dass hier irgend jemand unterwegs war und wenn doch, dann würde es Tage oder gar Wochen dauern, bis diese Information die zuständige Behörde erreichen würde.

Ben, Thora und Tzzerz bestiegen am nächsten Tag bei Sonnenaufgang den Gleiter - eine sehr robuste und verbreitete Standardausführung. Sie gingen auf 1000 Meter und überließen es dem Autopiloten, sie auf den vorprogrammierten Kurs über ihr Ziel zu setzen.
Schnell kam die Stadtgrenze in Sicht. Von hier oben konnten sie nur ein graues, undefinierbares Häusermeer bis zum Horizont erkennen - ohne Satellitenkarte und Navigationsberechnung hätten sie das Gefängnis niemals gefunden!
Um etwa 11:30 Ortszeit erreichten sie ihre Abstiegsposition. Sie planten für die zügige Landung dreieinhalb Minuten. Das entspracht in etwa einer durchschnittlichen Fallgeschwindigkeit von vier-dreiviertel Metern pro Sekunde.
Benjamin überprüfte zum wiederholten Mal ihre Position. Optisch war unter ihnen nichts zu erkennen, aber der Computer meinte, es wäre alles in Ordnung.
Als es Zeit wurde, leitete Ben die Landung ein. Zunächst war auf der Bodenkamera nichts zu erkennen. Dann wurden die Konturen der Gebäude schärfer. In der Mitte des Bildschirms erschien ein großes, annähernd quadratisches Gebäude - das musste es sein!
Bei etwa einhundert Meter Höhe waren einige Dutzend Personen zu erkennen, die umher gingen oder einfach nur herumstanden.
Plötzlich entstand Bewegung dort unten. Leute liefen auf einmal umher, sammelten und trennten sich. Es schien, als wäre ihr Anflug entdeckt worden.
Erst auf den letzten Meter konnte Benjamin Details erkennen. Personen kämpften miteinander - schoben sich umher und warfen sich zu Boden. Aus der Menge stürmte eine Gestalt auf den Gleiter zu, der nun einen halben Meter über dem Dach schwebte. Es war Scott! Er sprang aus vollem Lauf in die Kabine und rief: »Los, los! Abflug!«
Ben beschleunigte vertikal mit maximaler Leistung. Als sie rasch aufstiegen, knallte es unter ihnen einige Male. Schüsse!
Ben brüllte gegen sie Geräusche des Fahrtwinds Scott zu: »Ich dachte, deine Leute hätten die Situation im Griff?«
Scott zuckte mit den Schultern: »Keine Ahnung. Es waren mehr Wachen als gewöhnlich auf dem Dach.«
Ben blickte auf das Schadenspanel des Gleiters. Erleichtert stellte er fest, dass die Sensoren keine Einschläge registriert hatten.

Als sie wieder auf 1000 Meter waren, fragte Ben: »Okay. Wohin jetzt?«
»Nach Süden. Bis zur Metropolengrenze.«, sagte Scott und blickte ein wenig beunruhigt auf Tzzerz, der neben ihm saß und ihn misstrauisch fixierte. In der Klaue hielt er Johannson's Pistole. Er kannte Vargr gut genug, um keine Dummheiten zu machen. Selbst eine harmlose Geste könnte sie in Unkenntnis zu einer unangemessenen Reaktion provozieren. Tzzerz ließ ihn nicht aus den Augen. 'Auf diesen Vargr werde ich aufpassen müssen', dachte Scott bei sich.
Der Gleiter flog der Sonne mit Höchstgeschwindigkeit entgegen. Im Fahrtwind hier oben war es empfindlich kalt. Scott zog einen von Johannson bereitgestellten Schutzanzug an - sie würden noch eine ganze Weile unterwegs sein.
Unter ihnen zogen sich die anonymen Häusermassen dahin. Nach etwa zwei Stunden endete die Metropole urplötzlich an einen breiten quer zur Flugrichtung verlaufenden Fluß. Schleimig braun glitzerte der Strom in der Sonne. Benjamin hatte irgendwo gelesen, dass dieses Gewässer in der Übersetzung schlicht 'Grenzfluß' hieß - etwas fantasielos aber treffend. Dahinter war keine Urbanität mehr zu erkennen und der Blick verlor sich bis zum Horizont im Dunst einer zerklüfteten, beinahe vegetationslosen Landschaft. Ben wusste, dass von hier aus diese Gegend in südlicher Richtung auf tausende Kilometer mit seinen Rinnen, Spalten, Hügel und Berge mehr oder weniger gleich aussah. Scott hatte recht gehabt - in diesem Gelände ein kleines Schiff zu finden, wäre auch mit Spezialsensoren recht unwahrscheinlich, aber auf jeden Fall sehr zeitaufwendig.
»Jetzt nach Osten. Dem Strom folgen.«, rief Scott Ben zu. Er lehnte sich nach Süden hinaus und beobachtete aufmerksam die eintönige Landschaft. Ben vermutete, dass er zur Orientierung nach auffälligen Landmarken suchte, die sie in die korrekte Richtung führten.
So ging es eine Stunde lang den Fluß aufwärts, bis Scott wieder nach Süden abdrehen ließ. Ben wurde so langsam ungeduldig: »Wie weit ist es noch?«
»Etwa zwei Stunden. Vielleicht etwas weniger.«, antwortete Scott.
Scott schien aufrichtig kooperativ zu sein. Ben traute ihm nicht. Natürlich - nicht mehr in einem Vargr-Kerker zu vermodern, mochte ein motivierender Grund sein, aber trotzdem hatte er das Gefühl, dass Scott etwas im Schilde führte. Zum Glück hatte Thora den guten, alten Tzzerz mit nach Garrghkha genommen. Dass dieser harte Vargr Scott permanent im Auge behielt, nahm ihm einige Sorgen ab.

Nach gut eineinhalb Stunden bat Scott etwas tiefer zu gehen. Angestrengt spähte er in den schummrigen Dunst vor ihnen. Schließlich fand er, wonach er suchte.
»Dort! Die Hügelkette hinter dem kleinen Pilzwald da!«, rief er Ben zu und zeigte in die entsprechende Richtung. Außer mit der Form haben Pilzbäume auf Garrghkha nichts mit den Nucletmycea gemeinsam. Sie hatten einen leicht umgedrehten Schirm, in dem sie das spärliche Regenwasser sammelten, dass sie dann in den Stamm und schließlich in die Erde leiteten, wovon dann andere Gewächse profitierten.
»Langsam jetzt.«, sagte Scott, als sie den Wald überquerten: »Unmittelbar dahinter steigt das Gelände an. Wir sollten an der Waldgrenze halten.«
Ben fand eine ebene und bewuchsfreie Fläche, fuhr die Landestützen aus und setzte vorsichtig auf. Noch bevor er die Energie abschalten konnte, sagte Scott: »Dann wollen wir mal!« und sprang aus dem Gleiter.
»Halt, Scott.«, rief Ben: »Ich gehe vor!«
Scott drehte sich herum und machte mit den Händen eine abwehrende Geste: »Schon gut, Ben. Du bist hier der Boss.«
Er blickte zu Tzzerz. Dieser nickte kaum sichtbar und signalisierte damit, dass er - wie besprochen - weiterhin ganz genau auf Scott achtgeben sollte.
Scott wies die Richtung. Benjamin ging voraus, gefolgt von Thora und Scott. Tzzerz lief hinterher, in der Klaue die Pistole schussbereit. Dabei achtete er darauf, etwas versetzt zu gehen, damit im Falle eines Falles Ben und Thora nicht in seiner Schusslinie waren.
Sie brauchten nicht lange zu gehen. In einer tiefen und teilweise sehr kantigen Senke sahen sie plötzlich den Rumpf eines Scoutschiffes. Scott hatte einen wirklich guten Landeplatz ausgewählt - einige Meter weiter nördlich oder südlich wären sie daran vorbei marschiert.
Optisch sah das Schiff intakt aus. Nur etwas Flugsand und dürre Vegetation hatte sich in den Kanten der Außenhaut gesammelt. Kein Wunder - lag das Schiff doch schon seit vielen Monaten in dieser Senke.
Ben stieg hinab zum Heck des kleinen Schiffes. Die Irisblende der Hauptschleuse war natürlich geschlossen, die Zugangsleiter hing aber immer noch in Position. Er stieg hinauf und betrachtete das Kontrollpanel. Das Schiff lief - wie erwartet - im Konverterbetrieb, aber im maximalen Energiesparmodus. Damit waren alle Systeme innerhalb weniger Sekunden online. Ein rotes Blinklicht leuchtete periodisch auf - selbstverständlich war der Eingang gesichert.
»Okay, Scott. Wie ist der Zugangscode?«, fragte Ben.
»Es ist unser alter Mastercode.«, antwortete Scott lapidar: »Ich glaubte nicht, dass es nochmal notwendig sein würde, ihn zu ändern.«
Benjamin gab den Code ein. Nach ein paar Sekunden sprang das Licht auf Grün und die Irisblende öffnete sich. Er zog seine Pistole. Sicherlich war nicht zu erwarten, dass drinnen bewaffnete Vargr auf ihn lauerten, aber mit der Waffe in der Hand fühlte er sich besser.
Die Gegenblende der Schleuse war auf. Ben durchschritt diese und betrat den Operationsraum. Im Regelbetrieb des IISS wurde dieser Bereich missionsabhängig konfiguriert. Während Thora's Kurierservice war hier eine Werkstatt eingerichtet. Zu ihrer letzten Mission hatte die Navy hier kurzerhand die umfangreichen Kontrollen der Spezialsensorik installiert. Scott und seine Kumpanen nutzen den Raum wohl als Lager. Überall standen Kisten, Kartons, Werkzeuge und Ersatzteile in einem heillosen Durcheinander herum.
Ben bahnte sich seinen Weg durch den Müll zur ebenfalls offenstehenden Blende zum Quergang, von dem der Maschinenraum, Gleiterhanger, das Vorder- und die beiden anderen Decks zugänglich waren. Alle Blenden, bis auf die zum Vordeck, waren geschlossen. Thora überholte ihn. Sie brannte darauf, den Maschinenraum zu sehen. Ben's Ziel war die Brücke am Bug des Schiffes. Hierzu musste er über den Quergang den Aufenthaltsraum und Kabinentrakt durchqueren.
Als er die offene Blende zur Messe betrat, war Scott hinter ihm, gefolgt von Tzzerz. Dieser stand aber noch im Quergang, als Scott sich plötzlich umdrehte, und den Schließsensor der Blende betätigte, die sofort zuschnellte.
Erschrocken drehte Ben sich um. Mit der linken Hand packte er Ben's Waffenarm und mit der Rechten schlug er ihm ins Gesicht. Er fiel nach hinten und riss Scott mit sich. Beim Fallen haute er mit seiner Hand gegen einen Tisch. Die Waffe flog in die Ecke der Messe in einen Müllhaufen.
Scott rappelte sich auf. Die Waffe war außer Reichweite. Damit sein Plan aufgehen konnte, musste er umgehend die Brücke am anderen Ende des Decks erreichen. Er wollte gerade auf die ebenfalls offene Blende zu sprinten, da packte Ben ihm am Hosenbein. Er stolperte und stürzte wieder hin. Mit dem anderen Bein trat er nach ihm und traf Ben am Kopf. Sein Griff lockerte sich und Scott stand auf und rannte zur Brücke. Er spürte, dass Benjamin hinter ihm sich wieder - schneller als gedacht - von dem Tritt erholt hatte und die Verfolgung aufnahm. Aber es war zu spät. Scott stürzte auf die Brücke und verschloss gerade noch rechtzeitig die Blende hinter ihm. Dann hechtete er zu den Kontrollen des Hauptcomputers und aktivierte das vor Monaten vorbereitete Sicherheitsprotokoll gegen Schiffsentführung. Damit lagen nun alle Schiffskontrollen (einschließlich der Irisblenden) unter seiner Kontrolle. Er ließ sich schwer auf den Kommandosessel fallen, atmete ein paar Mal tief durch und aktivierte dann das schiffsweite Intercom.
»Meine Freunde! Das Blatt hat sich gewendet. Ich schlage vor, ihr verlasst nun mein Schiff. Ich werde mal nicht so sein und gewähre euch freien Abzug mit dem Gleiter.« Er schloss den Kanal, lehnte sich zurück und rieb sich die Augen. Er konnte es kaum glauben, dass er damit durchgekommen war. Eigentlich wollte er mit diesem Coup seine Kumpane ausbooten. Die Festnahme und Gefängnisaufenthalt machte ihn einen Strich durch die Rechnung, aber letztenendes hat sich sein Plan bewährt.
Plötzlich ging das Licht aus!

Eine Sekunde früher und Ben hätte Scott noch packen können. Kurz vor seiner Nase schnappte jedoch die Blende zu. Unsinnigerweise schlug er mit der Faust einige Male fluchend auf sie ein, aber selbst mit Spezialwerkzeug ließ sich eine Blende unter hohen Zeitaufwand nur schwer öffnen. Er drückte auf den 'Öffnen'-Sensor, die Kontrollen waren aber inaktiv. Anscheinend hatte Scott diesen Schalter (und die anderen auch) für diesen Fall mechanisch manipuliert - im Notbetrieb konnten die Blenden nur noch von einer Seite geöffnet werden.
Dann fiel ihm wieder seine Pistole ein. Er rannte zur Messe und wühlte im Müll. Als er die Waffe endlich fand, hörte er, wie der Konverter von Standby- in den Regelbetrieb ging. Das Intercom schnarrte: »Meine Freunde! Das Blatt hat sich gewendet. Ich schlage vor, ihr verlasst nun mein Schiff. Ich werde mal nicht so sein und gewähre euch freien Abzug mit dem Gleiter.«
Er spielte mit dem Gedanken, auf die Blende zu schießen, aber auch das wäre unsinnig gewesen. Mit mechanischen Schäden würde ein Öffnen noch schwerer werden und Scott hatte alle Zeit der Welt. Stattdessen öffnete er die Irisblende zum Quergang - problemlos, denn der Schalter war nur auf der anderen Seite manipuliert. Tzzerz stand dahinter und hielt ihm seine Knarre ins Gesicht.
Benjamin wollte ihm gerade über die Ereignisse informieren, da wurde es auf einmal stockdunkel. Nach einigen Sekunden ging die Notbeleuchtung an. Diese war autark und lief unabhängig von Hauptcomputer und Konverter. Einen Moment später hörten sie über Intercom Thora's Stimme, das ebenfalls bei Energieausfall autonom lief: »Scott. Ich habe schiffsweit die Energie abgestellt. Ich weiß außerdem, dass du dich auf der Brücke verbarrikadierst hast. Ebenso wie du habe auch ich keinen Zugriff über die Schiffssysteme, aber ICH kann Luftzu- und -abfuhr in allen Abteilungen MANUELL regeln. Ich schwöre dir: Ich werde die Brücke solange mit Stickstoff rückfluten, bis es zu spät für dich ist.«

Scott war wie geschockt. Diese Maßnahmen waren nur vom Maschinenraum möglich und den hatte er eigentlich gesperrt. Oder bluffte sie nur? Nein. Dass sie die Energie abstellen und damit den Schiffscomputer lahmlegen konnte, zeigte ihren Handlungsspielraum. Sollte er es riskieren? Lieber nicht. Wenn er erstmal durch Sauerstoffmangel betäubt war, käme jede Hilfe zu spät. Eine Irisblende mit geeigneten Werkzeug zu öffnen, dauerte mindestens eine Stunde. Nein. Das Spiel ist aus - er sah es ganz klar. Tot hätte er überhaupt keine Chance.

Ben und Tzzerz hörten Thora über Intercom. Wenig später öffnete sich die Irisblende der Brücke und Scott trat heraus. Er wirkte zerknirscht und trug die leeren Handflächen über seinen Kopf. Tzzerz ging auf ihn zu, drehte seine Arme auf den Rücken und fixierte sie mit einem Plastikstreifen. Dann warf er ihn unsanft in eine Ecke der Sitzbank und fesselte seine Beine am Tisch. Als der Vargr die Prozedur beendet hatte, sprach Ben ins Intercom: »Alles klar, Thora. Wir haben ihn!« Kurz darauf ging die reguläre Beleuchtung wieder an und Thora stürmte in die Messe. »Wo ist mein Gleiter? Der Hangar ist leer.«, fauchte sie Scott an. Zu jedem Scoutschiff gehört ein Standardgleiter wie der, den ihnen Johannson geliehen hat.
»Weg. Beschlagnahmt. Als wir in der Metropole verhaftet wurde, hatte man uns den abgenommen. Sorry.«, antwortete Scott. Thora fluchte und stapfte zur Brücke. Ben folgte ihr.

Tzzerz bewachte Scott weiter in der Messe. Ben saß mit Thora auf der Brücke. Nachdem sie seine kleine Platzwunde am Kopf notdürftig verarztet hatte, betrachteten beide gemeinsam die Kontrollen. Der Computer fuhr zwar gerade wieder hoch, aber die ersten Fehlerprotokolle waren bereits durchgelaufen.
»Scott und seine Leute haben das Schiff zwar in einen Müllhaufen verwandelt - bislang sieht es aber so aus, als ob sie alle Wartungsmaßnahmen durchgeführt haben.«, meinte Thora.
»Scheint so.«, sagte Benjamin: »Größere Probleme hätte der Computer bereits jetzt schon gemeldet. Schätze, dass wir bald starten können.«
»Was machen wir mit Scott, Ben?«, fragte Thora nach einer Weile.
Benjamin überlegte: »Ich glaube, ich habe da eine Idee.«

Als die Systemprüfungen abgeschlossen und sie startklar waren, luden sie den Gleiter in den Hangar. Geplant war, dass Ben mit dem Fahrzeug zum Landeplatz der 'Katharina' fliegen sollte, aber das hatte sich ja nun erübrigt. Eigentlich wollten sie mit dem Scoutschiff ebenfalls direkt zu dem Fernhändler aufbrechen, aber es war noch hell und Ben wollte noch einen Abstecher machen.

Mit dem Schiff dauerte es keine Stunde, da hingen sie wieder 1000 Meter über dem Gefängnis der Metropole. Ben ließ die 'Tiefenraum' bis auf zwei Meter über dem Dach absacken. Einige Soldaten schossen auf das Schiff - die Kugeln prallten aber an der massiven Schiffshülle ab. Dann öffnete sich der Laderaum an der Unterseite des Schiffes und ein Mensch sprang heraus. Er war an den Händen gefesselt und sah sich unsicher um. Die Soldaten staunten nicht schlecht, als sie den Gefangenen erkannten, der erst heute Morgen von hier entfliehen konnte.
Scott schien erst jetzt zu realisieren, wo er sich befand. Er schickte dem Schiff eine Unzahl Flüche hinterher.
Die Soldaten näherten sich ihm vorsichtig und grinsten böse.


Geschrieben: Oktober 2025
Autor: Matthias Stilke

counter1xhab ich gern gelesen

Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

Einen Kommentar schreiben

geschrieben von Jo Hannes Coltitz am 06.11.2025:
Kommentar gern gelesen.
Hallo @CaptainX,
anfangs hatte mich die Länge Deiner Geschichte abgeschreckt. Dann hatte ich sie mir ausgedruckt und in zwei Etappen gelesen. Ich wurde nicht enttäuscht.
Sie ist von der Sache so gut geschrieben, dass ich mir jederzeit ein lebendiges Bild von der Situation machen konnte. Stark. Ein Muss für alle, die eine Mischung zwischen SF und Abenteuererzählungen lieben.
Sehr gern gelesen!
Viele Grüße, Jo




geschrieben von CaptainX am 07.11.2025:

@Jo Hannes Coltitz

Hallo Jo.
Danke für den netten Kommentar und der konstruktiven Kritik. Ich habe mich sehr darüber gefreut.
Die Länge ist bei meinem Zeug echt ein Problem. Ich hatte mal eine Geschichte in 'verdaulichere Portionen' aufgeteilt, habe aber im Laufe der Kapitel viele 'Klicks' verloren (vielleicht war die Story aber auch nicht so gut gelungen). Stories komprimieren ist mörderaufwendig verfremdet mir zu sehr den Inhalt und stört 'den Flow'.
Ein Zweiteiler ist aber eine gute Idee und vielleicht ein schöner Kompromiss. Ich werde es das nächste Mal versuchen.

Gruß
CaptainX

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